Halb Gott, halb Kassenwart
Der oberste Schweizer Chirurg lässt sich Sponsorengelder auf ein Privatkonto überweisen und verteilt Lohngeschenke ausserhalb der offiziellen Spitalrechnung.
Veröffentlicht am 13. März 2012 - 08:49 Uhr
Morgens um fünf sitzt Chefarzt Urban Laffer an der Orgel der Pasquart-Kirche in Biel und spielt eine Stunde lang Mendelssohn. Oder Bach. Um sechs fährt er in «sein» Spital, das Spitalzentrum Biel. Das macht er Tag für Tag. Nur am Sonntag nicht. Dann geht er direkt ins Spital. Dort folgt ein 12-Stunden-Tag mit Operationen, Patientenbesuchen, Sitzungen und administrativen Arbeiten.
Urban Laffer, 66, ist Chef der chirurgischen Klinik des Spitalzentrums Biel, dazu medizinischer Leiter des Spitals, Professor an der Universität Bern, Präsident der schweizerischen Dachgesellschaft der Chirurgen mit 16 untergeordneten Fachgesellschaften. Damit ist er der höchste Schweizer Chirurg. Laffer hat in seiner Karriere etwa 1000 Dickdärme, 500 Gallenblasen, 300 Schilddrüsen operiert. Dazu kommen ungezählte Eingriffe an Leistenhernien und Blinddärmen.
Kompetent ist Laffer auch in Sachen Finanzen. Seit Jahren betreibt er ein intransparentes «Kässeli»-System, das ihm die fast alleinige Kontrolle über wichtige Gelder garantiert. Er entscheidet, welchem Arzt er einen Lohnzustupf gewährt oder eine Weiterbildung finanziert. Er entscheidet auch, wie üppig das jährliche Mitarbeiterfest ausfällt. Aus Dokumenten, die dem Beobachter vorliegen, wird klar: Während Jahren wusste die Spitaldirektion über die eigenartigen Gepflogenheiten ihres bekanntesten Arztes Bescheid – und unternahm nichts dagegen.
Mehrere ehemalige Spitalangestellte schildern Laffer, an dessen Qualitäten als Chirurg niemand zweifelt, als «selbstherrlich und machtbesessen». Einige sagen, es sei ihm schlicht egal, wer «unter» ihm Direktor des Spitals sei. Tatsächlich hatte das Spital während Jahren eklatante Probleme in der Leitung. Dem langjährigen Direktor wurde vorgeworfen, sich unrechtmässig bereichert zu haben. Er musste das Spital 2009 von einem Tag auf den anderen verlassen, die juristische Auseinandersetzung mit ihm dauert bis heute an.
«Professor Laffer war während Jahren der heimliche Direktor des Spitals», sagt ein früherer Angestellter aus der Direktion. Eine andere Quelle sagt: «Niemand hinterfragt, was er tut.» So konnte Laffer innerhalb des Spitals ein eigentliches Parallelsystem schaffen. Sein zentrales Machtsystem ist der sogenannte «Pool Chirurgie». Ein «Kässeli», das Laffer als UBS-Privatkonto ausserhalb der Spitalrechnung führt.
Aus diesem Topf, in den jährlich fast eine Viertelmillion Franken fliesst, verteilt er seinen Ärzten Lohngeschenke, die er als «Prämien für besondere Leistungen» deklariert. Dazu finanziert er «Verbesserungsmassnahmen», PR-Aktionen oder Corporate-Identity-Massnahmen. Erst an fünfter Stelle der Aufzählung folgt die Finanzierung von Aus- und Weiterbildung. Weil diese allgemein gehaltenen Umschreibungen auch in einem Reglement aufgenommen wurden, kann Laffer für seine Klinik alle erdenklichen Ausgaben über dieses Konto abwickeln – inklusive ausschweifende Ärztefeste.
Konsterniert beschrieb ein Kadermitglied der Verwaltung schon vor fünf Jahren in einer E-Mail das System: «Ein Chefarzt bezahlt aus dem von ihm geäufneten Honorarpool Geschenke an Mitarbeiter oder spendet ein Fest, beides ohne Auftrag des Spitals, aber konform mit dem Poolreglement, nämlich zur Förderung der Corporate Identity oder der PR.»
Gespeist wird der besagte Pool durch die «freiwillige Überweisung» von 10 Prozent der ordentlichen Arzthonorare von Professor Laffer und seiner leitenden Ärzte, wie die Spitalleitung in einer Stellungnahme schreibt. Also von jenem Teil der Gelder, die die Ärzte neben ihrem ordentlichen Gehalt mit der Behandlung von Patienten im Zusatzversicherungsbereich verdienen. Einer spitalinternen Quelle zufolge könne aber von Freiwilligkeit keine Rede sein. Der Chefarzt gebe vor, wie die Regelung funktioniere, die Ärzte gehorchten.
Dazu kommen gemäss Angaben des Spitals jährlich rund 20'000 Franken Sponsorengelder der Industrie sowie knapp 10'000 Franken für Blutproben, die die Chirurgie-Ärzte während ihrer Notfalldienste für Alkoholtests der Polizei erhalten.
Ein weiteres Kässeli trägt spitalintern den Namen «virtueller Pool». Doch diese Kasse ist alles andere als virtuell. Es handelt sich ebenfalls um ein Privatkonto des Chefchirurgen bei der UBS. Mit diesem Pool will Laffer das Lohngefälle zwischen den Ärzten ausgleichen. Ein Lohnumverteilungs-Mechanismus, wie ihn auch andere Schweizer Spitäler kennen.
