Es ist mitten in der Nacht, die kleine Lena (5) schläft. Plötzlich öffnet ihre Puppe im Bett die Augen und fängt zu sprechen an: Lena soll aufstehen, runter ins Wohnzimmer gehen und dem «Weihnachtsmann» die Tür zum Garten öffnen. Leise, damit Mama und Papa nichts hören. Kurze Zeit später sind die Eltern tot.

Die Szene stammt aus dem «Tatort» vom vergangenen Sonntag. Doch die Puppe, die so etwas kann, gibt es wirklich. Sie heisst «Cayla» und wurde vom amerikanischen Spielzeugherstellter Genesis entwickelt. Sie verfügt über eine Spracherkennungssoftware und einen Lautsprecher, die über Bluetooth mit einer Smartphone-App verbunden sind. Eltern können so hören, was das Kind mit der Puppe spricht und ihm über die Puppe Nachrichten zukommen lassen. Auch Dritte können das, wenn es ihnen gelingt, sich ins System einzuhacken. So wie dem «Weihnachtsmann» im «Tatort».

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Verpflichtet, «Cayla» zu zerstören

In Deutschland ist «Cayla» seit 2016 verboten. Die Puppe sei eine versteckte Abhöranlage, befand die Bundesnetzagentur. Wer das Spielzeug gekauft hat, ist verpflichtet es zu zerstören. In der Schweiz hingegen ist «Cayla» legal. Zwar hat keine der grösseren Spielwarenhändler sie mehr im Angebot, weder Franz Carl Weber und Toys’r Us, noch Migros, Coop oder Manor. Auf dem Online-Portal ricardo.ch sowie bei kleineren Online-Händlern ist sie jedoch bis heute erhältlich. Wie viele Exemplare von «Cayla» in der Schweiz bisher gekauft wurden, ist unbekannt. Die Migros verkaufte nach eigenen Angaben in der Vergangenheit rund 400 Exemplare, bestellte nach dem Ausverkauf der ersten Lieferung aber keine mehr nach.
 

«Beim Datenschutz stellt der Bundesrat die Schweizer Konsumenten schlechter als die Bevölkerung in den umliegenden Ländern.»

Sara Stalder, Stiftung für Konsumentenschutz
 

«Cayla» gehört zur Spielzeugkategorie «Smart Toys»: Puppen, Kuscheltiere, Spielzeug-Roboter oder Lern-Tablets, die «intelligent» (smart) sind und mit Kindern interagieren können. Sie nehmen zum Beispiel Fragen der Kinder über Mikrofon auf und geben dann computerbasierte Antworten. Manche haben einen eigenen Mini-Computer eingebaut, andere sind mit einem Smartphone App oder dem Internet verbunden.

Einladung für Pädophile

Als problematisch, vereinzelt als gefährlich, gelten vor allem die vernetzten Spielzeuge. Unbefugte können mithören, reinschauen oder sogar mit den Kinder Kontakt aufnehmen, wenn die Bluetooth-Verbindung zum Smartphone ungesichert ist – eine Einladung für Pädophile. Unsicher sind oft auch die Server selbst: 2015 wurde der Server des Spielzeugherstellers V-Tech gehackt. Die Hacker gelangten an über 11 Millionen Nutzerkonten aus der ganzen Welt, davon rund 300'000 aus Deutschland. Darauf fanden sie persönliche Fotos, Daten und Sprachaufzeichnungen von Kindern.

Datenschützer kritisieren auch die Datenerhebung dieser Spielzeuge: Die Hersteller erhalten Einblick in die intimsten Wünsche und Fantasien der Kinder – und verwenden dieses Wissen für möglichst zielgerichtete Werbung Big Data Die unheimliche Macht der Algorithmen . Zudem werden die Spielsachen manchmal zu versteckten Spionen in der Nachbarschaft. Gewisse Kinderuhren haben zum Beispiel ein eingebautes Mikrofon. Die Eltern können es per App einschalten um herauszufinden, wo sich ihr Kind aufhält. Das Mikrofon kann aber auch den Lehrer im Unterricht aufnehmen, ohne dass dieser etwas merkt. Die deutsche Bundesnetzagentur will darum gegen solche Kinderuhren vorgehen, weil sie gegen das deutsche Telekommunikationsgesetz verstossen. Das Gleiche gilt für ferngesteuerte Autos, die Kamera-Aufnahmen auf eine App senden können, zum Beispiel vom Nachbarn in seinem Garten.

