Wie gross ist die Gefahr eines Sonnensturms für die Schweiz?
Ein heftiger Sonnensturm könnte die elektronische Kommunikation lahmlegen und zu Ausfällen im Stromnetz führen. Auf dieses Risiko ist auch die Schweiz kaum genügend vorbereitet.
Veröffentlicht am 26. August 2021 - 15:17 Uhr
Mitte Juli tauchten Warnungen auf vor einem unmittelbar bevorstehenden Sonnensturm, der die Erde treffen und fatale Auswirkungen auf unsere digital vernetzte und gesteuerte Welt haben könnte. Astronomen der Nasa und der ESA warnten vor starken Sonnenwinden und einem geomagnetischen Sturm, der das Potenzial habe, breitflächige Stromausfälle, Satellitenstörungen und Mobilfunkeinschränkungen zu verursachen. Der solare Sturm verpuffte dann aber ohne grosse Wirkung auf unseren Planeten.
Doch die Gefahr ist real. Denn vor einem Jahr hat ein neuer elfjähriger Sonnenzyklus begonnen. Die Sonne erwacht aus einer ruhigen Phase, und ihre Oberfläche brodelt wieder deutlich stärker, bis voraussichtlich 2025 das nächste sogenannte solare Maximum erreicht ist und die Sonne danach wieder ruhiger wird. In den kommenden Monaten und Jahren steigt damit das Risiko von Eruptionen und Sonnenstürmen, deren Auswirkungen auch die Erde treffen können.
Experten sprechen in diesem Zusammenhang von Weltraumwetterereignissen oder eben Space Weather Phenomena. Der letzte und vielleicht gar stärkste solare Supersturm, der je beobachtet werden konnte, ereignete sich 2012. Die Plasmawolke entwich auf einer erdabgewandten Seite der Sonne.
Der Carrington Event
Was passieren kann, wenn unser Planet getroffen wird, zeigte sich im Spätsommer 1859. Der britische Astronom Richard Carrington erspähte zwei intensive weisse Lichtpunkte auf der Sonne. Keine 18 Stunden darauf staunten Menschen von Kanada bis in die Karibik über Polarlichter, die sonst nie zu sehen sind in diesen Breitenlagen. Die Plasmawolke quetschte den magnetischen Schutzschild der Erde, und geladene Teilchen des Sonnensturms sowie seine elektromagnetische Strahlung trafen vorab Nordamerika. Telegrafenmasten sprühten Funken, Verbindungen fielen aus, einige Fernmeldestationen fingen Feuer.
Das sogenannte Carrington-Ereignis gilt bis heute als «Mutter aller Sonnenstürme». Experten der Space-Weather-Beobachtung sind sich einig: Ein Sonnensturm dieser Kategorie hätte für unsere hoch technisierte, digital vernetzte Welt verheerende Folgen. Seit Jahren werden deshalb Warnsysteme entwickelt, um möglichst frühzeitig auf solche Gefahren aufmerksam zu machen.
Wie gross ist die Gefahr eines Sonnensturms für die Schweiz? Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz (Babs) listet in seinem 2020 überarbeiteten «Gefährdungsdossier Sonnensturm» folgende mögliche Risiken auf:
- Ausfälle der Bordelektronik bei Satelliten und Flugzeugen
- Einschränkungen von Funkverbindungen und GPS-Systemen
- Schädigung zentraler Elemente der Strominfrastruktur
Im schlimmsten Fall drohen nach Angaben des Babs Stromlücken über mehrere Tage. Speziell in Kanada, Nordeuropa und Russland könnten Hochspannungstransformatoren ausfallen. Stromversorgung und Kommunikationsinfrastrukturen wären dadurch auch «in vielen Regionen der Schweiz immer wieder eingeschränkt». Denn falls europaweit viele Transformatoren ersetzt werden müssten, würde man «in eine länger dauernde kontinentale Strommangellage laufen», sagt Mathias Gross, stellvertretender Chef des Melde- und Lagezentrums (MLZ) beim Babs, auf Anfrage.
Schäden in Milliardenhöhe
Obwohl Personen durch einen Sonnensturm nicht direkt gefährdet sind, wären die Folgen speziell in den ersten Stunden und Tagen des Elektronen- und Photonengewitters gravierend. Das Babs rechnet etwa mit Fehlfunktionen von Verkehrssteuerungen und als Folge davon mit Unfällen. Einsatz- und Notfalldienste wären nur beschränkt erreichbar. Auf Flughäfen und in Bahnhöfen würden Tausende Reisende stranden und müssten betreut werden.
Börsenhandel und elektronischer Zahlungsverkehr würden teilweise ausfallen, Kläranlagen nicht mehr richtig funktionieren, und mancherorts würden «Gefahrenstoffe und Abwasser ungereinigt in die Umwelt entweichen».
Dank Notstromaggregaten könnten zwar einige Unternehmen und Banken weiter funktionieren. Aber dennoch gäbe es gewaltige Folgekosten. Die beigezogenen Experten schätzen die gesamten wirtschaftlichen Schäden auf 1,5 Milliarden Franken.
