Die Selbstregulierung der Pharmaindustrie Pharmagelder für Ärzte und Spitäler Grosse Geschenke erhalten die Freundschaft ist ein Lehrstück, wie schöne Worte von einem brisanten Thema ablenken können. 60 Pharmaunternehmen haben in der Schweiz den Pharma-Kooperations-Kodex unterzeichnet. Sie verpflichten sich, die Gelder offenzulegen, die sie an Ärzte und Experten der Gesundheitsbranche zahlen. Zudem müssen die Firmen Zahlungen publizieren, die sie an Spitäler, Universitäten, Ärztenetzwerke und andere Institutionen leisten.

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Innerhalb von drei Jahren ist diese Summe von 141 Millionen Franken (2015) auf fast 163 Millionen (2017) gestiegen. Das zeigt eine Auswertung des Beobachters in Kooperation mit «Handelszeitung», «Blick» und «Le Temps». 

12,5 Millionen flossen 2017 direkt an rund 4270 Ärzte. Die Pharmaindustrie bezahlt ihnen Kongressgebühren, Honorare als Referenten, für Beraterdienste und übernimmt ihre Spesen. Rund 91 Millionen gingen an Spitäler, Arztpraxen sowie Institutionen und Firmen der Gesundheitsbranche – meist in Form von Sponsoring. 59 Millionen erhielten Spitäler für die Finanzierung von klinischen Studien.

Pharmagelder für Ärzte werden zwar ausgewiesen, aber...

Die Pharmaindustrie wollte mit ihrer Transparenzoffensive Pharmagelder 138 Millionen Franken für Spitäler und Ärzte eigentlich zeigen, dass die Zeiten vorbei sind, in denen sie Ärzte mit Luxusreisen an internationale Kongresse köderte und ihnen ungebührliche Geschenke machte. Drei Jahre nach Einführung der Offenlegungspflicht zeigt sich: Die Transparenzregelung ist eine Alibiübung.

Zwar legt die Pharmaindustrie die Geldflüsse offen Transparenz Welche Ärzte und Spitäler lehnen Pharmagelder ab? . Die meisten Empfänger werden inzwischen sogar namentlich genannt. Nur findet diese Angaben kaum jemand – oder man kann mit den Angaben nichts anfangen. Die Firmen haben unter dem Dach des Branchenverbands Scienceindustries ein kompliziertes System kreiert, das ausser Brancheninsidern kaum jemand versteht. Jede der 60 in der Schweiz ansässigen Firmen publiziert im Internet Listen mit Geldbezügern – aber nicht auf einer zentralen Website, sondern auf firmeneigenen Homepages.

Transparenz verliert sich im Datenmeer und Wortspielereien

Entstanden ist Pseudotransparenz. Selbst wer bei einer Firma die besagte Liste findet, weiss nicht, wie viel ein Arzt insgesamt bezogen hat. Wenn man etwa prüfen will, ob ein Professor neben seinem ordentlichen Gehalt Beraterhonorare von der Pharma kassiert oder sich an einen internationalen Fachkongress einladen lässt, muss man alle in Frage kommenden Firmen absuchen und verliert sich in einem Meer von Daten.

Die Firmen haben sich zwar auf eine einheitliche Darstellung der Informationen geeinigt. Aber mit einer Reihe von Tricks versuchen sie, aussagekräftige Schlüsse zu verunmöglichen.

Viele Leser scheitern bereits an der Wortwahl. Geldüberweisungen heissen «finanzielle Zuwendungen» oder ToV – Transfers of Value. Ein Arzt wird zum HCP, das heisst Health Care Professional. Ein Spital heisst HCO, Health Care Organisation. Ein anderer Kunstbegriff ist Aggregate Amounts, «gesammelte Beträge». Darunter fallen Zahlungen an Ärzte und Spitäler, die ihre Namen zurückhalten. Die Beträge werden auf der Liste als Gesamtsumme ausgewiesen. Diese Praxis war 2015 und 2016 noch stärker verbreitet, ist aber bei vielen Pharmafirmen nach wie vor beliebt. 

Pharmafirmen machen Suche extra kompliziert

Um dem Pharma-Kooperations-Kodex mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen, setzte der Branchenverband Scienceindustries eigens eine Kommission ein. Seit drei Jahren legt diese den Firmen nahe, grundsätzlich alle Namen von Ärzten und anderen Geldempfängern offenzulegen. Jetzt hat der Branchenverband angekündigt, künftig alle Firmen aufzulisten, die weniger als 80 Prozent der Gelder einem Arzt oder einer Institution zuordnen.

Es gibt eine weitere Möglichkeit, die Listen mit den Geldflüssen Ärzte Pharmaindustrie verteilt Millionen zu verkomplizieren. Etliche Firmen wählen dafür eine Darstellung, die nur schwer durchsucht werden kann. Statt etwa die Geldempfänger mit Nachnamen alphabetisch aufzulisten, werden sie nach Vornamen sortiert. Andere Firmen fügen den Namen noch akademische Titel bei. Oder sie listen die Namen wild durcheinander auf. Die Suche nach einem bestimmten Arzt verkommt so zur Suche nach der Nadel im Heuhaufen.