Andere abhören ist strafbar

Im Gegensatz zu Deutschland gibt es in der Schweiz kein entsprechendes Gesetz. Verboten sind lediglich Geräte, die «insbesondere dem widerrechtlichen Abhören oder der widerrechtlichen Ton- oder Bildaufnahme Urheberrecht Jedes Foto ist geschützt dienen», heisst es beim Bundesamt für Justiz. Interaktive Puppen, Lern-Software, Kinderuhren oder Spielzeugautos haben nicht diesen Zweck.

Dennoch macht sich unter Umständen strafbar, wer andere verdeckt abhört oder filmt Überwachungskameras Sie werden gerade gefilmt – egal ob mit einem Spielzeug, mit einem Handy oder einem anderen Gerät. «Cayla» zu besitzen ist also nicht illegal, damit den Babysitter bei einem privaten Telefongespräch zu belauschen hingegen schon.

Kritik am Bundesrat

Konsumentenschützer fordern in der Schweiz strengere Vorgaben für die Spielzeughersteller. Privacy by Default und Privacy by Design sollen in die Datenschutz-Gesetzgebung einfliessen, verlangt die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS). Privacy by Default meint, dass die Grundeinstellungen bei vernetztem Spielzeug immer auf der höchsten Privatsphären Datenschutz im Internet So schützen Sie Ihre Daten vor Google & Co. -Stufe sein müssen. Privacy by Design erlaubt es, den Datenfluss eines Geräts einfach und schnell öffnen und schliessen zu können. Weiter fordert die SKS ein Koppelungsverbot: Geräte müssen auch dann funktionieren, wenn sie nicht ans Netz oder eine App angeschlossen sind.

Die Datenschutz-Gesetzgebung ist zurzeit in Revision. Der Bundesrat will die beiden Privacy-Gebote aufnehmen, das Koppelungsverbot jedoch nicht. Ebenso ist vorgesehen, dass Hersteller die Einwilligung der Konsumenten brauchen, um Daten von deren Geräten nutzen zu dürfen. «Der Bundesrat kommt den Anliegen der Wirtschaft entgegen und schafft damit eine Regelung, die Schweizer Konsumenten und Konsumentinnen bezüglich Datenschutz Persönliche Daten So löschen Sie Ihre Spuren bei Google weiterhin schlechter stellt als die Bevölkerung in den umliegenden Ländern», sagt SKS-Geschäftsleiterin Sara Stalder.

Beim Kauf auf Details achten

Smart Toys gelten als Spielzeug der Zukunft, vor allem in Ländern wie den USA, Japan oder China. In der Schweiz macht vernetztes Spielzeug heute jedoch lediglich 1 Prozent der verkauften Spielwaren aus, teilt das Marktforschungsunternehmen GFK mit. Entgegen anders lautenden Prognosen hat die Nachfrage in den letzten Jahren nicht zugenommen. Auch sind längst nicht alle Smart Toys problematisch. Nach der Kritik und dem Verbot von «Cayla» in Deutschland haben viele Hersteller in die Sicherheit der Datenverbindungen investiert. Die Migros zum Beispiel versichert, dass alle ihre Spielwaren der europäischen Datenschutzgrundverordnung DSGVO Das bringt Ihnen das neue EU-Datenschutzgesetz entsprechen. 

Dennoch rät die Stiftung für Konsumentenschutz interessierten Eltern, beim Kauf von Smart Toys genau hinzuschauen. Welche Funktionen hat das Spielzeug? Ist eine Verbindung zu einem anderen Gerät nötig, um es nutzen zu können? Geschieht die Datenübertragung dahin verschlüsselt? «Generell sollte man sich der Gefahr bewusst sein, wenn man seinem Kind eine Art Spion zur Seite stellt.»

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