Für eine Handvoll Horn
In Südafrika sind dieses Jahr schon über 360 Nashörner illegal geschossen worden. Landbesitzer versuchen, ihre Tiere zu retten. Die Nashornkuh Phila wurde zum Symbol im Kampf gegen die Wilderer.
Veröffentlicht am 31. Mai 2013 - 11:15 Uhr
Der Überfall ist gut vorbereitet. Der Hubschrauber ist startklar, das Auto mit der Bodentruppe auf dem Weg zu Allan Salkinders Farm. Die Waffen liegen im Kofferraum. Mitte Juni 2010, Region Limpopo, Südafrika. Irgendwo in der Weite von Allans Wildtierfarm, 6000 Hektar Buschland, schneiden Wilderer den Drahtzaun auf, betreten das Gelände des privaten Reservats. Handy und Funkgeräte sind auf Empfang, das GPS-Gerät in der Tasche. Nachtsichtgeräte, Vorräte für die Nacht, Thunfischdosen, Cola, Chipstüten. Gewehre. AK-47, Kalaschnikows. Die Wilderer müssen das Gelände kennen, müssen schon früher einmal hier gewesen sein. Sie machen das nicht als Hobby. Die Gruppen sind organisierte Banden. Sie kommen mit Flugzeugen, Helikoptern, automatischen Waffen. Sie sind gut ausgerüstet, und sie schiessen auf Ranger oder Polizisten, wenn die sie bei der Jagd auf Nashörner stören. Werden Wilderer erschossen, trifft es meist nur die Handlanger.
Als die Wilderer in der Nacht an der Wasserstelle die Spitzmaulnashörner entdecken, schiessen sie aus allen Rohren auf ein Weibchen, das sein Besitzer Allan Salkinder «Phila» getauft hat, und auf ein weiteres, männliches Tier. Sie treffen zwar, aber nicht richtig. Die Tiere rennen weg. Über Funk rufen die Männer auf dem Boden den Helikopter. Es dauert nicht lange, bis er das Revier der Nashörner erreicht. Über Handy tauschen die Männer die GPS-Koordinaten aus. Der Hubschrauber ist auf der Suche nach den Nashörnern. Die Leute auf dem Boden nehmen ebenfalls die Spur auf.
Der Pilot und sein Kollege entdecken einen von Philas Artgenossen. Sie schiessen ihm in den Kopf. Der Bulle ist tot. Die Winkel der Einschusslöcher belegen, dass es die Leute im Hubschrauber waren, die ihn niedergestreckt haben. Phila flüchtet, obwohl eine Kugel sie ins Bein getroffen hat, eine andere in die Brust. Staub wirbelt auf. Die Wilderer verfolgen Phila mit dem Helikopter. Sie entkommt, versteckt sich irgendwo im Busch. Der Pilot setzt den Helikopter neben dem toten Rhino ab. Die Männer schnappen sich Motorsägen und sägen dem Bullen das Horn ab. Wenn man auch noch den Stumpf aus dem Kopf hackt, kommt man in Besitz eines wertvollen Rests Horn. Doch die Wilderer müssen nervös geworden sein, sie machen sich aus dem Staub. Allan Salkinder war den ganzen Tag unruhig. Als hätte er geahnt, dass sie ihm in der Nacht ein wertvolles Tier rauben würden.
Im Jahr 2012. Allan Salkinder rast auf seiner Geländemaschine durch die Savanne, Richtung Buschland, wo seine Nashörner leben. Roter Staub wirbelt hinter ihm her. In der Ferne grast eine Büffelherde. Zebras und Giraffen beobachten das Motorrad.
Phila ist in Allan Salkinders Obhut. Er sagt: «Die Buschpiloten müssen gut fliegen können. Du musst so tief wie möglich fliegen, hast eine niedrige Geschwindigkeit, musst in der Lage sein, das Teil zu fliegen, ohne auf die Instrumente zu schauen.» Die Wilderer fliegen nach Gefühl. Sie kennen das Verhalten der Tiere und wissen, wohin sie rennen werden. Sie müssen sich verhalten wie ein Schäferhund, der die Herde zusammenhält. «Fliege einen Meter über den Baumkronen. Nashörner verstecken sich unter Bäumen. Du fliegst über einen Baum, bis so viel Staub aufwirbelt, dass die Tiere Panik bekommen und wegrennen.»
