Neue Funde in Europa
In Europa wurden in den letzten Jahren spektakuläre Dinosaurier-Fossilien gefunden, die überraschende Erkenntnisse über die Riesenechsen liefern. Einige davon sind jetzt erstmals in der Schweiz zu sehen
Veröffentlicht am 4. April 2011 - 10:11 Uhr
Europa galt, anders als die USA, lange Zeit nicht als Dinosaurier-Eldorado. Dies ändert sich jetzt: In den letzten zehn Jahren sind viele spektakuläre Funde dazugekommen – in Spanien, Portugal, Rumänien, aber auch in der Schweiz. Und es könnten noch mehr werden. «In der Schweiz sind noch beträchtliche Entdeckungen zu machen», sagt der Paläontologe Ben Pabst (siehe nachfolgendes Interview).
Während Jahrmillionen war Europa in zahlreiche Inseln aufgespalten, auf denen sich infolge der Isolation eine besondere Tierwelt entwickelte. Charakteristisch für die europäische Dinosaurier-Fauna sind Zwergformen von Pflanzenfressern. „Insel-Effekt“ nennen es Forscher die Tatsache, dass sich auf Inseln Arten generell langsamer entwickeln und kleiner bleiben als ihre Verwandten auf dem Festland. «Der Effekt entsteht durch das kleinere Nahrungsangebot», sagt Pabst. «Kleinere Individuen einer Art haben auf Inseln eine grössere Überlebenswahrscheinlichkeit.» Bis vor kurzem gingen Wissenschaftler davon aus, dass die Dinosaurier Europas völlig isoliert von den anderen Dinosauriern lebten und dass es bei uns deswegen beispielsweise auch keine gehörnten Dinosaurier zu finden gibt. Doch 2009 entdeckte ein Forscherteam im Westen Ungarns Überreste einer gehörnten Urzeitechse, wie sie bislang nur aus Asien bekannt war. Wie genau die Dinosaurier aus Asien nach Europa und von einer Insel zur anderen gelangten, darüber tappen die Forscher noch im Dunkeln.
Auch in der Schweiz werden regelmässig über 200 Millionen Jahre alte Reste von Dinosauriern gefunden: Im aargauischen Frick AG konnten 2009 fünf fossile Überreste der pflanzenfressenden Dinosauriergattung Plateosaurus (flache Echse) geborgen werden. «Der eigentliche Sensationsfund aber war der Schädel eines kleinen Raubdinosauriers aus der Familie Coelophysidae – das bisher vollständigste Fossil aus der Trias-Zeit Europas», sagt Grabungsleiter Ben Pabst.
Originale Fundstücke aus Frick – Schädel und Teile des Halses des Prosauropoden Plateosaurus engelhardti – sind ab Mitte April im Sauriermuseum Aathal zu sehen. In der Spezialausstellung «Die Dinosaurier von Europa» werden viele spektakuläre Funde erstmals in der Schweiz präsentiert. Etwa eines der vollständigsten Dinosaurier-Skelette der Welt, ein vier Meter langer, in Italien gefundener Hadrosauride (Entenschnabeldinosaurier), das freistehende Skelett eines Raubsauriers aus England sowie der Schädel des grössten europäischen Raubdinosauriers, eines Torvosaurus, dessen Originalteile ein Junge an der Küste von Portugal entdeckt hatte.
Die meisten der bis zu sieben Meter langen und knapp fünf Meter hohen Skelett-Abgüsse werden erstmals in der Schweiz ausgestellt. Neben den Fossilien, die unter Paläontologen als «Traumstücke» gelten, sind auch zwei der berühmten historischen Modelle zu besichtigen, die für die Weltausstellung von 1850 erstellt worden waren.
Die Ausstellung macht klar: Seit diesem weltweit ersten Versuch, die ausgestorbenen Riesenechsen möglichst lebendig darzustellen, hat sich viel getan. «Es ist an der Zeit, unseren europäischen Funden ihren gehörigen Platz zuzuweisen», sagt Thomas Bolliger, Vizedirektor des Sauriermuseums in Aathal. Es sieht ganz danach aus, dass das Kapitel über die Dinosaurier in Europa längst nicht zu Ende geschrieben ist.
