«Nur Ärzte sollten Schmerzmittel abgeben»
Kardiologe Frank Ruschitzka warnt vor Selbstmedikation. Denn die Wirkstoffe in den Schmerzmitteln bergen Risiken – zum Beispiel fürs Herz.
Veröffentlicht am 21. November 2017 - 17:22 Uhr,
aktualisiert am 18. September 2018 - 16:58 Uhr
Beobachter: Was tun Sie, wenn Sie Schmerzen haben?
Frank Ruschitzka: Wenn nötig, nehme auch ich ein Schmerzmittel. Und wähle dabei sehr sorgsam das richtige Medikament für mich aus.
Beobachter: Was halten Sie davon, dass Apotheken Schmerzmittel rezeptfrei abgeben?
Ruschitzka: Nur Ärzte sollten Schmerzmittel abgeben, vor allem bei grösseren Mengen. Die Wirkstoffe sind nun mal nicht so harmlos, wie viele meinen. Es ist für mich auch schwer verständlich, dass solche Präparate beworben werden dürfen. Ein Viertel der Schweizer hat in den letzten sieben Tagen mindestens eine solche Tablette geschluckt. Weltweit tun das täglich rund eine Milliarde Menschen.
Beobachter: Aber soll ich denn jedes Mal zum Arzt rennen, wenn ich Kopfweh
habe?
Ruschitzka: Eine einmalige Schmerzmittelabgabe ist im Normalfall kein Problem. Aber bei einer längeren Behandlungsdauer, vor allem bei Patienten mit Begleiterkrankungen, sollte unbedingt ein Arzt involviert sein. Es gibt wichtige Unterschiede zwischen den Schmerzmitteln, die Ärzte in der Behandlung der Patienten berücksichtigen müssen.
Beobachter: Viele nehmen Schmerzmittel, statt zum Arzt zu gehen, weil sie um ihren Job fürchten
.
Ruschitzka: Damit begeben sie sich in ernsthafte Gefahr. Selbstmedikation über längere Zeit kann schwerwiegende Nebenwirkungen haben wie Blutungen des Magen-Darm-Trakts, Blutdruckanstieg oder Herz-Kreislauf-Probleme
bis hin zum
Herzinfarkt.
Beobachter: Haben Sie auch solche Patienten?
Ruschitzka: Viele meiner zumeist ja auch älteren Patienten mit Herzerkrankungen leiden auch unter chronischen Schmerzen
. Sie sind durch die Nebenwirkungen der nichtsteroidalen Antirheumatika besonders gefährdet. Nicht nur am Herzen, sondern auch in Hinsicht auf Nierenprobleme oder Blutungen des Magen-Darm-Trakts.
«Schmerzen, die wir nicht ausreichend behandeln, sind selber ein Risiko für das Herz.»
Franz Ruschitzka, Kardiologe
Beobachter: Sie haben die grösste vergleichende Schmerzmittelstudie der Welt initiiert. Was haben Sie herausgefunden?
Ruschitzka: Wir haben Ibuprofen, Naproxen und Celecoxib auf ihre Auswirkungen auf den Herz-Blutkreislauf hin untersucht. Ibuprofen hat am schlechtesten abgeschnitten. Es lässt den Blutdruck am stärksten ansteigen und erhöht die Gefahr von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis hin zum Herzinfarkt. Das gilt besonders für Ältere, die oft gleichzeitig unter Arthrose und Bluthochdruck
leiden.
Beobachter: Wieso?
Ruschitzka: Wenn der Blutdruck steigt, muss das Herz mehr pumpen. Das kann insbesondere ein älteres Herz weiter schwächen. Gleichzeitig arbeitet die Niere unter Schmerzmitteln wie Ibuprofen deutlich schlechter, was sich weiter negativ auf das Herz auswirken kann.
Beobachter: Inwiefern?
Ruschitzka: Schmerzmittel hemmen Prostaglandine. Diese Botenstoffe transportieren Schmerzimpulse, sind aber zum Beispiel auch für die Nierentätigkeit und die Urinproduktion wichtig. Wenn weniger Urin ausgeschieden wird, stauen sich Wasser und Blut. Das kann vor allem bei älteren Patienten mit vorgeschädigtem Herzen zu Lungenödemen führen und das Herz noch weiter anstrengen.
Gut zu wissen: Die Wirkstoffe und ihre Risiken
Ibuprofen, Paracetamol & Co.: Welcher Wirkstoff ist bei welchen Leiden nicht geeignet? In welchen Medikamenten ist welcher Wirkstoff enthalten?
Beobachter: Ihre Untersuchung hat mit älteren Patienten stattgefunden. Sind jüngere Menschen durch Aspirin und Co. weniger gefährdet?
Ruschitzka: Gefährdet sind vor allem unsere Patienten mit Vorerkrankungen. Wenn ein jüngerer Patient aber zu einer Risikogruppe gehört – vielleicht ohne sein Wissen –, kann es gefährlich werden. Diese Medikamente verursachen Magenprobleme, Nierenprobleme und Bluthochdruck. Und am Ende Herzinfarkte.
Beobachter: Sie haben Magenprobleme erwähnt. Der Arzt verschreibt doch meist zusammen mit dem Schmerzmittel einen Protonenpumpenhemmer.
Ruschitzka: Der nützt nur im oberen Bereich des Magen-Darm-Trakts, wo Säure vorhanden ist. Das Schmerzmedikament hemmt aber die Prostaglandine grundsätzlich. Es ist ein Irrglaube, durch Protonenpumpenhemmer sei der gesamte Magen-Darm-Trakt geschützt. Und ob diese Mittel selber so harmlos sind, weiss man auch nicht.
Beobachter: Was soll denn jetzt ein Arzt für seine schmerzgeplagten Patienten tun?
Ruschitzka: Oberstes Ziel muss bleiben, unseren Patienten die Schmerzen zu nehmen, sonst haben wir versagt. Schmerzen, die wir nicht ausreichend behandeln, sind selber ein Risiko für das Herz. Sie lassen den Blutdruck und die Herzfrequenz ansteigen. Und mit einem schmerzenden Knie werden Sie sich weniger bewegen. Sie werden möglicherweise an Gewicht zulegen. All das ist auch wieder nicht gut fürs Herz. Aber wir müssen im Umgang mit Schmerzmedikamenten deutlich vorsichtiger werden.
Franz Ruschitzka, 55, ist Klinikleiter der Kardiologie am Universitätsspital Zürich und ehemaliger Präsident der europäischen Heart Failure Association.
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