Bei den Betuchten und den Bescheidenen
Zwischen Riemenstalden und Feusisberg liegen 27 Kilometer – und Welten. Wie die Armen von hier und die Reichen von dort ticken. Und weshalb es an beiden Orten verpönt ist, als «arm» oder «reich» zu gelten. Ein Lehrstück über die Schweiz aus dem Kanton Schwyz.
Wer das Bergdorf Riemenstalden ansteuert, sollte behutsam sein. Zuerst die stotzige Strasse vom Urnersee hinauf, der einzige Weg in den Talkessel – schmal, kurvig, wellig. Bei der Einfahrt in den Ort ein erstes freundliches Warnschild. «Vorsicht Kinder», Sujet: Kind auf Traktor. Später «Vorsicht Kinder» einmal mit Fuchs, einmal mit Waschbär. Und ein paar Kehren weiter oben, weniger freundlich: «Lawinen!». Steinschlag und Murgänge sind hier Alltag. Die Schutzbauten an der Flanke des Klingenstocks reichen bis fast in den Dorfkern auf 1030 Meter Höhe.
Riemenstalden ist exponiert, auch in der Statistik. Mit 84 Einwohnerinnen und Einwohnern ist es die kleinste Gemeinde im Kanton Schwyz. Und vor allem: Es ist die ärmste Gemeinde der Schweiz. Dies zumindest, wenn man als Richtgrösse die direkten Bundessteuern heranzieht, die überall gleich erhoben werden (weitere Informationen und interaktive Tools finden Sie in diesem Beobachter-Artikel
). Im Durchschnitt 63 Franken pro Kopf und Jahr zahlen die Menschen in Riemenstalden über diese Steuer; schweizweit liegt der Wert bei 2879 Franken.
Aber wehe, man nimmt das Wort «arm» in den Mund. Mit wem man auch spricht in Riemenstalden: Bei dieser Zuordnung schnellen die Augenbrauen in die Höhe. «Arm»? Sicher nicht! Zu absolut, zu negativ. Man einigt sich auf «bescheiden». Damit können sie leben hier, gut sogar.