Die Polizei glaubt, dass die Wilderer das Gelände kannten. Niemand kann einfach so mit dem Helikopter rüberfliegen und Nashörner schiessen. Die Kerle wurden wohl mit Insiderinformationen versorgt. «Die haben uns beobachtet, sie haben sich einen Plan gemacht», sagt Salkinder. Die Wilderer auf dem Boden sind Einheimische, kennen sich im Busch aus. «Die kommen im Schutz der Dunkelheit. Sie haben ihre Fluchtrouten geplant. Wir haben die Hülsen der Munition gefunden, Kaliber 5,56. Es ist schon vorgekommen, dass die Wilderer ihre Waffe für eine Nacht für 400 Euro von der Polizei bekommen haben. Illegal, klar, das sind ja Polizeiwaffen.»
Ein paar Tage nachdem die Wilderer zum ersten Mal gekommen waren, hörten Allan und sein Farmmanager Dave wieder einen Hubschrauber über das Gelände fliegen. Sie telefonierten in der Gegend herum, wollten wissen, zu wem der Helikopter gehöre, «Robinson 44», dieses Modell benutzen die meisten Wilderer. «Das wurde uns zu heikel. Wir hatten Phila nach Tagen schwerverletzt im Busch gefunden und sie zur Behandlung ins Gehege gebracht, abseits des Farmhauses, weit draussen im Busch. Da war sie ein leichtes Ziel für die Wilderer.» Auch die anderen elf Nashörner im Revier waren in Gefahr. Allan Salkinder liess sie aufwendig einfangen, sah keine andere Möglichkeit, als ihnen die Hörner zu nehmen. Allan ist pragmatisch. «Ich sagte mir: lieber ein Nashorn ohne Hörner als ein totes Rhino. Es war ein Versuch, auch wenn ich wusste, dass die Wilderer häufig auch noch den letzten Rest aus dem Kopf heraushacken.» Die Entscheidung fiel Allan trotzdem nicht leicht. Es war eine letzte Anstrengung, um seine Tiere zu retten. Der Tierarzt sägte die Hörner mit einer Motorsäge ab. Allan weinte.
668 Nashörner wurden 2012 in Südafrika umgebracht. Im laufenden Jahr schon mehr als 360. Viele Tierschützer haben Angst, dass die Tiere bis in ein paar Jahrzehnten ganz ausgestorben sein könnten. In fast allen Ländern Afrikas sind sie bereits verschwunden.
Die Spitzmaulnashörner sind stark gefährdet. Nur noch um die 4800 leben in Südafrika. Mit den etwas grösseren Breitmaulnashörnern sind es 25'000. Das sind 90 Prozent der weltweiten Population. Es gibt in Südafrika rund 400 private Nashornbesitzer wie Allan Salkinder. 40 Prozent der Tiere hier sind in privatem Besitz. Die anderen Nashörner leben in Nationalparks, auf riesigen Flächen. Alleine der Krüger-Nationalpark ist ungefähr so gross wie Israel.
Auf Allans Farm. Seine Arbeiter durften niemandem von Phila erzählen. «Weil man hier keinem trauen kann.» Sechs Wochen nach dem ersten Überfall beschlossen Allan und seine Leute: Phila muss weg. Es wird zu gefährlich hier. Sie hatten Angst, dass einer der Arbeiter für ein paar Bier in der Shabeen, der illegalen Kneipe, Informationen über den Standort von Phila verkauft. Die Hubschrauber machten Allan nervös. Sie wollten Phila an einen geheimen Ort bringen. Ein Nachbar hat eine ebenso grosse Farm mit Nashörnern, Büffeln, Giraffen. Seine Ställe und Gehege sind gut gesichert mit Stahltüren, Wachtürmen, Wachleuten. In einem dieser Gehege sollte Phila geheilt werden. Sie war auf dem Weg der Besserung. Allan wollte nur noch zwei Wochen abwarten, bis die Regenzeit zu Ende ist. Er wollte ihr noch mal gutes Futter geben, dann sollte sie wieder in die Wildnis entlassen werden. Alle dachten, Phila sei sicher.
Aber eines Nachts kamen die Wilderer, schalteten die Wachleute aus, fesselten sie und nahmen ihre Waffen. Sie kletterten über hohe Zäune und Tore. Phila war eingesperrt, hatte keine Chance. Die Kugeln drangen tief in ihren Körper ein, ins Ohr, in Maul, Fuss, Nacken, Brust, Schulter. Auch diesmal konnten sie Phila nicht töten. Die Polizei kam mit einem Mannschaftswagen. Der Farmmanager hatte sie angerufen; er hatte die Schüsse von seinem Wohnhaus aus gehört und Panik bekommen. Hätte Phila weniger Glück gehabt – sie wäre nun einer dieser riesigen, auf dem Rücken liegenden und die Beine in die Luft streckenden Kadaver, deren Bilder in den Zeitungen erscheinen.
