Mein Schwiegersohn heisst Hörby. Als ich ihn zum ersten Mal sehe, trägt er ein blütenweisses T-Shirt, und da steht es, in blauer Schrift: «Hörbys». Der junge Mann sieht nett aus, er kommt pünktlich, streift die Schuhe ab, bevor er die Wohnung betritt, und hat ein Lausbubengesicht mit Dreitagebart. Momoll, das könnte was werden, denke ich und erkläre ihm mein Anliegen: Einen Spiegelschrank möge er montieren. Nicht schief, wenns geht, und stabil, bitte. Hörby nickt, begutachtet Wand und Kasten und macht sich flugs an die Arbeit.

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Ein Schwiegersohn wie aus dem Bilderbuch. Und einer, den jede und jeder haben kann. Denn eigentlich gehört er nicht zu mir. Hörby und ich sind in keiner Weise verwandt. Ich habe ihn geleast. Hörby ist ein Mietsubjekt, Schwiegersohn von Beruf. Wo auch immer Not am Mann ist, springt er ein. Für 50 Franken pro Stunde hilft er zügeln, füllt die Steuererklärung aus, bringt den Computer wieder zum Laufen oder montiert und entsorgt Möbel. Was ein guter Schwiegersohn halt so tut. In Wirklichkeit heisst Hörby Hrvoje Misic, ist Gründer, Inhaber und Chef des Schwiegersohnservice in Zürich.

Früher organisierte der ehemalige Bankangestellte Partys, verkaufte allerlei Waren und betrieb eine Zügelfirma, alles parallel. «Total anstrengend.» Dann brachte ihn die Mutter seiner damaligen Freundin auf die neue Geschäftsidee: «Sie hat mich für alle möglichen Dinge beansprucht. Ich stand dauernd im Einsatz, zügelte ihre Wohnung, brachte ihr bei, wie das Internet funktioniert, zeigte ihr, wie sie Musik auf den iPod lädt. Da dachte ich: Hey, daraus kannst du doch mehr machen.» Das Startkapital: eine Werkzeugkiste und ein Auto. Anfangs sei es finanziell schwierig gewesen, doch jetzt, nach zwei Jahren, läufts rund. «Ich kaufe wieder im Bioladen ein», sagt Hörby.

Der Vorteil: Kein schlechtes Gewissen

Nach einer Stunde hängt mein Schrank, mein Ausleih-Verwandter trinkt ein halbes Glas Wasser und zieht mit einem Lächeln von dannen. Von etwa 60 Personen, meist älteren Damen, wird er regelmässig engagiert. Die Vorteile eines Miet-Schwiegersohns liegen auf der Hand: Man kann ihn ohne schlechtes Gewissen für allerlei Arbeiten einspannen, die Beziehung bleibt stets entspannt und unverfänglich.

Und das passt gut in die heutige Zeit: Die Ära der Grossfamilie, in der vom Enkel bis zum Grossneffen alle im selben Haus oder zumindest im selben Dorf lebten, ist längst vorbei. Die heutige Durchschnittsfrau hat 1,5 Kinder, und die kleine Verwandtschaft ist in alle Winde zerstreut. Dass ein echter Schwiegersohn eben mal kurz von Altdorf nach Bülach fährt, um der Schwiegermutter den Rasen zu mähen, kommt eher selten vor. Umgekehrt würde kaum eine Schwiegermutter solches verlangen.

«Die ‹Kuhstallwärme› geht verloren»

An die Stelle der traditionellen Familie tritt da heute die Ersatzfamilie. In diesem Tauschgeschäft ist nicht Liebe die Währung, sondern Geld. Das befreit vom Zwang ewiger Dankbarkeit und vom Anspruch, mit gleicher Münze, nämlich in Form einer Dienstleistung, zurückzahlen zu müssen. Der Schwiegersohnservice verfängt, weil die Bezeichnung familiäre Geborgenheit und Wärme vermittelt, die Beziehung aber sachlich-distanziert bleibt.

