Viel zu wenig Geld für die Pflege
Für Betroffene und Angehörige verursacht Demenz viel Leid und Pflegeaufwand. Damit nicht genug: Sie müssen auch noch mehr als 40 Prozent der Kosten übernehmen.
Veröffentlicht am 22. Mai 2018 - 15:48 Uhr,
aktualisiert am 24. Mai 2018 - 15:37 Uhr
Wenn Iris Perle mit Angehörigen von Demenzkranken spricht, geht es fast immer ums Geld. «Viele fürchten, dass sie ihr Haus oder ihr Angespartes verlieren», erzählt die Pflegefachfrau. «Aus Angst vor den hohen Kosten nehmen sie nicht einmal die Entlastung für pflegende Angehörige an. Dabei ist die so wichtig.»
Perle hat im Thurgau ein Netz von Beratern mit aufgebaut, die Betroffene auch aufsuchen. Ein Angebot, das dringend nötig ist. «Viele wissen zum Beispiel nicht, dass bei Demenz ein Anspruch auf Hilflosenentschädigung besteht. Aber es geht meist nicht ohne fachkundige Hilfe, wenn man das Antragsformular richtig ausfüllen will.»
Bei Demenzerkrankungen geht es sehr schnell um sehr viel Geld. Das zeigt eine aktuelle Hochrechnung von Alzheimer Schweiz. 2017 beliefen sich die Kosten schweizweit auf 9,5 Milliarden Franken. Darin eingerechnet sind 4,2 Milliarden Franken, die in keiner offiziellen Statistik auftauchen. So viel Wert hat die Arbeit, die Angehörige gratis leisten.
Die Grundversicherung deckt zwar alle anerkannten Leistungen für Demenzkranke . Doch diese brauchen mehr Pflege und Betreuung als andere Kranke. So sind meist mehrere Anläufe nötig, bis sie die Pflege überhaupt akzeptieren. Solche Mehrleistungen kann die Spitex oft nicht verrechnen.
Nicht nur für die Eltern kann die Pflege zur Belastung werden, sondern auch für die Kinder. Beobachter-Mitglieder erhalten in der Checkliste «Pflege im Alter» weitere Infos, wie sich körperliche Alarmzeichen bemerkbar machen und welche Hilfsstellen sie zur Entlastung ansprechen können.
Das gilt auch für andere Leistungen wie etwa das «Eingeben der Nahrung», das die Grundversicherung zahlt. Bei vielen Demenzkranken genügt es, wenn ihnen jemand beim Essen und Trinken zuschaut. Da das aber als Betreuungsleistung gilt, also nicht zur Grundpflege zählt, gibts kein Geld. «Betroffene zahlen die Zusatzkosten entweder selber oder verzichten auf die benötigte professionelle Hilfe», sagt Christian Streit, Geschäftsführer des Verbands wirtschaftlich unabhängiger Alters- und Pflegeeinrichtungen Senesuisse.
Im Rahmen der nationalen Demenzstrategie sollen solche Missstände nun korrigiert werden. Spezifische Leistungen für Demente sollen neu zur Grundpflege gehören. Wie hoch die Mehrkosten sein werden, ist noch unklar. Experte Streit sagt aber schon jetzt resigniert: «In der Politik wird die Lösung von Problemen gerne hinausgeschoben. Besonders wenn sie etwas kostet.»
Das zeigt das Hickhack um das Pflegebedarfssystem RAI-Index 2016. Es basiert auf dem effektiven Pflegeaufwand für Demenzkranke und wurde in den Kantonen Solothurn und Freiburg eingeführt. Doch weil Krankenversicherer dagegen klagten, warten andere Kantone mit der Einführung des Index zu. Zudem gibt es regelmässig Konflikte um die «Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung». Vor allem wenn jemand viel Pflege braucht und ein Heimaufenthalt für die Kassen billiger wäre.
Verschärfend kommt hinzu: Die Beiträge der Krankenkassen sind seit 2011 eingefroren, und viele Kantone foutieren sich um die Finanzierung der Restkosten. So versuchen Pflegeheime, ungedeckte Kosten über Betreuungspauschalen und höhere Pensionspreise wieder hereinzuholen. Evelyne Hug von Alzheimer Schweiz hofft auf den Bundesrat und den angekündigten Bericht zur Pflegefinanzierung. «Vielleicht gibt es da konkrete Zahlen, was alles auf die Patienten überbürdet wird.»
Viel Handlungsbedarf sieht Hug bei der Unterstützung der Angehörigen und der Finanzierung von Entlastungsangeboten. Laut einem Bericht des Bundesrats von 2014 unterstützen nur fünf Kantone und elf Gemeinden die betreuenden Angehörigen. Und das meist nur sehr bescheiden.
Demenz überfordere viele Angehörige. Daher sei ihre Entlastung auch so wichtig, sagt die Thurgauer Gesundheitspflegefachfrau Iris Perle. Denn: «Wenn der Demenzkranke zum Beispiel die Zeitung auf die Herdplatte legt oder in der Stube neben dem Cheminée ein Feuer anzündet, kommen Angehörige an ihre Grenzen. Sie brauchen dann Unterstützung.»
