Der weltbeste Fussballer kommt nicht aus Brasilien. Er ist auch nicht Italiener, sondern wohnt in Frauenfeld, Kanton Thurgau. Er heisst Roland Prisi und ist zweifacher Weltmeister im Tischfussball. Doch erkannt wird der 42-Jährige auf der Strasse von niemandem.

Der Ehrgeiz packte ihn schon als Kind. Er spielte mit Gästen in Mutters Restaurant um ein Getränk. 1993 gewann er sein erstes Turnier und durfte an den Europameisterschaften teilnehmen. Dort sei er zum ersten Mal regelrecht «vermöbelt» worden. Doch damit war sein Ehrgeiz erst richtig geweckt. «Ich muss immer gewinnen, selbst wenn ich gegen meine Nichte Memory spiele, und ich gebe nie auf», sagt Prisi. Er begann verbissen zu üben. Heute trainiert er immer noch an drei Abenden pro Woche - manchmal bis vier Uhr morgens. Am Wochenende reist er dann an Turniere. Für Freunde und die Familie bleibt wenig Zeit: «Tischfussball bestimmt mein Leben. Inzwischen sind fast all meine Kollegen Tischfussballer.» Immer wieder muss er Ferientage opfern. Ohne grosszügigen Arbeitgeber, der ihn auch sponsert, ginge es nicht.

Tischfussball sei wie eine Sucht. «Früher konnte ich an keinem Fussballtisch vorbeigehen, ohne zu spielen.» Inzwischen gelingt ihm das besser, allerdings vor allem, weil er selbst nicht gern «so viele Gänge herunterschraubt», damit seine Gegner überhaupt eine Chance hätten. Und sein Erfolgsrezept? Im Kopf stark sein, ruhig und konzentriert bleiben, auch wenn er drei Goals hintereinander kassiere. «Ich kenne die Stärken jedes Spielers. Diese versuche ich dann zu brechen.» Lange Zeit habe er technisch gar nicht so gut gespielt, doch sein Ehrgeiz und seine Fähigkeit, ein Spiel «lesen zu können», hätten ihn auch gegen versiertere Gegner gewinnen lassen. Sein Erfolg ist Nährstoff für seinen Ehrgeiz. Wenn er nicht so erfolgreich wäre, hätte er schon längst aufgehört, sagt der Informatiker.

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Der grosse Champion des Tischfussballs kommt aus Frauenfeld: «Ich gebe nie auf», sagt Roland Prisi.


Trotz WM-Titel kann Roland Prisi mit dem Preisgeld gerade einmal die Spesen decken. An Turnieren entspannt er sich zwischen den Spielen mit Musik. Dann hört er sich zum x-ten Mal den Soundtrack zum Boxerfilm «Rocky» an. Rocky Balboa, der sich wie er nach jeder noch so schweren Niederlage stets wieder hochkämpft.

Meistertöggeler Prisi kennt wie andere Spitzensportler Rückschläge. «Leistung entwickelt sich nie linear», sagt Karin Moesch, Sportpsychologin am Bundesamt für Sport in Magglingen. Sie hat schon manchem Spitzensportler wieder auf die Sprünge geholfen. Um in einer Disziplin das Topniveau zu erreichen, brauche es jahrelanges Durchhaltevermögen. «Oft haben talentierte junge Sportler Mühe, sich zu motivieren, wenn sie plötzlich nicht mehr zu den Besten ihrer Kategorie zählen und nicht mehr alles rundläuft.» Dann suchen sie häufig Rat bei der Psychologin.

Solche Motivationsprobleme kennt José João Gonçalves nicht. Angefangen hatte es damit, dass der damalige Autolackierer-Stift vor drei Jahren für einen Lehrlingswettbewerb angemeldet wurde. Er dachte, das gehöre zum normalen Ausbildungsprogramm. Der gebürtige Portugiese packte die Aufgabe mit einer Haltung an, die er verinnerlicht hat, seit er als Jugendlicher in die Schweiz kam: «Wenn ich etwas mache, will ich es so gut wie möglich machen.» Er gewann - und qualifizierte sich für die Schweizer Meisterschaft im Autolackieren 2004. Nachdem Gonçalves auch dort den Sieg eingeheimst hatte, war der Appetit endgültig geweckt: Die Berufsweltmeisterschaft 2005 sollte die Krönung bringen.