Der kleine Unterschied: In Biel geschieht diese Lohnumverteilung ausserhalb der offiziellen Spitalrechnung. Dem Beobachter liegen Akten vor, die belegen, wie heikel die Geldumschichtung unter Kaderärzten ist. Denn Chefarzt Laffer zahlt seinen Ärzten diese Lohnbestandteile nach eigenem Gutdünken aus – auch wenn er betont, diese würden «nach gemeinsam definierten Kriterien aufgeteilt». In einem internen Manual der Spitalbuchhaltung steht indes unmissverständlich: «Am Jahresende wird die Verteilung je Arzt anhand eines durch den Chefarzt erstellten Schlüssels angegeben.» Sich selber überweist er jährlich rund 300'000 Franken, neben seinem Grundlohn von 200'000 Franken.
Die intransparenten Lohnzahlungen, die als «Prämien» bezeichneten Lohngeschenke sowie andere Zuwendungen sorgen im Spital immer wieder für Diskussionen. Der frühere Direktor schrieb zwei Jahre vor seinem Abgang einem Verwaltungsrat: «Ich bin mehr als schockiert, was da alles hintenrum läuft. Wo viel Geld ist, ist auch viel Versuchung.» Trotzdem hatte der Direktor nichts gegen die intransparente «Kässeli»-Wirtschaft unternommen.
Offenbar wurden die über Laffers Konti ausbezahlten Prämien und Lohnbestandteile von Begünstigten jahrelang nicht als Einkommen deklariert. Ein Kaderangestellter der Verwaltung teilte dem damaligen Direktor mit, die Lohngeschenke «könnten in verschiedenen Fällen den Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllen». Mehr noch: «Es kann sein, dass sich das Spitalzentrum der Beihilfe zur Steuerhinterziehung schuldig gemacht hat.» Er stellte sich auf den Standpunkt, der Chefarzt müsste solche Honorare zuerst als Einkommen versteuern, bevor er Teile davon als «Geschenke» seinen Ärzten weiterverteilen dürfte. Ob die Begünstigten diese heute vollständig versteuern, ist nicht klar.
In seiner «Kässeli»-Wirtschaft sieht Laffer nichts Anrüchiges. Auch die Spitalführung nicht. Sie teilt dem Beobachter mit: «Für den ‹Chirurgie-Pool› besteht ein von der Spitaldirektion genehmigtes Reglement, das die Speisung und die Verteilung regelt.» Zudem müsse die Chirurgie der Verwaltung «periodisch einen detaillierten Kontoauszug vorlegen».
Bezüglich des «virtuellen Pools» tut die Spitalleitung so, als ginge sie dieser nichts an. Es handle sich dabei um eine «Vereinbarung privater Natur».
Mit seinem Vorgehen setzt sich Laffer über Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften hinweg. Pikant dabei: Laffer gehörte selbst jener Arbeitsgruppe an, die 2006 die besagten Richtlinien «Zusammenarbeit Ärzteschaft – Industrie» verabschiedet hatte. Sie wären eigentlich für alle Ärzte verbindlich.
Die Akademie hält unter anderem fest, dass Sponsorengelder über die Buchhaltung des Spitals fliessen müssen. Damit will sie verhindern, dass Gelder über intransparente Kanäle direkt von privaten Firmen an Ärzte fliessen und der Anschein möglicher Abhängigkeiten entstehen könnte. In diesem delikaten Bereich verlangt die Akademie von den Ärzten, «ohne Vertrag oder adäquate Gegenleistung keine persönlichen Geld- oder Naturalleistungen» entgegenzunehmen, die «das Mass finanziell unbedeutender kleiner Anerkennungen übersteigen».
Laffer foutiert sich darum. Er verschickt mehrmals pro Jahr eigentliche Bettelbriefe an Pharmafirmen. Darin bittet der Chefarzt zwar um konkrete Beiträge für «interdisziplinäre Aus- und Fortbildung». Zugleich nennt er aber den tatsächlichen Verwendungszweck: «Dank der seit Jahren unverminderten Grosszügigkeit der Sponsoren konnten wir den Anlässen stets einen würdigen gesellschaftlichen Rahmen geben.»
Bis vor zehn Jahren waren Gelder von Pharmafirmen für gesellschaftliche Anlässe gang und gäbe. Heute verlangt das Gesetz, dass Ärzte (etwa bei Kongressen) Reise, Unterkunft, Essen sowie das Rahmenprogramm selber bezahlen müssen.
Das hindert Laffer nicht daran, Firmen als Sponsoren ins jährliche Mitarbeiterfest einzubinden. Pharmaunternehmen können hier «Naturalleistungen» erbringen: Sie betreuen mit eigenen Mitarbeitern an einer Art Postenlauf einen Stand. Längst wurde über die Jahre hinweg aus dem «Team-Anlass» ein verkapptes Spitalfest – 2009 sogar mit einem Feuerwerk. Einen anderen Anlass nennt Laffer «Erntedankfest».
Auch der schier unbeschränkte Zugang der Industrie zu seinem medizinischen Personal ist für Laffer kein Problem. Er stellt sich auf den Standpunkt, wenn mehrere Sponsoren dabei seien, entspreche dies «ganz den Vorgaben der Akademie der Medizinischen Wissenschaften».
Dort schüttelt Generalsekretär Hermann Amstad den Kopf über diese Haltung. Die Pools bezeichnet er als «Reptilienfonds» und als «klassische Kässeli», die sich weder mit den Richtlinien der Akademie vertrügen noch zeitgemäss seien. Amstad: «In Biel scheint es etwas länger zu dauern, bis die Spitalleitung im Sinn einer transparenten Unternehmensführung klare Vorgaben macht.»
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