Stellen Sie sich vor, Sie führen einen kleinen Familienbetrieb. Das Geschäft läuft nicht schlecht. Eines Tages kommt Ihr bester Kunde und sagt: «Ich zahle euch ab sofort 150'000 Franken mehr als bisher.»

Zu schön, um wahr zu sein? Nicht auf einem Bauernhof im Kanton Zug. Dort ist das Wunder wahr geworden. 2013 hat der Hof 104'000 Franken Direktzahlungen vom Bund erhalten, 2014 waren es plötzlich 260'000 Franken. Und das für einen 25-Hektaren-Hof, der gemäss eigenen Angaben gerade mal zwei Personen beschäftigt.

Das Beispiel ist zwar extrem, aber kein Einzelfall. Es steht für die Exzesse, die das neue Direktzahlungssystem des Bundes verursacht. Dank ihm erhöhten sich innert eines Jahres die Direktzahlungen bei rund 200 Betrieben um mindestens 50'000 Franken. In der Hälfte der Fälle gründete diese Erhöhung einzig und allein in der Einführung der Neuen Agrarpolitik 14–17.

Ein Halbtagsjob für 140'000 Franken

Am meisten profitiert haben Betriebe, die die Zeichen der Zeit früh erkannt haben und zum Beispiel auf viele Hochstammbäume setzten. Nicht weil sie plötzlich ihre Liebe zu Äpfeln und Birnen entdeckt hätten, sondern weil sich das gleich dreifach bezahlt macht: Erstens steigt so die sogenannte Standardarbeitskraft (SAK), eine Einheit zur Bemessung der Betriebsgrösse, die für die Höhe der Direktzahlungen entscheidend ist.

Zweitens erhöht sich die Biodiversitäts-Förderfläche pro Baum um 100 Quadratmeter – auch wenn das frisch gepflanzte Bäumchen nur einen Quadratmeter Platz beansprucht. Und drittens kann man für Hochstämmer auch noch Vernetzungs- und neuerdings Landschaftsqualitätsbeiträge kassieren. Mit 100 Bäumchen pro Hektare liegen durchaus 10'000 Franken Direktzahlungen pro Hektare drin. Beim Trick mit den Hochstammbäumen gibt es aber ein Risiko. Falls die jungen Bäume nämlich schnell wachsen, verursacht der Baumschnitt bald einmal ziemlich viel Arbeit.

Die magische Bürokratenzahl: Standardarbeitskraft

Die Schlüsselrolle bei den Direktzahlungsexzessen spielt die sogenannte Standardarbeitskraft (SAK). Dabei handelt es sich um eine rein rechnerische Grösse. Pro SAK gibt es maximal 70'000 Franken an Direktzahlungen.

Wie unsinnig die SAK sein kann, zeigt folgendes Beispiel: Pro Hochstammbaum werden – unabhängig von seiner Grösse – 2,5 Stunden Arbeit veranschlagt. So viel Zeit braucht man vielleicht, um einen 40 Jahre alten Baum zu schneiden. Für ein junges Bäumchen genügen jedoch ein paar Minuten.

Eigenartig ist auch die Abgeltung beim Grünland. Für eine Hektare werden 57 Arbeitsstunden verrechnet – ob es sich um eine Magerwiese handelt, die einmal jährlich geschnitten wird, oder um Fettwiesen, die man fünfmal jährlich mähen muss. Es spielt auch keine Rolle, ob man das Heu mehrmals von Hand wenden, es mühsam bis zur nächsten Strasse hochschleppen und ein paar Kilometer zum Hof transportieren muss oder ob das Gras direkt auf der Wiese vom Vieh gefressen wird.

Die Folge: Auf dem einen Hof genügt ein halbes Pensum, um eine SAK zu «erarbeiten», auf dem anderen arbeiten fünf Personen für eine SAK.

Da fahren Bauern besser, die auf extensives Grünland setzen. Perfektioniert haben das diejenigen Bergbauern, die gemäss Selbstdeklaration nur halbtags auf dem Hof arbeiten, dafür aber 120'000 bis 140'000 Franken an Direktzahlungen beziehen. Andere Bauern setzen auf Landschaftsqualität. Ein Zehn-Hektaren-Betrieb erhielt 30'000 Franken allein dafür, dass er so «schön» ist – so hoch waren die Beträge für Landschaftsqualität.

