Wie nachhaltig ist eigentlich Wein?
Herbst ist die Zeit der Traubenlese. Wir haben kritisch ins Weinglas geblickt, um herauszufinden, wie nachhaltig das liebste alkoholische Getränk der Schweizer ist.
Veröffentlicht am 11. Oktober 2021 - 10:33 Uhr
- Schadet Wein der Umwelt?
- Ist die Ökobilanz von Biowein besser?
- Spielt die Verpackung eine Rolle?
- Was hat Wein mit Biodiversität zu tun?
- Wie schlimm ist Kupfer?
- Klimaneutraler Anbau – geht das?
- Wofür steht der Begriff Naturwein?
- Wie schmecken Piwi-Weine?
- Piwi-Rebsorten: Sind sie gut?
- Was ist mit dem Transport?
- Ist regionaler Wein nachhaltig?
Wein gehört wie Kaffee zu den besonders umweltbelastenden Getränken. Zum Vergleich: Bier schneidet sechs- bis achtmal so gut ab. Auch darum gilt: Wein massvoll konsumieren!
Vor allem der Pflanzenschutz belastet die Ökobilanz: In Europa werden 60 Prozent aller Fungizide für den Weinbau verwendet – obwohl er nur fünf Prozent der gesamten Anbaufläche ausmacht. Darunter leiden Gewässer, Insekten und Vögel.
Pestizide sind auch im Wein nachweisbar: 2020 hat der «Kassensturz» 15 Schweizer Weine aus konventionellem Anbau getestet, die Hälfte enthielt fünf oder mehr Pestizide. Ausländische Weine sind nicht besser: Eine Bürgerinitiative aus der Region Bordeaux wies im Schnitt acht verschiedene Pestizide pro Flasche nach.
Das ist problematisch, denn über die Wechselwirkungen solcher Chemiecocktails weiss man wenig.
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Ja, aber es ist kompliziert.
Eine Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) vergleicht die Ökobilanz von Schweizer Wein aus biologischer und aus IP-Produktion: Darin wird der Einsatz von Kupfer im Biolandbau ähnlich negativ wie derjenige von synthetischen Pestiziden im konventionellen Anbau gewichtet. Ob Kupfer die Umwelt tatsächlich so stark belaste, sei aber umstritten, sagt Peter Schumacher, der an der ZHAW Professor für Weinbau ist.
Die besagte Studie kommt zum Schluss, dass Wein vor allem dann nachhaltig ist, wenn sogenannte Piwi-Sorten angebaut werden, die widerstandsfähig gegen Pilzkrankheiten sind und sehr viel weniger gespritzt werden müssen.
Abgesehen von der Diskussion um das Kupfer hat Schweizer Biowein gemäss Studienleiter Matthias Stucki von der ZHAW zwei klare Vorteile:
- Er ist weniger klimaschädlich, weil er ohne synthetischen Pflanzenschutz und Kunstdünger auskommt, die in der Herstellung und Anwendung viele CO2-Emissionen verursachen.
- Und er ist besser für die lokale Biodiversität – dieser Punkt wurde in der Studie nicht berücksichtigt.
Die Studie hat ebenfalls gezeigt, dass die Unterschiede zwischen den einzelnen Winzern gross sind: Die Lage, das Klima, die Art der Bewirtschaftung und die Flasche beeinflussen die Ökobilanz stark.
Es kann sich also lohnen, den Winzer direkt auf das Thema Nachhaltigkeit anzusprechen.
Und wie.
Beim Schweizer Wein verursacht die Herstellung der Flasche etwa gleich viel CO2-Emissionen wie die Traubenproduktion, ergab die ZHAW-Studie.
Leichte Flaschen sind für die Umwelt besser als schwere Prestigeflaschen. Um ein Vielfaches besser schneidet die Bag-in-Box-Verpackung ab, wie man sie von Saft kennt. Vorteil: Beim «Zapfen» gerät kaum Sauerstoff in die Verpackung, der Wein bleibt geschmacklich lange einwandfrei.
Im englischsprachigen Raum werden auch Qualitätsweine in Bag-in-Box-Verpackung angeboten. Bei uns sind die Kartonverpackungen aber wenig akzeptiert.
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So steht es um die Ökobilanz von Verpackungen
Rebberge sind oft klassische Monokulturen: Wo Wein gedeiht, wird er seit Jahrhunderten angebaut, zwischen den Zeilen nackter Boden oder Gras.
Der naturnahe Weinbau will das ändern, in den Bio- und besonders den Delinat-Richtlinien sind die Anforderungen an die Biodiversität deshalb hoch: Im Ökosystem Rebberg wächst zwischen den Reben ein artenreicher Pflanzenteppich mit einheimischen Kräutern und Blumen. Dieser konkurriert mit den Reben weniger um Wasser und Nährstoffe als Gras. Leguminosen wie Klee oder Ackerbohnen bringen zudem Stickstoff in den Boden. In einem solchen Rebberg leben viele Insekten, darunter auch Nützlinge, die Schädlinge in Schach halten.
Im feuchten Schweizer Klima sind der falsche und der echte Mehltau das grösste Problem im Weinbau.
