Die kleine Stadt in den Pyrenäen hat nur 17000 Einwohner. Aber sie wird pro Jahr von fünf Millionen Menschen aus 150 Staaten besucht. Für das Hotelgewerbe ist dieser Ort der zweitwichtigste in ganz Frankreich – nach Paris. Die Poststelle des Städtchens verarbeitet jährlich über sechs Millionen Briefe und Postkarten. Der Name der Stadt? Lourdes (Bild).

Ein Fünftel aller Lourdes-Pilger ist krank. Viele sind geistig, psychisch oder körperlich behindert, leiden unter chronischen Schmerzen oder stehen kurz vor dem Tod. Sie alle kommen, weil sie glauben: an Wunder, an die «Offenbarung göttlicher Macht und göttlichen Handelns».

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Seit 1862 wurden in Lourdes 65 Menschen auf wundersame Weise geheilt, so mindestens sagt es die römisch-katholische Kirche: unheilbar Krebskranke, Blinde, Menschen mit multipler Sklerose. Sie alle hatten die berühmte Grotte besucht, in der die Jungfrau Maria der heiligen Bernadette erschienen war. Zuletzt soll 1976 ein kleines Mädchen mit einem bösartigen Tumor im rechten Knie geheilt worden sein.

Der Glaube kann bekanntlich Berge versetzen – und offenbar auch Krankheiten heilen. Es müssen gar nicht immer Wunder sein. Auch der «alltägliche», gelebte Glaube hilft beim Gesundwerden. Das behaupten nicht nur Priester und Kirchgänger, dafür gibt es heute handfeste wissenschaftliche Beweise.

Vertrauen in die Zukunft
Gläubige Menschen erholen sich rascher von schweren Operationen. Sie brauchen nach dem Eingriff weniger Medikamente und müssen weniger lang im Spital bleiben. Für Emmy Müller, katholische Spitalseelsorgerin im Kantonsspital Basel, ist dies nicht überraschend: «Gläubige können Vertrauen in die Zukunft haben. Menschen, die nicht glauben, verbrauchen viel Kraft beim Hadern mit dem Schicksal – diese Energie fehlt ihnen im Kampf gegen die Krankheit.»

Werden Menschen gläubiger, sobald es ihnen schlecht geht? Gott als letzte Instanz, an die man sich wendet, wenn alle anderen Mittel versagen? «Nein», sagt Emmy Müller. «Nur wenige Leute, die ihr Leben lang nichts von Gott wissen wollten, besinnen sich im Krankheitsfall plötzlich auf ihn.» Das Gegenteil könne genauso gut passieren: dass Menschen, die einen schweren Schicksalsschlag erleiden, sich – wenigstens zeitweise – vom Glauben abwenden.

Religion hilft aber nicht erst, wenn man krank ist. Glauben unterstützt auch das Gesundbleiben. So bekommen Menschen, die regelmässig Gottesdienste besuchen oder beten, seltener einen Herzinfarkt, eine Leberzirrhose oder Tuberkulose. Ihr Blutdruck ist durchschnittlich tiefer, sie leiden viel weniger unter Depressionen, und ihr Sterberisiko liegt 28 Prozent unter demjenigen der «Ungläubigen».

Wie das? Hält Gott wirklich eine schützende Hand über seine Schäfchen? Vielleicht. Es gibt aber auch andere, selbst Atheisten zugängliche Erklärungen.

Die Mitglieder von religiösen Gemeinschaften halten sich oft an Werte, die nicht nur dem Geist, sondern auch dem Körper gut tun: Sie halten Mass mit Alkohol, Tabak und Drogen, haben meistens nur einen Sexualpartner und unterstützen sich gegenseitig in der Gemeinde.

Beten hat zudem – ähnlich wie autogenes Training oder Meditation – einen entspannenden Effekt: Atmung und Herzschlag verlangsamen sich, und der Blutdruck sinkt ab. Ausserdem werden durchs Beten die Stresshormone im Blut reduziert, was im Idealfall chronische Schmerzen und andere durch Stress und Nervosität ausgelöste Beschwerden lindern kann.

Die Gesundheitskosten sinken
Laut einer US-Studie kommt eine Operation am offenen Herzen bei gläubigen Patienten im Durchschnitt 4200 Dollar billiger als bei ungläubigen – hauptsächlich deshalb, weil die Patienten früher aus dem Spital entlassen werden können.

Die Religion als Kostenfaktor im Gesundheitswesen? Nicht für alle klingt dies blasphemisch. So rechnete der amerikanische Mediziner Herbert Benson von der Harvard-Universität aus, dass sich in den USA bis zu 50 Milliarden Dollar jährlich einsparen liessen, wenn die Religiosität im Gesundheitswesen vermehrt gefördert würde. Der Grund: weniger Arztbesuche wegen stressbedingter Beschwerden. Einer Mehrzahl der Patienten würde Bensons Vorschlag offenbar gefallen: 63 Prozent aller Amerikaner fänden es gut, wenn der Arzt mit seinen Patienten über spirituelle Dinge spräche. 56 Prozent sind gar davon überzeugt, dass ihr Glaube ihnen schon dabei geholfen hat, sich von einer Krankheit zu erholen. Doch die meisten Ärzte meiden offenbar das Thema: Nur mit zehn Prozent der Befragten hat der Hausarzt schon jemals über Glaubensdinge geredet.

Und Lourdes? Ist es wirklich sinnvoll, bei einer fortgeschrittenen Krebskrankheit noch auf ein göttliches Wunder zu hoffen? Emmy Müller meint: «Viele Kranke, die nach Lourdes fahren, kommen gestärkt zurück. Die Erfahrung, dass sie nicht allein sind, sondern dass es noch andere Leidende gibt, vermittelt ihnen grossen Trost.» Und auch, dass sie Solidarität zu spüren bekommen. «Tausende von jungen Leuten sind immer wieder bereit, Kranke nach Lourdes zu begleiten», sagt Emmy Müller. «Sie opfern dafür ihre Ferien und zahlen oft sogar die Reise selber. In der heutigen Zeit, wo immer weniger Solidarität zwischen Gesunden und Kranken spürbar wird, ist dies für mich das eigentliche Wunder von Lourdes.»

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Weitere Infos

Buchtipps

  • Helga Anton: «Beten wirkt Wunder.»
    Erfahrungen einer hauptberuflichen Beterin. Brunnen-Verlag, Fr. 14.90

  • Christoph Hinz: «Die Krankheitspsalmen.»
    Ein Gespräch mit ihren Betern. Evangelische Verlagsanstalt, Fr. 15.80

  • Louis Savary und Patricia Berne: «Die heilende Kraft des Betens.»
    Spirituelle Energien wecken und verstehen. Hugendubel, Fr. 19.40

  • Harold George Koenig: «Healing Power of Faith; Science Explores Medicine’s Last Great Frontier.»
    Simon & Schuster, amerikanische Ausgabe, 44 Franken

  • Larry Dossey: «Heilende Worte.»
    Die Kraft der Gebete und die Macht der Medizin. Verlag Martin B., 44 Franken


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