Die Wilderer haben in der Gegend viel Streit verursacht. Jeder verdächtigt hier jeden, mit den Syndikaten unter einer Decke zu stecken. Die Ordnung ist durcheinandergeraten. Es geht um extrem hohe Summen. Sogar Allan Salkinders Tierarzt wurde beschuldigt, mit Hörnern gehandelt und in Zusammenarbeit mit einem Farmer 20 Tiere getötet zu haben. Die Kugeln, die in Philas Körper steckten, stammen aus einer Waffe, die schon viele Tiere getötet hat.
Allan: «Vor dem Überfall war der Tierarzt noch auf die Farm gekommen. Man sagte mir hinterher, er sei beim Handel mit Hörnern gefasst worden.»
«Willst du es nicht genauer wissen, Allan?»
«Nein, ich kann das nicht ertragen. Was bringt es mir? Wir haben in unserem Fall gegen diesen Mann keine Beweise.»
Niemand weiss genau, wer die Drahtzieher sind, wer hier Kontakt zu den internationalen Syndikaten hält. Die Kriminellen sind gut organisiert. Sie gewinnen in den privaten Reservaten oder in den Nationalparks Informanten unter den Mitarbeitern. Die lokalen Händler kaufen die Hörner von Wilderertrupps, die sich mit der Beschaffung des Horns, dem Aufspüren und der Tötung im Busch auskennen. Manchmal übernehmen die Händler die Tötung auch selbst, wie mutmasslich Allans Tierarzt. Auf der nächsten Ebene fungieren nationale Händler und Kuriere. Auf der internationalen Ebene nehmen Kuriere und Händler in Asien die Ware in Empfang und sorgen dafür, dass die Verkaufsstellen beliefert werden. Das Ganze funktioniert ähnlich wie im Drogengeschäft. Die Hörner werden in China und Vietnam zu Pulver verarbeitet, als Aphrodisiakum, als Mittel gegen Krebs, gegen Fieber und Schmerzen. Die Leute, die in Asien mit den Hörnern handeln, wissen, wie sie ihr Produkt vermarkten müssen. Auf dem Schwarzmarkt kostet ein Kilo Horn bis zu 80'000 Dollar, mehr als ein Kilo Gold. Ein Horn kann fünf Kilogramm wiegen.
«Einen Tag nach dem letzten Überfall auf Phila rief mich mein Nachbar an, sagte: ‹Du kannst dein Nashorn hier nicht lassen. Hole es ab, heute noch.› Ich sagte: ‹Wie soll ich das schwerverletzte Nashorn abholen? Soll ich es an die Leine nehmen und nach Hause führen? Weisst du was, Peter? Du kannst mich mal. Pack das Nashorn auf deinen Anhänger und schubse es über meinen Zaun.›» Allan sah keine Möglichkeit, Phila in seinem weitläufigen Gehege zu schützen. Er wusste keinen besseren Ort als den Zoo von Johannesburg. Hier sollten Philas Verletzungen in Sicherheit behandelt werden. Er verhandelte mit dem Zoo. Wenn die Wunden verheilt sind, so war der Deal, sollte das Tier an einem sicheren Ort im Busch wieder freigelassen werden.
Zwei Jahre später lebt Phila immer noch im Zoo von Johannesburg – in einem Haus mit gekachelten Wänden, davor ein Gehege, in dem sie sich ein wenig die Füsse vertreten kann. Am Anfang geriet Phila bei den leisesten Geräuschen in Panik. Sie rammte alles, was ihr im Weg war. Sie war Menschen und Autos nicht gewohnt. Sie war wild und aggressiv. Das konnten die Zoobesucher sehen. Ein Mann mit einem Kinderwagen steht am Zaun und sagt: «Man sollte diese Wilderer umbringen. Fuck them.» Das denken auch viele, die sich in Internetforen äussern: «Umbringen!» Im Hintergrund hupen Autos im Verkehr von Johannesburg. Ein blauer Traktor tuckert am Gehege vorbei. Er zieht Anhänger mit Knirpsen im Kindergartenalter. Um die 40 Kinder schreien, als sie Phila sehen. Phila wackelt mit den Ohren. Nashörner haben kleine Augen, einen guten Geruchssinn, kurze Beine, können sehr schnell rennen, bis zu 45 Kilometer pro Stunde. Sie sind trotz ihren Massen sehr wendig. Breitmaulnashörner sind friedlich. Spitzmaulnashörner wie Phila greifen auch ohne Grund an.