Solche Auswüchse gehen auf die 1993 eingeführten Direktzahlungen zurück. Damals wurde unter dem Druck der Welthandelsorganisation das alte System der Subventionen abgeschafft. Seither werden Bauern nicht mehr über künstlich hoch gehaltene Preise für ihre Produkte vom Staat unterstützt, sondern immer stärker über Beiträge für Landschaftsqualität, Biodiversität sowie die Vernetzung von Naturflächen. Viele Betriebe fokussieren auf diese Beiträge statt auf die Nahrungsmittelproduktion. Dieser Effekt hat sich mit der Agrarpolitik 14–17 noch verschärft, weil man Tierbeiträge auf die Fläche umgelegt, Vermögensgrenzen abgeschafft und die Beitragsabstufung geändert hat.

Vernetzungsprojekte zahlen sich aus

Rund 200 Betriebe produzierten 2014 sogar so wenig, dass sie nur geringe oder gar keine Beiträge für die Versorgungssicherheit erhielten. Diese Beiträge sind nur für Bauern gedacht, die Ackerland bewirtschaften oder wenigstens so viele Tiere halten, dass sie das Gras fressen, das auf ihren Wiesen wächst. Dass Direktzahlungen trotzdem reichlich fliessen können, zeigt ein viehloser Betrieb aus dem Kanton Zürich: Er bekam 2014 nur 3000 Franken für die Versorgungssicherheit – aber 315'000 Franken für die Förderung der Biodiversität – 136'000 Franken mehr als im Jahr zuvor. Wie funktioniert das? Nun, wer die Vorschriften des Bundesamts für Landwirtschaft nach üppig sprudelnden Einnahmequellen absucht, wird fündig. Schlaue Bauern setzen schon seit längerem auf Vernetzungsprojekte. Denn da bringt jede Hektare Biodiversitätsförderfläche gleich 1000 Franken mehr ein.

Die weniger schlauen Bauern haben das Nachsehen. Sie erhalten deutlich weniger Geld aus Bern. Denn das Plus, das die Schlauen bekommen, schlägt sich bei ihnen als Minus nieder. Früher oder später werden auch sie maximieren. Sie wollen ja nicht ewig die Dummen sein.

Der Bund rückt aktuelle Zahlen nicht heraus

In der Summe blieben die Direktzahlungen in den letzten Jahren (mehr oder weniger) gleich. Sie werden seit 2014 bloss völlig anders verteilt. Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) veröffentlicht zu den Direktzahlungen am liebsten Durchschnittswerte. Doch die haben wenig Aussagekraft. Für Landschaftsqualität gab es 2014 zum Beispiel pro Bauer im Schnitt 3700 Franken. Einzelne kassierten dafür aber bis zu 58'000 Franken.

Obwohl die Direktzahlungen längst geleistet worden sind, hält das BLW die Daten für 2015 unter Verschluss. BLW-Sprecher Jürg Jordi begründet das damit, dass die Daten «noch aufbereitet werden müssen». Die Zahlen des Jahres 2014 zeigen klar, wohin die Reise geht: 

  • 202 Betriebe erhielten 2014 schlagartig mindestens 50'000 Franken mehr als im Vorjahr.

  • Bauern pflanzten in rauen Mengen Hochstammbäume an: 2014 kamen 70'000 Bäumchen dazu.

  • Wenn man die Hochstämmer einrechnet, erhöhte sich so die Biodiversitätsförderfläche allein 2014 von 145'000 auf 185'000 Hektaren.

  • 120 Betriebe meldeten sogar mehr als 100 Prozent ihrer Nutzfläche als Biodiversitätsförderfläche an, das ging im Extremfall bis zu 195 Prozent. Möglich ist das, weil Hochstammbäume die Fläche künstlich vergrössern. 2013 war das erst bei 37 Betrieben der Fall gewesen.

  • Mehr als 200 Betriebe erfüllten die Kriterien für die Versorgungssicherheitsbeiträge nicht mehr.

  • Die offene Ackerfläche sank um 270, das Grünland um 230 Hektaren; nur die weitere landwirtschaftliche Nutzfläche stieg um 1100 Hektaren.