Autolackieren erfordert Fähigkeiten wie Präzision und Sauberkeit, eine ruhige Hand, ein Auge für Farben. Daran feilte der heute 22-Jährige im Vorfeld der Titelkämpfe praktisch jeden Abend nach der Arbeit - monatelang. Genauso emsig hatte er einst innert eines halben Jahres Deutsch gelernt. Er bezeichnet sich selber als «ehrgeizig und zielgerichtet»: An der WM in Helsinki holte er an einem 22-stündigen Wettkampf, bei dem Autoteile mit speziellen Techniken gespritzt werden mussten, die Goldmedaille für die Schweiz.

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Eine ruhige Hand: Im Autolackieren ist José João Gonçalves unübertroffen.


Und sonst? Was war der Ertrag für den immensen Aufwand? Eine unvergessliche Erfahrung sei das Ganze gewesen, sagt Gonçalves. Erst beim Nachfragen rückt er mit dem heraus, was ihm spürbar wichtiger ist als Titel und Triumphe: «Die Leute in der Branche haben es geschätzt, wie sehr ich mich eingesetzt habe.» Beruflich hat sich der junge Mann aus Oberengstringen ZH weiterentwickelt, arbeitet heute als Schulungsleiter bei einer weltweit tätigen Lackfirma. Nebenher büffelt er für die höhere Fachprüfung als Autolackierer, was ihm ermöglichen würde, einen Betrieb zu führen. Falls er das je tut, darf man davon ausgehen: José João Gonçalves wird es so gut als möglich machen.

Sportpsychologe Roland Seiler von der Universität Bern beobachtet, dass immer mehr Berufsverbände versuchen, mit Hilfe von Wettkämpfen ihren Nachwuchs zu fördern und anzuspornen. Die Verbände hätten erkannt, dass Menschen das Grundbedürfnis haben, sich von anderen abzuheben und sich damit besser durchsetzen zu können. «Ganz zentral ist das Gefühl: ‹Ich kann etwas, was ein anderer nicht so gut kann›», sagt Seiler. Da es trotz Berufsmeisterschaften in den meisten Branchen immer schwieriger werde, durch spezielle Leistungen aufzufallen, trete häufig auch das Hobby in den Vordergrund.

Vanessa Häni etwa hat ihr Pensum als Reiseberaterin reduziert, um mehr Zeit für ihr Steckenpferd zu haben, bei dem sie die Konkurrenz locker auf Distanz hält: Sie ist die Weltbeste darin, nicht aus der Reihe zu tanzen. Ende Dezember holte sich die 23-Jährige in Dublin den WM-Titel im Line-Dance. Line-Dance? Häni lacht angesichts der Nachfrage - sie ist es gewohnt, dass ihre bevorzugte Sparte hierzulande kaum bekannt ist. Also: Line-Dance ist ein aus der Countrybewegung der USA stammender Tanzsport, bei dem die Akteure in Reihen tanzen. Die hohe Schule besteht darin, Schrittfolgen in verschiedenen Schwierigkeitsgraden möglichst präzis aufs Parkett zu legen.

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Dreimal pro Woche Training: Vanessa Häni tanzt präziser als alle andern.


Das will geübt sein. Dreimal pro Woche steht Vanessa Häni in der Trainingshalle, vor Wettkämpfen sogar täglich. Zum zeitlichen Aufwand kommt der finanzielle - für die Reisen zu den Turnieren sowie die Kleider für die verschiedenen Tanzrichtungen geht praktisch der ganze Lohn drauf. «Für meine Leidenschaft verzichte ich auf einiges», sagt die junge Frau, die seit ihrem vierten Lebensjahr tanzt. In einer prestigeträchtigeren Disziplin brächte ihr ein WM-Titel gesellschaftlichen Ruhm und fette Sponsoringverträge ein. Beim Line-Dance gibts davon weder das eine noch das andere. «Schon ein bisschen ungerecht», findet sie. «Schliesslich ist mein Aufwand nicht kleiner.»