Die Tierpflegerin hofft, dass Phila wieder in die Natur zurückkehren kann. «Phila hat an Gewicht zugenommen. Sie ist nun so weit. Sie liebt es, sich im Busch zu verstecken.» Spitzmaulnashörner fressen die Blätter und Äste der Bäume. In Philas Gehege stehen zwei Bäume, die hat sie kahl gefressen. Phila hat ein Problem mit Fliegen. Es regnet viel in Johannesburg. Hier im Zoo gibt es viele Fliegen. Sie setzen sich auf die Wunden, so können die nicht richtig verheilen. Phila steht auf saftigem, grünem Gras. Das mögen Spitzmaulnashörner im Gegensatz zu den Breitmaulnashörnern nicht gerne.
Viele Tierschützer sind dagegen, dass Phila immer noch im Zoo lebt. Selomie Maritz ist eine von ihnen. Sie schreibt auf Facebook: «Liebe Phila, ich denke immer noch jeden Tag an dich. Du bist eine sehr tapfere Lady. Ich liebe dich, Mädchen, ich habe von dir geträumt.»
Genau wie Allan Salkinder besitzt Selomie grosse eingezäunte Flächen in der Region Limpopo. Sie sind so etwas wie Nachbarn, wenn auch sehr weit voneinander entfernt. Selomie Maritz lässt nicht locker. «Wilde Tiere gehören nicht in einen Zoo. Das ist gegen das Gesetz. Und schau, du siehst es, es geht ihr dort nicht gut. Sie hat Stress.»
Das Reservat von Selomie Maritz ist umgeben von Bergen. Kommende Nacht ist Vollmond. Nicht weit entfernt von ihrem Haus, einem riesigen, teuren Haus, stehen vier Breitmaulnashörner. Freiwillige Helfer sind gekommen, sie bilden eine Art Bürgerwehr. Sie wollen in der Nacht auf Patrouille gehen, um Selomies Nashörner zu schützen. «Wir haben Freiwillige, junge Frauen. Sie sehen aus wie Püppchen, niedlich, aber sie können schiessen.» Selomie Maritz fährt mit ihrem Land Cruiser rüber zu den Nashörnern. Eine Kuh ist trächtig, das Junge könnte heute Nacht kommen. Selomie stellt das Auto neben den fressenden Tieren ab und steigt aus. Sie sagt zum Nashorn: «Mieh. Mieh. Mieh.» Das soll das Tier beruhigen. «Wir schlafen neben unseren Rhinos. Ich möchte kein fremdes Personal einstellen, ich würde ihm nicht trauen. Und die privaten Sicherheitsunternehmen sind sehr teuer.»
In der Nacht bekommt Selomie von einer Helferin einen Funkspruch: «Achtung. Ich habe Lichter auf dem Berg gesehen.»
Selomie: «Okay, wir machen uns auf den Weg.»
Auf dem Dach des Geländewagens blinkt eine blaue Signalleuchte. Falls dort in den Bergen wirklich Wilderer die Gegend auskundschaften, sollen sie denken, es sei ein Polizeiauto. Selomie fährt an einer Siedlung vorbei. Verfallende Bauten. Sie hält an, leuchtet mit einem Scheinwerfer in ein paar Häuser. Die Bewohner kommen aus Mali und Simbabwe. Ungefähr 50 Leute sitzen vor einem Haus. Ein Feuer brennt. Selomie fragt nach einem grünen, fremden Auto, das hier in letzter Zeit häufiger gesehen wurde. Die Menschen hier leben ohne Wasser, ohne Strom und ohne Job in alten Ställen, einer kleinen Kirche und der ehemaligen Schule. Selomie: «Du kannst sie eigentlich so nicht leben lassen. Ich würde den Leuten gerne helfen, aber keiner hilft uns, diesen Leuten zu helfen. Die Regierung tut nichts für sie. Wenn wir diese Probleme in unserer Region lösen könnten, bräuchten wir keine Waffen. Hier fehlt es an Bildung, Unterkünften und Arbeit. Die Leute stehlen, oder sie werden zu Handlangern der Wilderersyndikate. Sie müssen verstehen, dass diese Tiere wichtig sind. Wir müssen ihnen klarmachen, dass diese Tiere längerfristig Geld bringen, dass Touristen deshalb zu uns kommen.»