Genau das ist wohl auch das Erfolgsrezept des Mami-Expresses, der vor zwei Jahren in Zürich entstand. Die Gründer Mile Cico und seine Partnerin Inma Pazos hätten ihren Service auch schlicht «Hausfrauenvermittlung» nennen können oder «Putzfrau plus». Die beiden tun im Prinzip nichts anderes, als Putzfrauen zu vermitteln, die auf Wunsch auch gleich die Wäsche bügeln, das Abendessen kochen oder die Kinder hüten. Unter der Bezeichnung Mami-Express, später ergänzt um den Papi-Express, der Handwerker vermittelt, ist die Firma aber so rasant gewachsen, dass bisweilen die Arbeitsbedingungen darunter litten (siehe unten: «Mami-Express»).

Der Basler Soziologe Ueli Mäder erklärt den Erfolg solcher Alltagsdienstleister mit zwei gegenläufigen Strömungen. «Es gibt einen Trend hin zu sachlicher Distanz. Zugleich wünschen sich aber viele auf der zwischenmenschlichen Ebene neue Verbindlichkeiten», sagt Mäder. Die Zwangsgeborgenheit, die «Kuhstallwärme» früherer Gemeinschaften, gehe in einer zunehmend arbeitsteiligen Gesellschaft verloren. Mäder spricht von einer «Entpersönlichung» sozialer Beziehungen. Gleichzeitig mache die Arbeitsteilung aber auch wieder neue Formen der Kooperation nötig und möglich. Dienstleistungen wie der Schwiegersohnservice oder der Mami- und der Papi-Express verbinden beide Trends und füllen damit jene Lücke, die der Zerfall der traditionellen Familie hinterlassen hat.

Karin Frick, Ökonomin und Trendforscherin am Gottlieb-Duttweiler-Institut, nennt die zunehmende Berufstätigkeit von Frauen als wichtigen Grund, weshalb die Hausarbeit vermehrt ausgelagert wird. Zudem dominiere heute eine Art von Leben, die Frick als «Business-Lifestyle» bezeichnet: «Alle, selbst Arbeitslose, haben ständig 1000 wichtige Projekte am Laufen. Es gibt einen gesellschaftlichen Druck, vielbeschäftigt sein zu müssen», sagt sie. Profane Arbeiten wie Putzen, Bügeln oder Möbelentsorgen sind unattraktiv und werden – sofern es das Budget erlaubt – lieber abgetreten. Zugleich habe niemand mehr Zeit, anderen Freundschaftsdienste anzubieten, und man will nicht in deren Schuld stehen. «Es ist einfach effizienter, jemanden gegen Geld zu engagieren, als im ganzen Freundeskreis herumzufragen, ob wohl jemand beim Möbeltransport helfen könnte.»

Mitspieler zum Besiegen gesucht? Marcus Riva (links) betreibt die Internetplattform «Friends to rent», auf der man «Freunde» mieten kann.

Quelle: Dan Cermak
Frauen aus Deutschland pflegen Senioren

Räumliche Distanz, Zeitnot und ein diffuses Unbehagen sind auch dafür verantwortlich, dass die Idee von Hanspeter Stettler sofort auf fruchtbaren Boden fiel. Vor vier Jahren gründete der gelernte Pflegefachmann den Hauspflegeservice: Stettler vermittelt älteren Menschen, die nicht mehr allein haushalten können, eine Tochter zum Mieten. In Anlehnung an die Au-pairs nennt er sie «Seniopairs»: lebenserfahrene Hausfrauen um die 50, die er überwiegend in Deutschland rekrutiert. Sie leben bei Schweizer Senioren im selben Haushalt, leisten ihnen Gesellschaft, erledigen die Hausarbeit, bekochen sie, gehen mit ihnen spazieren, einkaufen und helfen je nachdem bei der Körperpflege. «Diese Frauen entlasten Angehörige, die nicht selber pflegen können oder wollen, und zugleich die Betroffenen, die ihren Verwandten nicht zur Last fallen möchten», sagt Stettler.