Wie sahen Dinosaurier zu Lebzeiten aus? Ein Interview mit dem Paläontologen Ben Pabst, der in der Schweiz nach Dinosauriern gräbt.
BeobachterNatur: In Europa sind in den letzten 10 bis 15 Jahren viele spektakuläre Dinosaurier-Funde gemacht worden. Wie lässt sich dieses Phänomen erklären?
Ben Pabst: Das hat verschiedene Gründe: Das gestiegene Interesse an Dinosauriern, die rege Bautätigkeit, die die Funde offenlegt und nicht zuletzt die besseren Hilfsmittel. Ein guter Leim ist etwas vom Wichtigsten beim Konservieren und Präparieren von Funden. Vor 50 Jahren bekam man noch keine stabilen Resultate hin.
BeobachterNatur: Wo findet man Dinosaurier-Überreste?
Pabst: Überall dort, wo Landablagerungen aus der Trias-, Jura- und Kreide-Zeit durch Erosion freigelegt werden. Also in den Alpen, in Steinbrüchen oder beim Bau von Nationalstrassen. Bei uns liegen die Fundstellen meist unter Wald und Wiesen versteckt. In den USA sind die Erosionszonen grossflächiger, deshalb hat man dort in der Vergangenheit so viele spektakuläre Funde gemacht.
BeobachterNatur:Sie selber graben in der Fundstelle im aargauischen Frick. Sind von dort bedeutende Funde zu erwarten?
Pabst: Ja, denn Frick ist eine der produktivsten Fundstellen in Europa, und wir graben dort erst seit vier Jahren systematisch. Auf fünfzig Quadratmeter kommt ein Plateosaurus. Die Pflanzenfresser waren vor 210 Millionen Jahren weit verbreitet und lebten wahrscheinlich in grossen Herden wie die Bisons in Nordamerika. 2006 Jahr fanden wir einen Raubsaurier, samt Mageninhalt – eine kleine Sensation, denn Dinosaurier dieser Art sind weltweit sehr selten.
BeobachterNatur:Die Fundstelle in Frick wird auch als «grösster Dinofriedhof» Europas bezeichnet. Wie sind die Saurier ums Leben gekommen?
Pabst: Dass alle gefundenen Plateosaurier Bauchlage aufweisen, ist ein Hinweis darauf, dass sie im Schlamm stecken geblieben waren. Die Pflanzenfresser waren bis zu acht Meter lang und eine Tonne schwer. Ein solcher Riese konnte auf der Flucht vor einem Rudel Raubsauriern leicht in ein Schlammloch einbrechen und bis zur Brust im Schlick versinken. Die Raubsaurier hatten ein leichtes Spiel; die abgefressenen Knochen liessen sie liegen.
BeobachterNatur:Wie können wir überhaupt wissen, wie Dinos ausgesehen haben? Wir haben ja nur die Knochen.
Pabst: Aufgrund der Knochenfunde lassen sich auch die Muskeln rekonstruieren. Wir haben auch Funde, bei denen ganze Hautstücke erhalten sind. Und seit in Nordchina Raubdinosaurier mit Federn geborgen wurden, wissen wir, dass die kleinen Räuber gefiedert waren.
BeobachterNatur:Dinosaurier, die aussahen wie Vögel? Eine seltsame Vorstellung.
Pabst: Stellen Sie sich den Fuss eines Haushuhns in einem Meter Grösse vor – das ist furchteinflössend! Von da ist es nicht mehr weit zum Tyrranosaurus Rex. Die Unterschiede zwischen Dinosaurier- und Vogelskeletten sind minim. Spatzen sind auch Dinosaurier. Die Vögel sind die Gruppe der Dinosaurier, die überlebt hat. Sie waren kleiner, das war ihr Glück.