«Schon heute leben viele polygam»
Man warf ihr vor, mit der Reform des Familienrechts wolle sie die Ehe zu Grabe tragen, Inzest erlauben und Polygamie legalisieren. Jetzt antwortet die Basler Jusprofessorin Ingeborg Schwenzer im «Beobachter» erstmals ihren Kritikern.
Veröffentlicht am 6. Juni 2014 - 16:40 Uhr
Die Kritik habe sich einseitig an Schlagworten orientiert und den Inhalt ihres Gutachtens unterschlagen. Ihr gehe es bei der Reform des Familienrechts um Anderes: Wer zusammenlebe, müsse Verantwortung für sein Handeln übernehmen – über die Dauer der Beziehung hinaus. «Es kann nicht sein, dass man sich aus der Verantwortung stehlen kann, nur weil man nicht geheiratet hat.»
Beobachter: Frau Schwenzer, wollen Sie die Ehe abschaffen?
Ingeborg Schwenzer: Ganz und gar nicht. Mir schwebt nur ein neues Familienrecht vor, bei dem alle die Verantwortung für ihr Leben übernehmen, gleichgültig ob sie verheiratet sind oder nicht. Es soll zum Beispiel Männern nicht mehr möglich sein, wie in einer Ehe zu leben und hinterher sagen: Wir waren ja nicht verheiratet, deshalb bin ich für nichts verantwortlich.
Beobachter: Die Kritiker werfen Ihnen aber vor, dass Sie die Ehe zerstören, den Inzest lockern und Polygamie zulassen wollen.
Ingeborg Schwenzer: Die haben etwas gründlich missverstanden. Ich war schon etwas überrascht, dass man diese beiden Nebenpunkte meines Gutachtens herausgegriffen und sie gross zum Thema gemacht hat. Man hat sich an Schlagworten orientiert, nicht am Inhalt meines Gutachtens.
Beobachter: Aber Sie fordern doch eine Lockerung des Polygamieverbots?
Ingeborg Schwenzer: Längerfristig muss man darüber nachdenken. Schon heute leben viele polygam: Sie sind verheiratet und haben daneben noch eine Beziehung ausserhalb. Wenn zum Beispiel die Geliebte ihre Berufstätigkeit für die Beziehung aufgibt, steht sie womöglich mit leeren Händen da. Sie braucht einen besseren Schutz. Das hat rein gar nichts mit Religion zu tun.
Beobachter: Sondern?
Ingeborg Schwenzer: Mit der Durchsetzung des Verantwortungsprinzips. Beide, Ehefrau und Partnerin sollen nach einer Trennung entschädigt werden, wenn Kinder da sind und einer für die Gemeinschaft weniger gearbeitet hat. Und was spricht eigentlich dagegen, die Ehe für Mehrfachpartnerschaften zu öffnen, wenn dies alle Beteiligten ausdrücklich wünschen? Aber das ist wirklich nur ein Randaspekt meines Gutachtens.
Beobachter: Ist die Lockerung des Inzestverbots auch nur ein Randaspekt?
Ingeborg Schwenzer: Genau. Dass inzestuöse Ehen zwischen Eltern und ihren Kindern zugelassen werden, kommt überhaupt nicht in Betracht. Denn da ist der Missbrauch des Kinds immer wahrscheinlich. Das Verbot der Ehe zwischen Halbgeschwistern und der Ehe zwischen Geschwistern, bei denen die Verwandtschaft alleine auf Adoption gegründet ist, ist meiner Meinung nach aber überdenkenswert.
Beobachter: Sie schlagen auch vor, dass man quasi automatisch in eine Art Ehe hineinrutscht, wenn man zum Beispiel drei Jahre zusammengelebt hat. Zum Heiraten braucht es aber doch einen Willensakt?
Ingeborg Schwenzer: Der Willensakt besteht bereits, wenn jemand bewusst wie in einer Ehe zusammenleben will. Aber nochmals: Männer sollen sich ihrer Verantwortung nicht dadurch entziehen können, indem sie nicht heiraten. Das gilt selbstverständlich auch für Frauen, die sich beispielsweise einen Partner aus Afrika holen, zwei Jahren mit ihm zusammenleben und dann sagen: Schau selber, wo du bleibst.
Beobachter: Es gibt aber viele Paare, die explizit nicht heiraten wollen?
Ingeborg Schwenzer: Für mich ist eine Beziehung so etwas wie eine kleine Firma. Wenn sie sich auflöst, werden Gewinne und Verluste unter allen Gesellschaftern aufgeteilt. Genauso soll es bei Beziehungen sein.
«Hirnlappen, der verkehrt läuft»: Der Zürcher SVP-Nationalrat Toni Bortoluzzi bezeichnete gegenüber dem «Beobachter» Schwule und Lesben als «Fehlgeleitete» mit «unnatürlichem Verhalten». Die Schwulenorganisation Pink Cross zeigt sich entsetzt. Sie behält sich rechtliche Schritte gegen Bortoluzzi vor.
2 Kommentare
Was die die obligatorische Zivilehe mit Eintrag ins Zivilstandsregister betrifft, so wurde diese mit dem Zusatzübereinkommen über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels und der sklavereiähnlichen Einrichtungen und Praktiken eingeführt. Die Schweiz verpflichtete sich als Signatarstaat Register zu führen: in der Regel wussten die Frauen nicht, dass der Mann noch weitere Partnerschaften führt. In muslimischen Ländern erfahren viele Frauen und deren Kinder erst bei der Beerdigung des Mannes davon... Oder hören Sie das Lied von Violetta Parra run run se fue pa l'norte.
Ich würde der Dame empfehlen die Berichte der Frauenrechtsorganisationen jener Länder zu lesen, in denen Polygamie erlaubt ist: es funktioniert nicht. In der Regel sind die leidtragenden die Kinder aus solchen Beziehungen. Empfehle dazu den FAZ-Artikel "Wenn man muss und man nicht will", in dem ein Mann sein Dilemma beschreibt. Oder http://www.makanisi.org/poly… Überdies müsste dann auch das Kinds- und Namensrecht umgeschrieben werden. Die Idee der Männer, die Polygamie anstreben ist eher, dass zwei oder mehr Frauen arbeiten, so dass sie über deren Einkommen und Vermögen verfügen können. In diesen Ländern wurden aufgrund solchen Missbrauchs verbunden mit ökonomischer Gewalt weitere Gesetzgebung notwendig. Versicherungstechnisch ist dies auch zu regeln: Stirbt ein Mann, hätte der Staat für alle Kinder Waisenrente zu bezahlen sowie allen Frauen Witwenrente. Bei vier Frauen mit je 4 Kindern .... Was die Lebensversicherungen davon halten?