Einlochen mit dem Minigolf-Weltmeister
Minigolf ist eine Schweizer Erfindung – und mehr als nur ein Hobby. Zumindest für Beat Wartenweiler. Wir haben dem amtierenden Weltmeister beim «Millimeterlen» im Training über die Schulter geschaut.
Veröffentlicht am 8. Juli 2022 - 15:07 Uhr
«Soll ich den Geheimwaffenball holen?», sagt eine Stimme aus dem Dickicht. «Schlag mit Gefühl!», ruft eine zweite. Hinter Sträuchern lassen sich Männer erspähen. Sie lachen und fluchen; auf Französisch, Wallisertiitsch oder wild gemischt. Minigölfler in Uniform. Sportshirt und Dächlikappe, farbige Sneakers auf rotem Beton, den metallenen Schläger im Schlepptau.
Zum Plausch sind sie nicht da. Zumindest nicht nur. Am Wochenende finden hier in Grenchen die Schweizer Meisterschaften statt. In den Tagen davor wird auf der Anlage trainiert. Bis jeder Schlag sitzt, jeder Winkel berechnet, der beste Ball auserkoren ist.
Fremde fallen auf, vor allem jene mit Schreibblock und Kamera. «Die Medien wollen wieder zum Beat!», heisst es. Zeigefinger deuten auf Bahn 7: Weitschlag über den Rasen. Hier schauen wir Beat Wartenweiler dabei zu, wie er immer neue Bälle aus den Tiefen seiner Hosentaschen zaubert. «Wir hätten hier einen Europameister!», ruft ein welscher Spieler. Aber wer für Minigolf extra hierhinfährt, will natürlich zum Weltmeister.
Und damit das gleich geklärt ist: Ja, es gibt eine WM im Minigolf. Das werden die Spieler ständig gefragt. Man gewöhne sich dran; Augenrollen, Schulterzucken.
Ein Held für ein paar Stunden
Für viele ist Minigolf eine Aktivität fürs Wochenende, wie Kino oder Zoo. Auch Beat Wartenweiler rutschte zufällig rein. Mit 13 besuchte er einen Schnupperkurs und war so begeistert, dass er sofort einem Verein beitrat. Über zehn Jahre blieb er dabei – wurde Profi und reiste 2019 an seine erste WM in China. Als Aussenseiter, ohne Erwartungen. Im Achtelfinal sah es für den 24-Jährigen nach 12 von 18 Bahnen himmeltraurig aus. Dann rollte das Runde ins Runde – immer wieder. Kurz vor Schluss verlor der Gegner die Nerven. Bald ging es Schlag auf Schlag: Gleichstand, Stechen, Sieg.
Ein paar Stunden wurde Wartenweiler von den Minigolfern gefeiert wie ein Held. Auf einer abgeriegelten Anlage irgendwo in Zhouzhuang, ganz ohne Publikum. Dann packte er Pokal und Schläger ein und kehrte dahin zurück, wo ihn niemand kennt: nach St. Gallen. Am Montag arbeitete er wieder als Lokführer, als wäre nichts gewesen. Nicht einmal ein Weltmeister kann vom Minigolf leben.
«Hopp, die Presse wartet», scherzt der Trainer. Schon drängen wir uns mit dem Profi unter einen Sonnenschirm. Man könnte meinen, ein Weltmeister habe sich an Interviews und Fototermine gewöhnt. «Der öffentliche Trubel liess nach der WM rasch nach», winkt er ab. Einzelne Berichte, Videos, ein Podcast – dann interessierten sich wieder alle für Fussball. Ihm sei das recht, für ihn habe sich nicht viel verändert. «Nur weil ich Weltmeister bin, spiele ich ja nicht fundamental besser und gewinne ständig.» Noch immer brauche er auch mal drei (flüsternd: «oder sogar vier») Schläge und schlafe vor Wettkämpfen schlechter ein.
Das wird auch in ein paar Tagen so sein. Fünfmal in Folge gewann sein Verein, der MC Eichholz Gerlafingen, die Schweizer Meisterschaften, der sechste Sieg soll nun folgen. Je nach Modus treten die Spieler allein oder im Team an. Auch Frauen, von denen an diesem Montag auf der vollen Anlage aber kaum eine zu sehen ist.
Ergibt es überhaupt Sinn, dass sich alle auf dieselbe Anlage quetschen? «Die Bahnen sind zwar genormt, unterscheiden sich aber trotzdem», erklärt Wartenweiler. Mal reisse eine Baumwurzel Risse in den Beton, mal sei das Gelände uneben oder die Oberfläche der Hindernisse bröckelig. Alles müsse von Montag bis Donnerstag ergründet werden – und beim nächsten Turnier von neuem.