«Europäische Rebsorten müssen im Biolandbau bis zu 15-mal mit Kupfer gespritzt werden», sagt Andreas Tuchschmid, der das Weingut des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) in Frick führt. Das Schwermetall reichert sich im Boden an, kann Mikroorganismen schädigen.
Heute setzt man im Vergleich zu früher nur noch einen Bruchteil des Kupfers ein: in der Schweizer IP-Produktion und im EU-Biolandbau maximal sechs Kilo pro Hektare und Jahr, beim Schweizer Bio vier Kilo, bei Delinat und Demeter noch weniger.
Trotzdem wird nach Alternativen gesucht: Tuchschmid macht gute Erfahrungen mit einem Präparat aus Tonerde und Schachtelhalm, das die Reben resistenter macht.
So gestärkt, kommen Piwi-Reben ohne, europäische Sorten meist mit zwei bis drei Kilo Kupfer pro Hektare aus.
Klar.
Das geht dank erneuerbarer Energie, organischer Düngung, Mehrwegflaschen und Elektrofahrzeugen.
In Deutschland wurde etwa das Weingut Alfons Hormuth als klimaneutral ausgezeichnet und in Österreich das Weingut Stift Klosterneuburg.
Winzerinnen und Winzer sind übrigens von der Klimaerwärmung besonders betroffen: Die Reben blühen immer früher im Jahr, was sie anfällig macht für Spätfrostschäden. Auch die zunehmenden Starkregen sowie die langen Trockenperioden bekommen den Pflanzen nicht gut.
Naturwein – oft auch Vin naturel oder Natural Wine genannt – ist nicht zwingend ökologisch.
Es geht um eine natürliche Vinifikation – oder wie Kritiker sagen würden: um das Ignorieren technologischer Errungenschaften im Weinkeller. Der Winzer verzichtet auf Zusatzstoffe, Filtration, Schönung und oft auch auf Schwefel, der Wein haltbar macht. Statt auf zugesetzte Hefen setzt er auf Spontanvergärung.
Der neugegründete Verein Schweizer Naturwein aber schreibt vor, dass Mitglieder biologisch produzieren. Naturwein kann also nachhaltig sein.
Heute verziehen Weinkenner nicht mehr prophylaktisch das Gesicht: Im Preissegment von 15 bis 20 Franken können vor allem weisse Piwi-Weine locker mithalten.
Preisgekrönte Weine produzieren die Bioweingüter Sitenrain in Meggen (Luzern), Karin und Roland Lenz in Iselisberg (Thurgau), Bosshart und Grimm am Walensee (St. Gallen), das FiBL in Frick (Aargau).
Im Geschmack unterscheiden sich die neuen Sorten ein bisschen von den traditionellen europäischen. «Das kann auch eine Bereicherung sein», sagt Andreas Tuchschmid vom FiBL. Bei Degustationen stellt er immer wieder fest, dass vor allem jüngere Konsumenten weniger Mühe haben, sich darauf einzulassen. Er ist überzeugt, dass sich in den nächsten Jahren noch viel tun wird.
Ja, aus Ökosicht. Dank Umstellung auf Piwi-Sorten wird Wein bis zu 60 Prozent weniger schädlich für die Umwelt.
Gemäss Peter Schumacher von der ZHAW kommen die robusten Rebsorten in guten Jahren ohne Kupfer aus, und in schlechten brauchen sie nur rund 500 Gramm Kupfer pro Hektare.
Noch ungewohnt klingende Sorten wie Cabernet Jura, Johanniter, Solaris, Muscaris, Sauvignac, Divico oder Cabernet Blanc sollte man sich merken. In Frankreich sind sie wegen gesetzlicher Hürden kaum verbreitet, aber in vielen Ländern, auch in der Schweiz, gibt es immer mehr davon, vor allem im Bioanbau.
Dennoch geht der Umbau langsam voran: Ein Rebberg wird in der Regel erst nach 30 oder mehr Jahren neu angepflanzt.
Nicht so schlimm.
Da ausländischer Wein in grossen Mengen mit dem Schiff, der Bahn und per Lastwagen transportiert wird, belastet er die Ökobilanz nicht allzu stark. Die Autofahrt zum Winzer fällt schnell einmal stärker ins Gewicht: Selbstabholung kann das Treibhauspotenzial von Schweizer Wein verdoppeln.
Wein deshalb besser in der Weinhandlung kaufen oder grössere Mengen liefern lassen.
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Bei Wein aus konventionellem Anbau hat der importierte eher höhere Umweltauswirkungen als der einheimische, weil im Ausland oft mehr Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden.
Das hat ein Vergleich von Matthias Stucki von der ZHAW gezeigt. Beim Biowein fehlen Studien. Eigentlich könnte in einem südlicheren, trockenen Klima mit weniger Pflanzenschutzmitteln produziert werden als in der Schweiz, wo Krankheiten mehr Probleme machen. Doch weil die Vorschriften – etwa der Kupfergrenzwert – im Ausland oft weniger streng sind, kommt es auf die einzelnen Winzer an, wie nachhaltig sie produzieren.
1 Kommentar
Reben, der Reben-Anbau, ist so oder so, nur OHNE jegliche CHEMIE für die NATUR unbelastend und damit auch für die Gesundheit der Menschen!!