Für die finanzielle Unterstützung von Demenzkranken sind verschiedene Versicherungen oder Stellen zuständig.
- Abklärungen durch Hausarzt oder Memory-Klinik: Im Normalfall sind alle Leistungen durch die Grundversicherung gedeckt.
- Andere ärztliche Leistungen und Medikamente: Die Grundversicherung zahlt Untersuchungen, Behandlungen und Medikamente, die «wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich» sind. Kein Geld gibt es, wenn die Grenzwerte beim Mini-Mental-Status-Test (MMST) nicht erreicht werden. Zudem zahlt die Grundversicherung Logopädie sowie Physio- und Ergotherapie nur, wenn sie von diplomierten Therapeuten im Auftrag des Arztes durchgeführt werden.
- Pflege zu Hause durch die Spitex und andere: Die Grundversicherung zahlt Untersuchungen, Behandlungen und Grundpflege, die auf ärztliche Verordnung durch die Spitex oder anderes anerkanntes Pflegepersonal erbracht werden. Und nur, wenn deren Pflege «wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich» ist – oft ein Streitpunkt. Es gelten Franchisen und Selbstbehalte. Je nach Kanton müssen bis zu 15.95 Franken pro Tag selber bezahlt werden.
- Weitere Pflege- und Betreuungskosten zu Hause: Wenn man für alltägliche Lebensverrichtungen auf Hilfe oder eine persönliche Überwachung angewiesen ist, zahlt die Hilflosenentschädigung einen bestimmten Beitrag. Er hängt vom Grad der Beeinträchtigung ab, unabhängig vom Einkommen und Vermögen. Allenfalls besteht auch Anspruch auf einen Assistenzbeitrag der Invalidenversicherung (IV). Wer Ergänzungsleistungen (EL) bezieht, hat zusätzlich Anspruch auf Vergütungen von Krankheits- und Behinderungskosten. Dazu gehören die Kosten für die Betreuung zu Hause und in Tagesstrukturen.
- Pflege und Hilfe durch Angehörige: Einzelne Kantone oder Gemeinden zahlen unter bestimmten Bedingungen Pflegebeiträge an pflegende Angehörige. EL-Bezüger können je nach Kanton auch eine Entschädigung für pflegende Angehörige einfordern. Bedingung: Der Angehörige muss wegen der Pflege eine gewichtige Einkommenseinbusse erleiden und darf keine AHV-Rente beziehen. Beim Demenzkranken muss mindestens eine Hilflosigkeit mittleren Grades vorliegen.
- Hilfsmittel, Anpassungen der Wohnung: Für alle, die nicht im AHV-Alter sind, gelten die Regeln der IV. Sie zahlt Rollstühle, Elektrobetten und gewisse Anpassungen in der Wohnung. Der Anspruch bleibt nach der Pensionierung erhalten. Für alle im AHV-Alter gilt die Hilfsmittel-Liste der AHV. EL-Bezüger erhalten die Kosten für Hilfsmittel für die Pflege zu Hause zurückerstattet. Auch die Grundversicherung übernimmt bei ärztlicher Verordnung Leistungen, etwa bei Inkontinenz.
- Transportkosten: Die Grundversicherung übernimmt bis zu 50 Prozent der Kosten für medizinisch nötige Krankentransporte, maximal 500 Franken pro Kalenderjahr. Höhere Kosten übernehmen manche Zusatzversicherungen. Behinderte Personen, die nicht allein reisen können, erhalten eine SBB-Ausweiskarte, mit der die Begleitperson gratis reist (gibt es in Sonderfällen auch für die behinderte Person).
- Pflege im Heim: Die Grundversicherung zahlt einen Teil der Pflegekosten gemäss Pflegebedarfsstufe. Den Rest zahlen Kanton oder Gemeinde sowie die Heimbewohner bis zu einem Maximalbetrag von 21.60 Franken pro Tag. Heimbewohner müssen für die Pensions- und die sogenannten Betreuungskosten aufkommen. Reicht das Geld nicht, können sie EL und allenfalls kantonale oder kommunale Pflegekostenzuschüsse beantragen.
- Weitere Infos: www.alz.ch
Wenn Eltern älter werden, erreichen sie irgendwann den Zeitpunkt, an dem sie ohne Hilfe nicht mehr auskommen. Unterstützung im Alter finden sie aber nicht nur bei Angehörigen, sondern auch bei spezialisierten Organisationen und nicht zuletzt auch in Pflege- und Altersheimen, auch wenn dieser Schritt vielen eher weniger gefällt. Beobachter-Mitglieder erfahren unter anderem, welche Wohnformen im Alter in Frage kommen, wie sich die Finanzen regeln lassen und was getan werden kann, sollte es Probleme im Pflegeheim geben.