Nashörner zu halten ist ein Luxus, schwer zu rechtfertigen angesichts der Armut vieler Menschen hier. Das Nashorn ist für viele reiche Leute ein Statussymbol. Wirklich reiche Leute. Viele haben ein Weingut, ein Haus an der Küste, ein Flugzeug und ein privates Naturreservat mit Giraffen, Elefanten, Leoparden, Löwen, Büffeln und Nashörnern. Da wollen die Menschen ihre Ruhe haben. Die Wildnis ist umzäunt. Selomie sagt: «Der Mond. Schau, wie hell er es hier macht. Darum nennen ihn die Leute hier den Wilderermond.»
«Wenn du ein Polizist in Limpopo bist, verdienst du um die 250 Franken im Monat. Das Auto ist kaputt, das Telefon funktioniert auch nicht mehr, das Schulgeld für die Kinder muss gezahlt werden. Und dann gibt es hier draussen auf dem Land meist reiche, meist weisse Naturschützer, die verrückt nach Tieren sind. Sie sagen, sie seien Artenschützer, sie wollten bewahren. Es gibt hier in der Gegend einen alten Engländer, der kennt sich mit den unterschiedlichen Echsen aus. Er ist sehr interessiert an diesen Tieren. Er erzählt der örtlichen Bevölkerung, wie wichtig diese Tiere seien, die müsse man schützen. Aber viele hier in der Bevölkerung kümmern sich einen Dreck um diese Würmer oder Echsen. Und genauso wenig um die Nashörner. Es gibt in Südafrika eine unglaubliche Kluft zwischen Wohlstand und Armut.»
Eine tote Eule liegt auf der Strasse. Gross, hübsch, überfahren. Selomie nimmt sie hoch. Sie ist noch warm. «Schau, wie friedlich sie guckt.» Sie seien immer zu zweit gewesen, immer nebeneinander geflogen. Selomie streichelt die Eule, sagt: «Sie ist schön.» Sie hält sie eine ganze Weile in der Hand, dann legt sie die Eule ins Gras an den Strassenrand. Viele Schwarze sagen, die Weissen kümmerten sich nur um ihre Tiere. In Afrika prallen Werte aufeinander. Die Idee von individuellem Besitz und die traditionell afrikanische Vorstellung von Gemeineigentum, wie sie vom Volk der Zulu oder von den Xhosa gepflegt werden, unterscheiden sich. «Ubuntu», das ist der Spirit, das Teilen, der Gemeinsinn, die Vorstellung, dass man selbst Teil eines Ganzen ist. Die Tiere sind wilde Tiere, sie gehören nicht den Weissen, sie gehören allen hier. Und viele Weisse sagen: «Du kannst ruhig einen von diesen Wilderern abknallen, die finden für diesen dreckigen Job immer neue Leute.»
Allan sagt: «Wenn ich solche Leute bräuchte, würden die Interessenten in einer Reihe stehen, von Mosambik bis nach Pretoria. Viele Leute halten die Situation in Südafrika für hoffnungslos. Und sie haben recht.» Johannesburg. Freitag. Allan ist früh aufgestanden, sechs Uhr. Er hat in den letzten Jahren einige Immobilien gekauft. Unter anderem das Hotel, in dem er gerade steht. Eben hat er sich den Fortschritt der Bauarbeiten angeschaut. Es ist dunkel in diesem leeren, grossen Haus. Allan weiss nicht, wo der Lichtschalter ist. Er setzt sich auf ein Sofa und ruft einen Angestellten, er möge Licht machen. Sein Hotel liegt in Sandton, dem wichtigsten Geschäftszentrum von Johannesburg. Hier befindet sich die Börse. In Sandton gibt es Prada und jeden Luxus, den sich die Reichen wünschen. Nicht weit entfernt liegt Alexandria, das ärmste Viertel in Johannesburg. Hier sterben Leute an Cholera. Da gibt es einen Fluss aus Fäkalien.
