Wir essen immer mehr Laborgemüse
Schweizer Gemüse stammt mehrheitlich aus den Labors der globalen Agrochemie – selbst die Hälfte aller Bioprodukte.
Gleich zwei Volksinitiativen aus bäuerlichen Kreisen wollen erreichen, dass wir mehr einheimische Lebensmittel auf den Teller bekommen. Ein frommer Wunsch. Was wir essen, wird eher in einem Biolabor in den Niederlanden als im Bundesrat in Bern entschieden. Bereits fallen 95 Prozent unserer Salate – inklusive der biologischen – unter ein Patent der niederländischen Saatgutfirma Rijk Zwaan. Letztlich kontrolliert diese, wer den Salat anbaut.
Bisher glaubten selbst gut informierte Konsumenten, Patente gebe es nur für genmanipulierte Pflanzen, die in der Schweiz nicht verkauft werden. Doch das Europäische Patentamt erteilt seit einigen Jahren auch für konventionelle Züchtungen Patente. Dass «Patentgemüse» den Markt erobert, scheint den Grossverteilern nicht bewusst zu sein. Die Migros hat «keine Kenntnis über die Anzahl patentierter Gemüsesorten». Bei Coop klingts ähnlich. Dabei ist die Mehrheit der Konsumenten gegen die Patentierung von Pflanzen – so das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage von Isopublic. Die Migros lehnte patentierte Sorten bis vor kurzem ab, nun hat sie damit kein Problem mehr.
Welche Saatgutfirmen hinter Schweizer Gemüse stecken, lässt sich trotz aufwendiger Recherchen nicht sicher sagen. Detaillierte Daten hat weder die Vereinigung für Samenhandel und Sortenschutz Swiss-Seed noch die Schweizerische Zentralstelle für Gemüsebau oder das Bundesamt für Landwirtschaft. Klar ist: Beim Saatgut sind wir völlig vom Ausland abhängig.
Nur die Gemüseproduzenten kennen die Saatguthersteller mit Sicherheit. «Doch die wollen nicht, dass die Konsumenten erfahren, wer hinter den Gemüsesorten steht», sagt ein Vertreter der Biobranche. Wer will schon mit Syngenta in Verbindung gebracht werden, dem oft kritisierten weltgrössten Pestizidhersteller mit Sitz in Basel? Lieber wirbt die Branche mit garantiert schweizerischem Gemüse.
Die Stiftung für Konsumentenschutz fordert daher, dass die Detailhändler künftig die Saatgutproduzenten offenlegen. Migros und Coop winken ab, das Gesetz verlange keine Deklaration. Die Migros erhält «kaum Kundenanfragen zu Saatgut». Die Landwirte sollten das «Saatgut wählen, das ihnen den grössten Nutzen bringt». Bei Coop heisst es: «In der Regel sind uns bei konventioneller Ware die Saatgutproduzenten nicht bekannt.» Coop fördert mit «Pro Specie Rara» die Kleinstnische alter Gemüsesorten und verkauft zugleich Toscanella-Tomaten – deren Markeninhaber Syngenta verdient mit.
Zahlen aus dem EU-Raum verdeutlichen die Macht der Saatgutgiganten. Rund zwei Drittel der Tomatensorten gehören Monsanto und Syngenta (siehe Grafik unten). Die Organisation Erklärung von Bern kritisiert, beim Saatgut dominiere eine kleine Zahl von Anbietern den gesamten Markt. Dass die Hersteller aus der Chemiebranche kommen und den Verkauf von Samen und Pestiziden kombinieren, sei besorgniserregend.
An den Chemiefirmen kommen nicht einmal die Bioproduzenten vorbei. Reines Biosaatgut existiert kaum. «Bei Tomaten etwa bietet Monsanto Sorten mit sehr guten Eigenschaften an, bei Rosenkohl und Wirz ist es Syngenta», sagt Martin Koller vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau. In etwa jedem zweiten Biogemüse stecke konventionelles Saatgut. Bei Biosaatgut müssen nur die Samenträger biologisch vermehrt sein. Die Züchtung – der jahrelange «Entwicklungsprozess» einer Sorte durch Kreuzung und Selektion – erfolgt fast nur konventionell. Die Bioproduzenten wollen daher eigene Sorten entwickeln.