Eine Betroffene ist G. S. aus Thun, eine zierliche 95-Jährige, geistig hellwach und voller Schalk. Neben ihrem Bett stapeln sich Bücher, kürzlich fing sie an, ihre Griechischkenntnisse wieder aufzubessern. Auch die Zähne sind noch alle da. Nur die Knochen sind brüchig, und manchmal macht der Kreislauf schlapp. Vor zwei Jahren blieb sie nach einem Sturz in der Wohnung einen Tag und eine Nacht am Boden liegen, bis eine Nachbarin sie fand. «Da war klar: Es geht nicht mehr.» Ihre Verwandtschaft lebt im Thurgau – zu weit weg. Und das grosse alte Haus gegen ein Zimmer im Altersheim zu tauschen – undenkbar! Zu tief ist die Verbundenheit mit all den Gegenständen, von denen jeder eine Geschichte erzählt und die alle an den geliebten, vor 30 Jahren verstorbenen Ehemann erinnern.

Deshalb lebt seit zwei Jahren Veronika Meissner bei ihr. Drei Wochen am Stück umsorgt die Mutter von fünf erwachsenen Kindern aus Bayern Frau S. in Thun, dann kehrt sie für drei Wochen zurück nach Hause und wird von einer zweiten «Seniopair» abgelöst. Ein Spagat mit Tücken, sagt sie. Mit einem Bein in Deutschland, mit dem anderen in der Schweiz – eine harte Probe für Beziehungen und Freundschaften. Doch der Arbeitsmarkt in Deutschland gibt nichts mehr her.

Und die Situation hat auch ihr Gutes: «Egal, ob ich nach Hause fahre oder hierherkomme, ich freue mich immer auf meine Kinder oder auf Frau S. Es ist kein fremder Ort mehr», sagt sie. Noch besser: «Alle freuen sich auf mich, wenn ich wiederkomme, und meine Arbeit wird sehr geschätzt.»

In harter Währung kommt diese Wertschätzung weniger stark zum Ausdruck. Stettlers «Seniopairs» sind keine Pflegefachleute, sondern Hauswirtschaftsangestellte. Sie verdienen rund 3200 bis 3700 Franken brutto. Nach Abzug von Sozialabgaben, Quellensteuer sowie Kost und Logis bleiben bei einem 80-Prozent-Pensum noch rund 1800 Franken. Wenig für eine Aufgabe, die mitunter nächtliche Bereitschaft erfordert.

«Das ist echte Lebensqualität»

Doch alles andere wäre kaum bezahlbar. Müsste Unternehmer Stettler Pflegerinnen einstellen, könnte sich den Dienst schlicht niemand leisten. Stattdessen soll ein spezielles Konzept die Qualität der Betreuung und das Wohlbefinden der Angestellten sicherstellen. Die Familie, die «Seniopairs», aber auch Spitex und Hausarzt bilden ein System, in dem jeder eine Rolle übernimmt. Vor jedem Neueintritt wird abgeklärt, welche Betreuung notwendig ist und wer was leisten kann. Drei Pflegefachleute bilden die rund 90 angestellten Hauswirtschafterinnen weiter und stehen ihnen stets zur Seite. Bei Frau S. übernimmt Marianne Nef diese Aufgabe – aus Überzeugung: «Im Heim läuft zwangsläufig alles nach einem fixen Plan, Essen, Spazieren, Aktivierungsübungen. Bei der Betreuung zu Hause sind wir frei und können nach Tagesform und Lust agieren. Das ist echte Lebensqualität», sagt sie. Nef und ihre Kolleginnen springen auch ein, wenn die «Seniopairs» selber mal Entlastung und Zeit zum Durchatmen brauchen.

Für 20 Euro eine Begleitung zum Essen

Entlastung, das hatte auch ich mir erhofft. Und zwar von einem jungen Mann, nennen wir ihn Dödel, der sich auf der Website friendstorent.com (deutsch: «Freunde zum Mieten») für allerlei Dienstleistungen hergibt. Für 25 Franken pro Stunde sammelt er Unterschriften – egal, wofür. 40 Franken verlangt er für seine Dienste als Personalvermittler. Mich lockte er mit dem Angebot «Recherchen jeglicher Art». Stundenlohn: 35 Franken. Günstig. Ich gab ihm den Auftrag – natürlich nicht so offensichtlich –, diesen Artikel zu recherchieren. Macht Dödel das besser als ich, würde ich die Sache mit keinem Wort erwähnen. Versagt mein Mietfreund, würde ich es an die grosse Glocke hängen und damit beweisen, dass mein Lohn durchaus gerechtfertigt ist. Dreimal dürfen Sie raten, was passiert ist: Dödel liess mich hängen – zum Glück.

