Der Brite Oobah Butler hat keine Ahnung von Essen. Darüber schreiben aber, das kann er gut. Lange bevor der 26-Jährige Journalist wurde, verfasste er Restaurantkritiken. Bei Tripadvisor, gegen Geld. Für zehn Pfund lobte er das zähste Steak in den Himmel, erklärte er den schlampigsten Salat zum Vegi-Traum.

Butler sah, wie aus Spelunken Feinschmeckertempel wurden, und er dachte: Was, wenn das alle so machten, Tripadvisor bloss eine Scheinrealität abbilden würde? Doch er verwarf den Gedanken sogleich wieder. Natürlich sind die meisten Bewertungen echt. Und überhaupt: Das Restaurant dahinter, das gibts doch auf jeden Fall. Oder?

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The Shed

Plötzlich war die Gartenlaube auf Platz 1.

Quelle: Screenshot
Käsemakkaroni mit Rindfleischtee

Butler war sich plötzlich nicht mehr so sicher. Schliesslich waren die Leute bereit, jeden Mist zu glauben. Mit Fake-News kann man ziemlich erfolgreich sein, weshalb nicht auch mit einem Fake-Restaurant? Und so kam ihm die Idee, das Gartenhäuschen in Südlondon, in dem er wohnte, zum beliebtesten Restaurant der Stadt zu machen.

Das Konzept für sein Fake-Restaurant war schnell gefunden. Es sollte möglichst hochgestochen klingen – in Wahrheit aber bloss dämlich sein. Also benannte er all seine Gerichte auf der Speisekarte nach Gefühlen. «Love» etwa war ein bizarres Irgendwas mit Schwein, Artischocken und Pflaumenspeck, gebacken in Päckchen. Es gab Rindfleischtee und Käsemakkaroni, serviert in einer ägyptischen Baumwollschüssel. Kurz: Unfug.

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«Alles fantastisch. Wir kommen wieder»

Schliesslich registrierte Butler sein Restaurant The Shed (die Hütte) bei Tripadvisor. Am 5. Mai 2017 schrieb ihm die Bewertungsplattform: «Hallo, wir sind erfreut, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass Ihr Lokal ab sofort auf unserer Webseite aufgeführt ist.» The Shed startete als Londons schlechtestes Restaurant. Auf Rang 18'149.

Doch das sollte sich bald ändern. Was Butler brauchte, waren tolle Fotos und positive Bewertungen. Die Bilder der edlen Köstlichkeiten stellte er selber her. Mit Waschmaschinen-Tabs, Farbe und Rasierschaum. Die Feedbacks liess er Freunde und Bekannte schreiben. Jemand tippte: «Alles fantastisch. Wir kommen bestimmt wieder!» Dann trafen die ersten Reservierungsanfragen ein. Butlers Mobiltelefon, das er sich extra für The Shed gekauft hatte, klingelte fortan ununterbrochen. Er sagte allen ab: «Tut mir leid, wir sind die nächsten sechs Wochen ausgebucht.»

Über Nacht berühmt

Das Erreichen der Top-10'000 sei ein Leichtes gewesen, schreibt Oobah Butler auf der Newsplattform Vice. Immer mehr Anfragen trafen ein. CEO’s benutzten ihre Geschäftsadresse, um einen Tisch im Shed zu bekommen. Eine Firma aus Australien wollte The Shed in Werbespots international bekannt machen. Und quasi über Nacht kletterte Butlers Hütte bei Tripadvisor auf Rang 1456.

Wie konnte das passieren? Butler glaubt den Grund zu kennen: Exklusivität. The Shed, dieses geheimnisvolle Restaurant, von dem niemand die genaue Adresse kannte, das  aber auf Wochen ausgebucht war, mauserte sich zum «Place to be». Im Herbst war der mysteriöse Schuppen bereits die Nummer 30 in London. Kellner fragten nach einem Job, die Zeitung wollte ein Interview.

Tripadvisor reagiert beleidigt

Am 1. November, sechs Monate nach der Anmeldung, kam wieder ein Mail von Tripadvisor. Butler dachte: «Jetzt haben sie mich, das Spiel ist aus.» Stattdessen stand in der Nachricht: «The Shed ist Londons bestbewertetes Restaurant.» Ohne je eine Mahlzeit serviert zu haben, hatte es Butler zur Nummer 1 der Stadt geschafft.

Tripadvisor schreibt auf seiner Seite, dass man viel Zeit und Ressourcen aufwende, um gefälschte oder gekaufte Bewertungen aufzuspüren. Konfrontiert mit dem Schwindel um Butlers Fake-Restaurant, reagierte Tripadvisor beleidigt: «Nur Journalisten fälschen Restaurants.» In der «echten Welt» würde niemand auf so eine Idee kommen. Deshalb sei die Geschichte mit dem Gartenschuppen auch kein Problem für Tripadvisor.

Zur Premiere eine Gemüsesuppe

Für einen Abend eröffnete The Shed dann doch noch. Oobah Butler lud ein paar Schauspieler ein, die Begeisterung mimen sollten, und einen DJ. Er putzte den Vorplatz seiner Gartenhütte heraus, stellte ein paar Tische und Stühle auf und kaufte Fertigprodukte ein. Für die vier «echten» Gäste gabs Gemüsesuppe, Käsemakkaroni und Schokoladenglace. Zu Butlers Überraschung waren alle begeistert.

In seinem Fazit schreibt er: «Die Leute glaubten wirklich, dass The Shed Londons bestes Restaurant sein könnte. Nur wegen Tripadvisor.» Daraus könne man jetzt schliessen, dass das Internet so mächtig geworden sei, dass die Leute nicht mehr klar denken könnten. Er sehe die Dinge aber lieber positiv: «Wenn das Internet aus meinem Gartenhaus Londons Top-Restaurant machen kann, dann ist absolut alles möglich.»

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Jasmine Helbling, Redaktorin
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