Die Erde
In seiner Kolumne bewertet Beobachter-Kolumnist und Komiker Patrick «Karpi» Karpiczenko alles Mögliche mit bis zu fünf Sternen. Diesmal die Erde.
Veröffentlicht am 3. November 2023 - 06:00 Uhr
Als langjähriger Bewohner der Erde sehe ich mich gezwungen, die offensichtlichen Mängel am Mietobjekt anzusprechen, möchte ich doch den Wegzug aus der Milchstrasse vermeiden.
Erstens: die Temperaturen. Es ist immer zu heiss oder zu kalt. Die Temperaturregelung spinnt seit Jahren – die Jahreszeiten sind komplett defekt. Notwendige Sanierungen passieren nicht oder werden notdürftig von den Mietern selber vorgenommen. Der ganze Planet wird zunehmend zum Flickwerk.
Zweitens: die Mieterschaft. Da ich meine Mitbewohnerinnen und Mitbewohner nicht aussuchen konnte, kommt es regelmässig zu Konflikten. Bei vielen fehlt es sowohl am nötigen Anstand wie am Musikgeschmack, um ein friedliches Zusammenleben möglich zu machen. Die Auswahl der Mieter scheint mir willkürlich.
Drittens: die fehlende Kommunikation. Umbauarbeiten wie Erdbeben, Vulkanausbrüche oder Waldbrände passieren oft ohne Ankündigung. Der Mietzins steigt trotz Flutkatastrophen und Hitzewellen. Obschon 70 Prozent der Erde von Wasser bedeckt sind, ist das meiste davon nicht trinkbar.
Ich habe meine Kritikpunkte bereits bei der Verwaltung deponiert, doch diese scheint abwesend – seit geraumer Zeit. Andere Mieterinnen haben mich an den Eigentümer verwiesen, der zwar auch abwesend ist, dessen Wiederkehr jedoch kurz bevorstehen soll. Doch ohne genaue Zeitangabe kann ich nicht planen.
Und dass der ursprüngliche Bauherr nach der Schöpfung keine professionelle Verwaltung eingesetzt hat, ist grob fahrlässig. Mein Zuhause scheint für ihn nicht mehr als ein Prestige- oder Renditeobjekt zu sein. Ich will ihm nicht vorschreiben, wie er sein Geschäft zu führen hat, aber wenn ihm seine Mieterschaft weiterhin egal ist, wird der Mietwert seines Himmelskörpers nur abnehmen.
Angesichts des hohen Alters der Liegenschaft (viereinhalb Milliarden Jahre) wäre eine Mietzinsreduktion mehr als angebracht.
Natürlich ist nicht alles schlecht. Die Erde hat, wie alle Liegenschaften, ihre Licht- und Schattenseiten. Die Sonnenaufgänge allein verdienen fünf Sterne. Die Ozeane sind atemberaubend, die Bergketten majestätisch, und die Vielfalt der Ökosysteme ist ein echter Hingucker. Auch die mitgelieferten Haustiere, insbesondere Katzen und Hunde, sind eine nette Geste.
Schade, haben die Vormieterinnen und Vormieter das Objekt in einem so desolaten Zustand hinterlassen. Die Nachmieter tun mir jetzt schon leid.
Ich möchte unseren Planeten besser bewerten, doch die Erde verfügt nachweisbar nur über einen Stern.
Meine Bewertung für die Erde: ★☆☆☆☆