In der Schweiz wimmelt es von Minigolfanlagen, hier liegt auch die Geburtsstätte des Sports. Zwar entstanden schon in den 1940er-Jahren kleinere Golfplätze in England oder Amerika. Doch es war der Genfer Gartenarchitekt Paul Bongni, der das Konzept als Erster patentieren liess: 18 Bahnen, für alle zugänglich. Auf jeder Anlage stehen dieselben Hindernisse, gelten dieselben Regeln. Die erste wurde 1954 in Ascona eröffnet. Noch im gleichen Jahr zählte die Schweiz 18 Anlagen, ein Jahrzehnt später spielte halb Europa Minigolf.
1991 fanden die ersten Weltmeisterschaften in Norwegen statt – die Schweizer erkämpften sich gleich drei Goldmedaillen. Seither messen sich die Spielerinnen und Spieler alle zwei Jahre. Die letzte WM musste wegen Corona verschoben werden, deshalb ist Wartenweiler noch immer amtierender Weltmeister. Wo die WM 2023 stattfinden wird, ist noch unklar. Der St. Galler wird sich dafür qualifizieren müssen, wie alle anderen Spieler auch. «Daran denke ich noch gar nicht. Ein Ziel nach dem anderen.» Also: zuerst Grenchen, Schweizer Meisterschaften 2022.
Eine Variable kann selbst ein Profi nicht beeinflussen: das Wetter. An diesem Montag brennt erst die Sonne auf die Betonbahnen, dann regnet es aus dem blauen Himmel, plötzlich windet es halbe Büsche auf den Platz. Die Minigolfer fliehen zum überdachten Kiosk, Allergiker husten wie Kettenraucher. Nach ein paar Minuten ist der Spuk vorbei. Wartenweiler wedelt mit einem Handtuch Blätter von der Bahn, ein Kollege schrubbt die Banden trocken. Die Minigolfer optimieren, wo sie nur können.
Bei kühlerem Wetter etwa spielt Wartenweiler immer im Zwiebellook. Die Minigolfbälle werden in den Taschen seiner langen Trainerhose auf 24 Grad gewärmt. In der kürzeren Hose darunter erreichen sie 28 Grad und in der Socke im Bund schliesslich die gewünschten 32 Grad. «Bälle verhalten sich je nach Temperatur oder Oberflächenstruktur anders – sie rollen besser, springen höher oder haben mehr Drall», sagt er.
«Aber bitte nicht in den Titel des Artikels schreiben, wie viele Bälle ich besitze!» Es sind 600. Wartenweiler weiss, wie sonderbar das tönt. «Mir ist es ein Anliegen, zu sagen: Wer mit Minigolf anfangen will, braucht nur zwei bis drei Bälle, mehr nicht.»
Selbst zu Hause wird geübt
Fürs Training zieht sich der St. Galler gern nach Hause zurück, da hat er seine Ruhe. Als er letztes Mal zügelte, habe er darauf geachtet, dass sich die Wohnung fürs Üben eignet. Ein paar Ecken, nicht zu viele Winkel. Genug Platz für gerade Schläge, eine Rampe und Hindernisse.
Trotzdem – kein Wettkampf ohne Felderfahrung. Auf zu Bahn 2: gerade Strecke, vier kleine Wände ums Loch. Wartenweiler legt einen cremefarbenen Ball auf den Startkreis, geht in die Hocke, kneift die Augen zusammen. Spielt rechts an die Bande, mitten zwischen die Wände, direkt ins Loch. Der Schuss an die Bande sei wichtig. «Wenn der Ball am Loch vorbeirollt, habe ich im Rücklauf eine zweite Chance aus einem besseren Winkel», sagt er und zückt eine Skizze. «Mit einem geraden Schuss funktioniert das nicht.»
Tüfteln, pröbeln, millimeterlen – so verbringen die Golfer in Grenchen die Stunden. Die meisten haben sich extra freigenommen. Wartenweiler opfert vier bis fünf seiner Ferienwochen für Minigolf. Eine Woche Spitzensport-Urlaub schenken ihm die SBB.
Am frühen Abend kehren Wind und Regen zurück. Die Plastikstühle stehen gestapelt, die Lusso-Schirme sind zugeklappt. Beim Kiosk hört man einzelne Huster, die Anlage wirkt wie ausgestorben. Nur Wartenweiler steht noch da und räumt gewärmte Bälle von der Hosen- in die Balltasche. Am Wochenende wird sein Team den Titel abtreten müssen, aber das weiss er zu diesem Zeitpunkt nicht. Noch verlässt er den Platz als amtierender Weltmeister und Schweizer Meister.
1. Stehen Sie ein wenig breiter als hüftbreit.
2. Richten Sie die Fussspitzen parallel zum Ziel aus.
3. Gehen Sie leicht in die Knie und halten Sie den Rücken gerade.
4. Richten Sie den Blick aufs Ziel.
5. Schlagen Sie nicht aus dem Handgelenk, sondern aus der Schulter.
6. Auf welcher Seite Sie stehen oder welcher Arm vorn ist, spielt keine Rolle – einfach ausprobieren.
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In der grössten überdachten Anlage spielt man auch bei schlechtem Wetter inmitten von tropischen Pflanzen.