458'000'000 Franken

zahlten 60 Schweizer Pharmafirmen von 2015 bis 2017 an Ärzte, Spitäler, Fachgesellschaften und Medizinalfirmen.

 

Auch mit der Suchfunktion lässt sich ein bestimmter Arzt nicht einfach finden. Die Namenslisten mehrerer Firmen lassen sich nicht auf diese Weise durchsuchen. In einem Fall hat ein Pharmakonzern auf der Website sogar eigens ein Programm installiert, um zu verhindern, dass man die Tabelle herunterladen kann, um sie in Ruhe zu studieren.

Viele der Firmen nennen die Beträge, die sie an Ärzte gezahlt haben, auf den Rappen genau. Mit dieser übertriebenen Genauigkeit suggerieren sie vollständige Transparenz. In der Realität ist genau das Gegenteil der Fall. Viele Unternehmen unterlassen es, die ausgezahlten Teilbeträge auch als Gesamtbetrag pro Arzt auszuweisen. Oft fehlt sogar die Gesamtsumme der Zahlungen. Wer wissen möchte, wie viel eine Firma insgesamt an Ärzte überwiesen hat, muss alle Beträge selber zusammenzählen.

Klicken Sie auf die Punkte mit den Jahreszahlen um zu sehen, wie sich die Zahlungen über die Jahre verändert haben.

Realität wird geschönt

Der Branchenverband rühmt sich für die Transparenzoffensive. Die Rate von Ärzten, die die Einwilligung zur Veröffentlichung ihrer Namen geben, sei auf 73 Prozent gestiegen. Die Hälfte der Unternehmen erreiche bereits einen Wert von 83 Prozent (Medianwert), heisst es im Jahresbericht von Scienceindustries.

Doch mit diesen Zahlen wird die Realität geschönt. Denn viele Firmen weisen zwar über alle Zahlungen an Ärzte, Spitäler und Institutionen gesehen tatsächlich eine hohe Offenlegungsrate aus. Prüft man aber, wie viele Ärzte mit ihrem Namen zu den Geldzahlungen stehen, fallen die Werte deutlich tiefer aus. Ein Dutzend Pharmaunternehmen kommen gerade einmal auf eine Offenlegungsrate von etwa 50 Prozent – sprich: Jeder zweite Arzt hält seinen Namen geheim.

Unter diesen Firmen finden sich auch grosse Konzerne wie Boehringer Ingelheim, Bristol-Myers Squibb, MSD Merck Sharp & Dohme und Sanofi. Besonders intransparent sind Actelion, Almirall, Biogen, Merck und Meda. Teils steht bei ihnen nur jeder dritte Arzt dazu, dass er gesponsert wird. Meda erreicht eine Veröffentlichungsrate von bloss 17 Prozent.

Viele Ärzte finden Bezahlung durch Pharma normal

Dass es anders geht, zeigen Novartis, GlaxoSmithKline und Mundipharma. Sie veröffentlichen alle Geldempfänger namentlich und lassen die Ärzte einen Vertrag unterzeichnen, wonach sie mit der Veröffentlichung ihres Namens einverstanden sein müssen.

Auf die Kritik des Beobachters, die Selbstregulierung habe gravierende Mängel, sagt Jürg Granwehr, Leiter Pharma bei Scienceindustries: «Die Vergleichbarkeit der Daten der einzelnen Firmen war und ist nicht das Ziel der Transparenzinitiative.» Sprich: Die Pharmaindustrie lanciert eine Transparenzregel, deren Ziel die Nichtvergleichbarkeit, also die Intransparenz, ist.

«Für viele Ärzte sind solche Zahlungen völlig normal.»

Heinz Locher, Gesundheitsökonom

 

Gesundheitsökonom Heinz Locher, Kritiker der finanziellen Abhängigkeiten im Gesundheitswesen, sagt: «Es besteht kein Problembewusstsein, weder bei den Pharmaunternehmen noch bei den Ärzten.» Er sieht ein «Mentalitätsproblem». Für viele Ärzte seien solche Zahlungen «völlig normal». Sie seien geradezu entsprechend sozialisiert worden, sich von der Industrie sponsern zu lassen. «Ärzte, Spitäler, alle machen mit», sagt Locher.

Das habe dazu geführt, dass statt einer «griffigen Transparenzregelung» lediglich ein Verhaltenskodex verfasst worden sei. «Weil diese Selbstregulierung keinen korrigierenden Einfluss hat, muss meiner Meinung nach der Staat eine Regelung treffen.» Locher sieht nur eine Lösung: «Veranstaltungen, die den Ärzten Weiterbildungscredits vergeben, dürfen von der Pharmaindustrie überhaupt nicht gesponsert werden.» 