Der Weltmeistertitel ist Häni dennoch wichtig: «Er gibt mir die Bestätigung, auf dem richtigen Weg zu sein.» Als Nächstes peilt sie die höheren Leistungsklassen im Line-Dance an, mit der professionellen Ausübung am Ende der Skala. Das Leben der Vanessa Häni soll sich auch weiterhin ums Tanzen drehen. Dies mit Mittelpunkt in London, wohin die Seuzacherin nächstens auswandert.
Hänis Disziplin und Ehrgeiz zählen zu den wichtigsten Charakterzügen, die es braucht, um Weltmeister zu werden. Ohne Talent, intensives Training und eine grosse Portion Motivation geht nichts, sagt Sportpsychologin Moesch. Entscheidend sei aber, die ideale Balance zwischen An- und Entspannung zu finden. Denn nicht nur wer zu nervös ist, verhaspelt sich gern, auch wer den Wettstreit zu locker angeht, dem unterlaufen Fehler. Was passiert, wenn die Konzentration nachlässt, erfuhr die Amerikanerin Lindsey Jacobellis, die beim Snowboard-Olympiarennen in Turin 2006 eigentlich uneinholbar führte. Kurz vor dem Ziel stürzte sie und musste der Schweizerin Tanja Frieden die Goldmedaille überlassen.

Auch Noemi Reichel fuhr früher Snowboard-Rennen, doch der ganze Rummel war ihr bald einmal zu viel, sie stehe nicht auf «Show und so». Deshalb kam ihr das Angebot, ins Slalom-Skateboarden einzusteigen, wie gerufen. «Es war mehr Plausch als eigentliches Training», erinnert sie sich. Sie habe zwar die Wettkämpfe als Herausforderung gesehen, sei aber sehr naiv an das Ganze rangegangen: «Ich war fasziniert von der Stimmung.» Als dann der Erfolg rasch kam, blieb sie dabei.

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Mit Spass zum Sieg: Keine fährt so gut Slalom-Skateboard wie Noemi Reichel.


Angefangen hatte es vor neun Jahren, als sie bei ihren Nachbarn in der Garage ein Rollbrett entdeckte und es jeweils für den Schulweg ausleihen durfte. Heute ist die 23-jährige Sportstudentin dreifache Weltmeisterin im Slalom-Skateboarden. Die gebürtige Wetzikerin trainiert aber wenig, weil sie dank Klettern, Snowboarden, Kunstturnen und Skifahren sowieso fit ist. «Skirennfahrerin hätte ich aber nie werden können, das wäre mir viel zu viel Drill», lacht sie. Wichtig sei ihr in erster Linie der Spass und die Chance, unter Gleichgesinnten zu sein. «Die Slalomskater sind ein gutes Grüppchen, man kennt sich seit Jahren. Wir freuen uns, uns immer wieder irgendwo auf der Welt zu treffen.»

Reich wird man mit Reichels Sport aber nicht: Erstmals erhielt sie an der letztjährigen Weltmeisterschaft im österreichischen Brixlegg ein Preisgeld von 600 Euro. Ein Novum, denn bis dahin gabs für die Frauen kein Geld an den Wettkämpfen. «Ich hoffe, dass das der Szene nicht die Lockerheit nimmt», so Reichel. «Mein Leben ist nicht aufs Skaten ausgerichtet. Ich bewundere zwar den Ehrgeiz, den Spitzensportler an den Tag legen, doch finde ich es erbärmlich, wenn Sportler so engstirnig sind und sich immer nur messen wollen.»

Auf welche Faktoren sportlicher Erfolg zurückzuführen ist, wollten Markus Lamprecht und Hanspeter Stamm vom Observatorium Sport und Bewegung Schweiz in einer Studie herausfinden. Sie nahmen die Bilanz der Schweizer Wintersportler an den Olympischen Spielen in Turin 2006 unter die Lupe und stiessen auf auffallend viel Medaillen in Sportarten, die erst seit kurzem olympisch sind - wie Curling, Skeleton, Skiakrobatik und Snowboard. Noch vor 20 Jahren war das Bild umgekehrt: Paradedisziplin war Ski alpin.

Auch in noch exotischeren Sportarten mischen Schweizer ganz vorne mit - wie der 27-jährige Lausanner Raphael Faiss. Er wurde 2006 in Sydney zum dritten Mal Weltmeister der Velokuriere. «Wer an unserer WM Erfolg haben will, braucht nicht nur eine tadellose physische Konstitution», sagt der Champion. Auch Köpfchen sei gefragt, wenn es darum gehe, im Rennen die ideale Verbindung zwischen den einzelnen Adressen zu finden. «Das Erfolgsrezept lautet: 60 Prozent physische Kondition, 30 Prozent Kopfarbeit und 10 Prozent Glück», sagt Faiss. Seine grösste alltägliche Herausforderung ist, auch im dichten Stossverkehr schnell voranzukommen. Da könne nicht immer jede Verkehrsregel eingehalten werden, verteidigt er sich gegen den Vorwurf, dass sich Velokuriere oft wie Outlaws verhielten. «Die Strassen in den Städten sind auf die Autos ausgerichtet. An die Velos wurde nicht gedacht. Da müssen wir eben auf uns aufmerksam machen», so die weltmeisterliche Einschätzung.