Friendstorent.com ist eine Schweizer Erfindung. Die Aktivitäten konzentrieren sich momentan aber vor allem auf Berlin, erklärt Plattformgründer Marcus Riva. Dort laufe der Dienst gut: «Ich weiss von einer Studentin, die sich regelmässig für 20 Euro pro Stunde mit Geschäftsleuten trifft, die lange arbeiten und einfach nicht gern allein zu Abend essen. Sie ist total begeistert», sagt Marketingfachmann Riva. Die Idee für ein Internetportal, über das man Freundschaftsdienste kaufen kann, kam dem dreifachen Vater bei einem Spaziergang mit dem Vierbeiner. Wenige Monate später ging der Jungunternehmer zusammen mit einem Partner online. Als Nächstes wolle man Geld verdienen. Künftig werden die Mietfreunde für verkaufte Dienste den Betreibern eine kleine Provision abdrücken müssen.

Nachdem mein Recherchierfreund abgetaucht war, startete ich noch ein paar Versuche, ein Gspäändli anzuheuern – diesmal bloss für ein wenig Unterhaltung beim Feierabendbier. Doch eine Frau, die einen Mann zum Ausgehen mieten will, muss wohl ziemlich verzweifelt wirken. Meine Mailbox jedenfalls blieb leer.

Gut, gibt es noch echte Freunde.

Mami-Express: Unfaire Arbeitsverträge

Auf seiner Website preist sich der Mami-Express als fairer Arbeitgeber, dessen Dienste wenig kosten und der gute Löhne zahlt. Das stimmt: Von den 31 Franken, die der Kunde pro Stunde zahlt, kann das Miet-Mami netto 23 behalten – so viel wie sonst kaum eine Putzfrau. Wer sich allerdings die Anstellungsbedingungen anschaut, kam zumindest bis vor kurzem ins Staunen. Der Arbeitsvertrag und insbesondere das dazugehörende «Betriebsreglement» strotzten vor widerrechtlichen Regelungen, von Fairness keine Spur. «Der Arbeitgeber wälzt unternehmerische Risiken auf die Arbeitnehmer ab. In dieser Häufung habe ich das noch nie gesehen», sagt der Arbeitsrechtler Christian Zingg von der Beratungsstelle impuls-treffpunkt des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks (SAH) in Zürich.

Miet-Mamis mit Aufenthaltsbewilligung B wurden beispielsweise verpflichtet, die Gebühren für das Einholen der Arbeitsbewilligung und den Verwaltungsaufwand für den Quellensteuerabzug selber zu tragen. Doch gemäss Zingg ist das klar Aufgabe des Arbeitgebers. «Diese Kosten dürfen nicht überwälzt werden.» Per Betriebsreglement wurden den Mamis zudem reihenweise Konventionalstrafen angedroht, etwa wenn sie nicht oder unpünktlich zur Arbeit erscheinen oder wenn sie den Arbeitsrapport falsch ausfüllen. Auch dies ist nicht zulässig: «Disziplinarstrafen dürfen nur betrieblich vorgesehen werden, wenn zum Beispiel Sicherheitsbestimmungen zum Schutz des Arbeitnehmers verletzt werden», sagt Zingg.

Beim Anruf des Beobachters gibt sich Mami-Express-Geschäftsführerin Inma Pazos einsichtig: «Uns war nicht bewusst, dass wir gegen Arbeitsrecht verstossen. Wir werden die Verträge umgehend überarbeiten und allen neu zustellen.» Zwei Tage später sind die heiklen Punkte ersatzlos gestrichen, und Pazos erklärt, man habe viele Regelungen wegen einzelner schlechter Erfahrungen eingeführt. «Wir haben aber nie eine Strafe ausgesprochen oder Administrationsgebühren eingezogen. Wir wollen ein guter Arbeitgeber sein», sagt sie. Das Geschäft sei einfach sehr schnell gewachsen.