FMH spricht sich für zentrale Liste aus

FMH-Präsident Jürg Schlup bezeichnet diesen Ansatz als «interessant und prüfenswert». Die Ärzte-Dachorganisation betont sonst immer den Konsens mit der Pharmaindustrie. Aufgrund der unübersichtlichen Veröffentlichungspraxis geht die FMH nun aber auf Distanz zur Branche. Ärztepräsident Schlup sagt: «Im Sinn der Transparenz ist es notwendig, dass die Entschädigungen an einer einzigen Stelle publiziert werden.»

Doch Scienceindustries macht gegenüber dem Beobachter klar, dass die Daten auch künftig von jedem Unternehmen separat veröffentlicht werden. Schlup sagt: «Wir haben ein Interesse an hoher Transparenz.» Deshalb fordert er: «Die Pharmafirmen sollten keine Ärzte mehr finanziell unterstützen, die eine Offenlegung ihres Namens ablehnen.»

Bund will mehr Transparenz – mit einem Hintertürchen

Der Bundesrat will im Heilmittelbereich die Integrität und die Transparenz verstärken. Dazu hat er eine entsprechende Verordnung genehmigt, die Anfang 2020 in Kraft tritt. Neu sind geldwerte Vorteile von Pharmaunternehmen an Ärzte und Spitäler nicht mehr zulässig, wenn sie die Wahl der Behandlung beeinflussen können oder an andere Bedingungen geknüpft sind.

Doch die neue Regelung hat gleich mehrere Hintertürchen: Zum einen gilt dieser Grundsatz nur für verschreibungspflichtige Medikamente. Zum anderen dürfen Pharmaunternehmen auch weiterhin Ärzte und andere Fachpersonen der Gesundheitsbranche zu Kongressen einladen und ihnen neben den Kongressgebühren auch Übernachtungsspesen bezahlen. Ärzte müssen sich lediglich mit einem Selbstkostenbeitrag beteiligen.  Das ist bereits heute übliche Praxis.

Etwas strenger werden die Bedingungen für Pharmaunternehmen, wenn sie Spitäler oder andere Institutionen sponsern. Neu darf das Geld nicht mehr einem Arzt selber angeboten oder gewährt werden, sondern der Organisationen, für die der Arzt arbeitet. Gleichzeitig müssen Pharmaunternehmen das Geld auf ein Konto des Spitals überweisen, auf das Ärzte keinen alleinigen Zugriff haben und das in der Buchhaltung des Spitals ausgewiesen wird.

An vielen Spitälern war es nämlich jahrzehntelang gang und gäbe, dass Kaderärzte dank Sponsoringgeldern der Pharma de facto schwarze Kassen führten. Niemand störte sich daran, viele profitierten. Aus diesen Töpfen bezahlten Chefärzte ihren Untergebenen Weiterbildungen oder Prämien, wie der Beobachter berichtete Urban Laffer Halb Gott, halb Kassenwart .

In der neuen Verordnung will der Bundesrat sogar ein bisschen Tranparenz schaffen, was die teils grosszügigen Preisnachlässe betrifft, die Pharmaunternehmen Ärzten, Apotheken und Spitälern gewährt. Neu müssen Unternehmen solche Preisrabatte und Rückvergütungen dem Bundesamt für Gesundheit offen legen. Allerdings nur, wenn das Bundesamt für Gesundheit danach fragt. Die neue Verordnung verpflichtet das Bundesamt gleichzeitig dazu, die neuen Bestimmungen zu kontrollieren und gegebenenfalls zu sanktionieren. Wie das Bundesamt für Gesundheit aber die Pharmaunternehmen kontrollieren soll und welche Sanktionen zur Verfügung stehen, ist nicht in der Verordnung geregelt.

Mitarbeit: Vinzenz Greiner («Blick»), Michael Heim («Handelszeitung»), Sascha Britsko

Über «Pharmagelder Schweiz»

Sehen Sie selbst, welche geldwerten Leistungen die Pharmaindustrie Ärzten, Spitälern und anderen Institutionen der Gesundheitsbranche zukommen liess: Auf www.pharmagelder.ch machen die Schweizer Medien des Ringier Axel Springer Research Network entsprechende Daten zugänglich und für jeden durchsuchbar. Die Daten stammen von 60 Pharmafirmen, die sie gemäss Pharma-Kooperations-Kodex des Verbands Scienceindustries offengelegt haben. 

«Pharmagelder Schweiz» ist ein Projekt des Ringier Axel Springer Research Network. Im Netzwerk arbeiten Journalisten verschiedener Medien bei transnationalen, datengetriebenen oder investigativen Projekten zusammen. Teil davon sind: Beobachter, «Blick»-Gruppe, «Handelszeitung» und «Le Temps» (Schweiz), «Welt» und «Bild» (Deutschland), «Pulse» (Nigeria), «Politico» (Belgien), «Onet» (Polen), «Aktuality.sk» (Slowakei), «Libertatea» (Rumänien), «Blic» (Serbien), «Blikk» (Ungarn), «Business Insider» (Vereinigtes Königreich).

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Otto Hostettler, Redaktor
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