Autobahn: Allan fährt einen silbernen Mercedes. Er rast mit 200 Sachen Richtung Limpopo, will auf seine Farm. Allan ist 65 Jahre alt. Er trägt ein kariertes Hemd, blaue Jeans, Cowboystiefel und eine schlichte, unauffällige Brille. Allan lebt in Johannesburg, fährt meistens am Freitag auf seine Farm. Immer zu anderen Zeiten, damit seine Leute nicht wissen, wann er kommt. Allan ist misstrauisch. Mit den Jahren ist er zynisch geworden. Eigentlich lacht er gerne, ist milde. Aber er tut hart. Von der Autobahn biegt er rechts in eine Landstrasse ein, und wieder rechts führt eine staubige Piste 15 Kilometer am Gelände seiner Farm vorbei, bis vor ein unscheinbares Tor. Einfache, gespannte Drähte, nicht solche Tore wie bei anderen privaten Reservaten, mit Nashornköpfen aus Holz und afrikanischen Schnitzereien. Allan fährt eine Weile weiter über eine Schotterpiste und parkt seinen Mercedes unter einer Akazie neben seinem 100 Jahre alten, wuchtigen Gutshaus.
Drinnen ist es dunkel. Draussen zwitschern die Vögel. Affen springen in den Bäumen von Ast zu Ast, ein paar Gnus liegen mit ihren Jungen vor dem Haus. An der Wand im Esszimmer hängt eine Zeichnung eines Architekten aus Johannesburg. Allan und seine Frau hatten mal grosse Pläne. Sie wollten hier ein Hotel bauen, mit Pool, Spirituosenladen, einem Supermarkt, Büros, Terrassen, Restaurant. Aus diesem Plan ist nie etwas geworden. «Es wurden in den vergangenen Jahren zu viele Lodges gebaut, sehr viele stehen heute ohne Gäste da.»
Allan setzt sich auf die Terrasse, schaut auf ein paar Giraffen, die an der Wasserstelle trinken. Bis zu 31'000 Franken bringt eine Giraffe auf einer Auktion. Allan hat in den letzten Jahren mit Tieren gehandelt: Büffel, Impalas, Zebras, Gazellen und Nashörner. Sie vermehrten sich auf seinem Land zahlreich, brachten gute Renditen. Mit Wildtieren wurde in Südafrika einige Jahre lang gutes Geld erwirtschaftet. Reiche Besitzer der Reservate, Liebhaber, kauften die Tiere für ihr Land. Farmer schafften ihre Rinder ab, da sie mit dem Handel von Wildtieren mehr Gewinn machen konnten. Die Preise für Nashörner sind seit den Überfällen um die Hälfte gesunken. Die Landbesitzer scheuen sich momentan davor, so wertvolle Tiere zu kaufen. Sie haben Angst, dass die Tiere getötet werden. Der Aufwand für die Sicherheit hat einen hohen Preis. Allan hat sich verspekuliert, die Farm verschlingt grosse Summen. Er hatte mal gedacht, mit dem Handel der seltenen Breitmaulnashörner könne er gutes Geld verdienen.
Neben dem Grill auf der Terrasse liegt ein Stapel Zeitungen. Allan greift sich ein paar und wirft sie auf den Tisch daneben. «Jeden Tag dieselben Meldungen: Korruption, Betrügereien der Politiker. Was tun sie gegen die Wilderer? Was kann man hier erwarten? Die Regierung ist unfähig, etwas gegen die Wilderer zu unternehmen.» Allan hat nicht genug Geld, um das alles hier zu beschützen. «Ich habe all mein Geld in die Anlagen gesteckt, verfüge aber nicht über genug flüssiges Geld. Ich müsste Sicherheitspersonal einstellen. 16 Leute, die Tag und Nacht unterwegs sind. Sie brauchen eine Ausrüstung, Motorräder, Pferde, Autos, Benzin, Waffen, Verpflegung, Unterkünfte. Eine funktionierende Antiwilderereinheit kostet fast 125'000 Franken jährlich.»
«Wenn es mit der Wilderei so weitergehen wird, bedeutet das das Ende des Nashorns, wie in vielen anderen Ländern auch. Ich hatte 13 Nashörner. Sechs Wochen nachdem sie das zweite Mal auf Phila geschossen hatten, bekamen wir noch einmal Besuch in der Nacht. Heute habe ich nur noch drei Nashörner. Sie haben mir zehn weitere Tiere umgebracht.» Nashornhaut ist nicht so rau, wie sie ausschaut.
Alle Bilder stammen aus dem TV-Dokumentarfilm «Saving Rhino Phila» (Regie: Richard Slater-Jones)
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