3 Kommentare
Ich pflegte meine dement werdende Mutter bis zu ihrem Tod und ja ich fühlte mich alleine gelassen, vom Staat, den Behörden und allen. Ich werde darüber ein Buch schreiben und mit der Schweiz erbarmungslos abrechnen.
Als meine Mutter zunehmend dement wurde, wurde alles schwierig. Sie konnte teilweise nicht mehr kochen, ich musste für sie das übernehmen. Dann rannte sie davon, wollte dies und jenes machen, ich musste ihr das Essen 2-3 aufwärmen - weil kalt mochte sie es nicht. Es war ein Machtkampf. Die Spitex hatten wir zur Körperpflege und dass diese, ihr die Medis verabreicht würden.
Ich bin unter anderem ausgebildetet Krankenschwester, aber ich hielt diesen Machtkampf bei der Medikamenten-Abgabe nicht durch und musste das delegieren. Aber die Spitex erwies sich als unfähig, sie kooperierte nicht, hielt sich an keine Abmachungen und war völlig überfordert, was Dementenbetreuung anbelangte, es war die reinste Katastrophe und für mich wurde die Betreuung meiner Mutter zum täglichen Spiessrutenlauf.
Weiter kam der Kampf ums Geld ins Spiel: z.B. Riss ein Sturm die Sonnenstoren am Haus herunter - die Gebäudeversicherung Baselland zahlte nicht - anscheinend war der Sturm nach deren Skala um einen Punkt zu wenig stark - meine Mutter die nur eine AHV hatte, weil die Pensionskasse im abbezahlten Haus steckte - damit sie im Alter mietfrei wohnen kann, durfte ausser den hohen Steuern wegen dieses verrückten Eigenmietwertes nun auch noch für mehrere Tausend Franken die Sonnenstoren alleine reparieren. Seit ihrer Star-operation vertrug sie kein direktes Sonnenlicht mehr - deshalb war diese Investition notwendig.
Vor mehreren Jahren stürzte sie die Treppe runter und musste auf eigene Kosten einen Treppenlieft von 17'000 einbauen lassen. So schmolz ihr Erspartes - was für Notfälle war - dahin. Dann eine neue Heizung, Klosomat musste ersetzt werden etc etc. Das Geld reichte hinten und vorne nicht. Als einmal die Krankenkasse nicht mehr bezahlen wollte - wurde sie aus dem Spital entlassen - kaum zuhause, zu schwach, Beckenringraktur - zurück in Spital, wieder wegen Fallpauschale frühzeitige Entlassung, da sie aber so schwach war musste sie ins Alten- und Pflegeheim. 10'000.-- für einen Monat, als sie sich erholt hatte, holten wir sie nach Hause. Ihr Erspartes war nun auf ein gefährliches Minimum geschrumpft - was ihrem Wunsch zuhause sterben zu dürfen entgegen wirkte. Wieviele Stunden sind ich und mein Mann mit meiner Mama auf der Notfallstation gewesen, nachdem sie sich weider etwas gebrochen hatte: 2 x eine Beckenringfraktur. Schlüsselbeinfraktur, Handknochenwurzel-Fraktur, Schenkelhalsfraktur und zweimal das das Felsenbein. Wie oft mussten wir zu ihr fahren, wenn sie zuhause gestürzt war und wir sie wieder aufrichten mussten. Unzählige Stürze unzählige Stunden, wenn meine Mutter wieder im Delir war, weil sie zu wenig getrunken hatte. Wir hatten kaum Hilfe.
Hilflosen-Entschädigung bei Demenzkranken - da lachen ja die Hühner! Meine Mutter hatte nur eine AHV - die Pensionskasse steckte im selbstbewohten altersgerechten abbezhalten Haus. Meine Mutter zahlte 5000.-- Steuern bei einem Einkommen von 24'000.--. Aber Hilflosenentschädigung bekam sie erst ganz am Schluss - schon seit Jahren bezahlten wir ihr Essen, damit das Geld reicht und sie in ihrem gewohnten Umfeld, dem Haus, bleiben konnte, wo sie alles kannte und ihre kognitiven Fähigkeiten erhalten blieben.
Das Geld war das grösste Übel, ich hätte Hilfe gebraucht von extern, aber wir konnten uns nur die Spitex leisten - wo meine Mutter jeden Monat auch noch 200.-- aus eigener Tasche bezahlen musste!!!! Also nochmals 2400.-- einfach für die Katz! Dabei floss viel Geld in den Unterhalt des Hauses und jährlich schmolz das wenige Geld auf der Bank auch noch zusammen.
Die Hilflosen-Entschädigung bekamen wir erst zum Schluss! Als es ganz schlimm um Mama stand, dabei brauchte sie schon seit bald 10 Jahren Hilfe - es wurde immer mehr und ich leistete diese unbezahlte Arbeit. Kurz vor ihrem Tod erhielt sie noch 500.-- monatlich während 2 Monaten, dann starb sie! Es ist eine Sauerei wie wir in diesem Land einfach alleine gelassen werden! die Reiche Schweiz ein Schandfleck auf dem Globus was soziale Strukturen anbelangt.