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Auch Köpfchen ist gefragt: Raphael Faiss gewann dreimal die Velokurier-WM.


Sportler, die in traditionellen Sportarten nicht nur wie der Velokurier Titel sammeln, sondern auch einen Weltrekord brechen wollen, mühen sich inzwischen oft vergeblich ab. Denn in immer mehr Disziplinen lässt sich die Leistung kaum mehr steigern. So stammt etwa der Weltrekord beim 100-Meter-Lauf der Frauen aus dem Jahr 1988. Noch im Jahr 1984 gab es allein in der Leichtathletik 25-mal einen Weltrekord zu feiern, im Jahr 2000 gerade noch viermal. «In vielen Sportarten ist die Decke erreicht», sagt Sportwissenschaftsprofessor Seiler. Wer dennoch eine einmalige Leistung vollbringen wolle, müsse nach Alternativen suchen.

Eine ganz spezielle Alternative gefunden hat Anna Röthlisberger mit dem Pfeifenlangsamrauchen, auch wenn ihr zum Weltrekord noch eine gute Stunde fehlt. Vor vier Jahren liess sich die Nichtraucherin überreden, in einem Klub zu trainieren. «Ich roch den Tabak gern, und mir wurde nicht schlecht vom Rauchen. Das waren schon zwei gute Voraussetzungen», sagt sie. Schon bald packte sie aber der Ehrgeiz. Sie wollte ihre Pfeife möglichst lange glimmen lassen. Denn die hohe Kunst bei diesem Wettkampf liegt darin, extrem langsam zu rauchen, ohne die Glut ausgehen zu lassen. «Spitz rauchen» heisst dies im Jargon. «Wenn die Glut erst einmal nicht mehr zu sehen ist, muss man die Nerven behalten, sonst ist der Ofen aus», sagt die 48-Jährige aus Thürnen BL.

An den Weltmeisterschaften in Tschechien konnte sie die Pfeife unbelastet anzünden, denn die Hauptprobe war ihr dermassen missraten, dass sie sich keine Chancen ausrechnete. Als sie im Wettkampf nach über eineinhalb Stunden immer noch nicht ausgeschieden war, wurde sie informiert, nur noch zwei Frauen seien im Rennen. «Da wurde ich nervös, und meine Hände begannen zu zittern.» Doch unbeirrt rauchte sie weiter und wurde in einer Zeit von 1:51:59 Weltmeisterin.

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Eine hohe Kunst: Anna Röthlisberger raucht fast zwei Stunden an einer einzigen Pfeife. 


Bei der Siegerehrung gabs weder Siegerfoto noch Blumenstrauss. «Das fand ich enttäuschend», sagt sie. Als Trost blieb eine Zeitungsnotiz in der lokalen «Volksstimme». Der Weltmeistertitel habe sie nicht verändert, sagt Anna Röthlisberger. Ob sie ihn im Jahr 2010 verteidigen wird, weiss sie noch nicht. Denn noch hat sich für die Reise ins portugiesische Estoril und den mehrtägigen Hotelaufenthalt kein Sponsor gefunden. Ein Preisgeld winkt nicht - höchstens eine extravagante Pfeife und ein bisschen Tabak.

Auch für den Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde gibt es kein Honorar. Trotzdem glänzen Schweizerinnen und Schweizer mit einer ganzen Reihe von skurrilen Rekorden: zum Beispiel die grösste Musikstunde, die meisten Strohhalme im Mund oder die meisten Ellbogendrehungen beim Breakdance. Allein der Ausnahmekönner und Balljongleur Paul Sahli hat insgesamt 65 Weltrekorde aufgestellt. Am meisten freuen dürfte aber die Aussage von Olaf Kuchenbecker, Chef der deutschen Ausgabe des Rekordbuchs: «Die Schweizer brauchen bei der Vielseitigkeit keinen internationalen Vergleich zu scheuen und schneiden bei der Rekordjagd im Vergleich zu den Österreichern ein bisschen besser ab.»