Doch damit wäre die Schweiz noch gut bedient. «Für Gebiete, die näher an den magnetischen Polen der Erde liegen, sind die Auswirkungen von Sonnenstürmen deutlich heftiger», sagt Mathias Gross.
Vorwarnzeit ist knapp
Seit 2013 beteiligt sich das Babs an einem Programm der europäischen Weltraumbehörde ESA, um ein Warnsystem aufzubauen. Heute könne das Babs «über mehrere Systeme Behörden und Betreiber kritischer Infrastrukturen warnen». Allerdings ist die Vorwarnzeit knapp. Wird eine kritische Sonneneruption beobachtet, trifft der geomagnetische Sturm nur rund 20 Stunden später bereits auf die Erde. Die Information könnte schnell erfolgen. Welche Massnahmen zwischen Bund und Kantonen getroffen werden müssten, ist aber noch offen. «Das hängt», sagt Gross, «von den konkreten Einschätzungen der ESA ab.»
Immerhin sind dramatische Folgen bei einem grossen Sonnensturm mindestens für die Schweiz kaum zu befürchten. Die Prognostizierbarkeit von Sonnenstürmen und insbesondere ihrer Auswirkungen ist zwar weniger gut als erhofft. «Aber die Wahrscheinlichkeit von Sonnenstürmen mit Auswirkungen auf die Schweiz», so die Einschätzung des Babs-Experten, «ist weniger gross als vor einigen Jahren noch befürchtet.»
Die Sonne schleudert kontinuierlich elektrisch geladene Teilchen in den Weltraum. Diese Partikelstrahlung wird Sonnenwind genannt.
Das Magnetfeld der Erde schützt uns vor kosmischer Strahlung und dem Sonnenwind. Zusätzlich schirmt die Atmosphäre die Erdoberfläche ab.Sonneneruption
Ist der Partikelstrom der Sonne für kurze Zeit und in einem begrenzten Gebiet stärker als sonst, spricht man von einer Sonneneruption.
Die Teilchen, die dabei ins All entweichen, können auch auf die Erde treffen. Die Folgephänomene einer Sonneneruption werden als Sonnensturm bezeichnet.
Starke Sonnenstürme verformen das Erdmagnetfeld und dringen bis in die Erdatmosphäre vor. Dort sind sie als Polarlichter sichtbar. Für Menschen auf der Erde ungefährlich, können Sonnenstürme folgende Auswirkungen auf die Technik haben:
- Flugverkehr
Geomagnetische Stürme stören den GPS-Funkverkehr. Ausfälle der Bordelektronik sind möglich. Flugrouten in Polnähe sind besonders gefährdet. - Stromnetze
In Überlandleitungen drohen Störungen. Transformatoren können ausfallen. Es kommt zu regionalen Blackouts. - Satelliten
Die Protonendusche kann Satelliten in ihrer Funktionstüchtigkeit einschränken oder gar beschädigen. - Kommunikation
Für rund eine Woche sind Einschränkungen und Ausfälle zu erwarten.
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2 Kommentare
Ich habe vor 10 Jahren beim ENSI angefragt, wie die Sicherheit von AKWs im Falle eines starken Sonnensturmes gewährleistet wäre. Hier die Antwort vom 13.10.2011:
Ein Kernkraftwerk kann mittels Schnellabschaltung innerhalb weniger Sekunden abgeschaltet werden. Mit der Schnellabschaltung wird die Kettenreaktion im Reaktor unterbrochen. Aber auch wenn ein Kernkraftwerk abgestellt ist, muss weiterhin überschüssige Wärme aus dem Reaktor abgeführt werden. Dazu braucht es Pumpen, die wiederum Strom benötigen. Käme es zu einem Blackout, stehen bei den Kernkraftwerken alternative Energiesysteme zur Verfügung, u.a. Dieselgeneratoren. Diese können die Kühlung eines Kernkraftwerks gewährleisten bis das Stromnetz wieder zur Verfügung steht.
Super, bloss dass die Leitungen der Dieselgeneratoren vermutlich ebenfalls durchgeschmort würden, genauso wie alle elektrischen/elektronischen Geräte. Und was kühlt dann das abgestellte AKW? Schöne Aussichten!
Siehe auch spaceweather dot com. Die Maxima der Sonnenzyklen nehmen seit ca. 1957 stetig ab. Vorhersagen kann man das nicht, das "Weltraumwetter" ist genau so wie unser Wetter ein chaotisches System. Zu den Vorgängen in der Sonne gibt es Theorien, ev. wird sich einmal eine davon durchsetzen. Die Auswirkungen des grössten bisher beobachteten Sonnensturms sollte man schon ernster nehmen als es das BABS tut, ein solches Ereignis würde ja die ganze Welt treffen, einfach industrialisierte Länder härter als andere! Die einzigen elektrischen Leitungen 1859 waren die Telegraphenleitungen in den USA, auch Telegraphenstationen fackelten ab. Tesla, der Vater unseres Stromnetzes, war dann gerade drei Jahre alt. Was heute mit unserer elektrischen Infrastruktur geschen würde möchte ich mir gar nicht vorstellen. Vergleichbar nur mit dem NEMP - schließlich sind Sonnen auch Atombomben...