«Stellt bald nur noch die Industrie Pflanzen her? Oder gibt es weiterhin eine naturnahe Zucht?»
Martin Bossard, Bio Suisse
Die Branche befindet sich in einer Abwehrschlacht gegen die Agrochemiefirmen. Diese kreieren immer neue Supersorten. Momentan sind die Biovertreter daran, mühsam Sorten auszusortieren, die mit einer gentechnischen Methode steril gemacht wurden. «Wir wollen keine Pflanzen, die auf Zellebene verändert wurden», sagt Martin Bossard vom Branchenverband Bio Suisse. Angesichts der neuen Gentechmethoden würden bald nur noch wenige Sorten für den Biolandbau infrage kommen, befürchtet er. «Wir befinden uns am Scheideweg. Stellt bald nur noch die Industrie in Labors Pflanzen her? Oder existiert weiterhin eine naturnahe Zucht draussen im Feld?»
Doch «natürliche» Pflanzen gibt es kaum noch. Noémi Uehlinger vom Zürcher Biopflanzenzuchtbetrieb Sativa Rheinau sagt: «Ob die von uns eingekreuzten Sorten vorgängig technisch verändert wurden, können wir nicht nachvollziehen.»
Ernährung: Die totale Gentechnisierung
Neue gentechnische Methoden sind nicht mehr nachweisbar. Bald könnte selbst Biofood genmanipuliert sein. Ohne dass Konsumenten etwas davon erfahren.
Mit der Patentierung hat der Endkampf um die Hoheit übers Saatgut begonnen. Bisher konnten die Hersteller ihre Sorten zwar schützen lassen, doch die Samen waren frei für die Zucht, damit die Grundlage des Essens für die Allgemeinheit zugänglich bleibt. Heute können die Hersteller eine Eigenschaft patentieren lassen – etwa eine Blattlausresistenz. Der Patentinhaber entscheidet, wer die entsprechenden Sorten zur Weiterzucht oder zur Gemüseproduktion verwenden darf. Die dafür fällige Lizenzgebühr ist aus Sicht der Industrie ein Beitrag an die Entwicklungskosten. Rund 120 Patente auf konventionelle Nutzpflanzen gibt es schon, darunter Tomaten, Peperoni, Zwiebeln, Melonen und Soja. Etwa 1000 Patentierungsgesuche sind hängig.
«Für uns sind Patente ein Hammerschlag», sagt Uehlinger. Lizenzgebühren sprengen das bescheidene Budget des Biokleinbetriebs Sativa. Da es wenig Transparenz über die Patente gibt, lässt Sativa im Zweifelsfall lieber die Finger von einer Sorte. Das Ende der freien Pflanzenzüchtung.
Ein Samenhändler kritisiert: «Mit Patenten kontrollieren die Saatgutfirmen den Gemüsemarkt bis hin zu den Konsumenten.» Für François Meienberg von der Erklärung von Bern «verhindern Patente die Innovation». Sie würden den Konzentrationsprozess in der Branche forcieren, die Biodiversität mindern und die Preise steigern.
Mehrere europäische Organisationen haben Ende Juni eine Petition mit 800 000 Unterschriften gegen Pflanzenpatente eingereicht. Dagegen sind auch das EU-Parlament, die deutsche Regierung und viele kleinere Saatguthersteller. Doch entscheiden über die künftige Praxis wird der Verwaltungsrat des Europäischen Patentamts.
Zu den 38 Trägerstaaten gehört auch die Schweiz. Der Bundesrat sieht hier keinen Handlungsbedarf, das Bundesamt für Landwirtschaft will aber der Monopolisierung im Saatgutmarkt entgegenwirken. Mit einem Strauss von Massnahmen soll einheimisches Saatgut gefördert werden.
Laut Experten liegen die Agrochemiefirmen mit ihren enormen Forschungsbudgets und Gendatenbanken aber uneinholbar im Vorsprung. Daran wird auch eine Schweizer Volksabstimmung nichts ändern.
Autor: Daniel Bütler
Infografik: Beobachter/AS; Quellen: de.statista.com, CPVO/T. Richter: «Top Line Report»
Foto: Jean-Christophe Bott/Keystone
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