«Ich will keine Kinder»: Das ist ein Satz mit Wirkung. Wenn Samantha Wolf ihn sagt, lachen viele. «Das kommt noch», sagen sie dann zur 26-Jährigen. Sie antwortet: «Natürlich weiss auch ich nicht, was in zehn Jahren sein wird. Aber für mich gibt es nichts, was für Kinder sprechen würde. Und ich habe auch keinerlei Muttergefühle, wenn ich das Baby einer Freundin im Arm halte.»
Keine Kinder zu wollen, gilt auch heute noch als Provokation. Ein Lebensentwurf, der angeblich gegen den Sinn und Zweck der weiblichen Existenz sei.
Das zeigen Reaktionen in einem Live-Chat zum Buch «Ich will kein Kind» der deutschen Autorinnen Sonja Siegert und Anja Uhling:
«Zum Glück haben Ihre Eltern nicht so wie Sie gedacht.»
«Leute, die kein Kind ins Rentensystem eingebracht haben, sollten auch keinen Rentenanspruch haben.»
Wirklich überrascht waren die Autorinnen nicht. «Die Reaktionen auf das Buch waren teils wirklich heftig. Aber eben weil es viele Leute gibt, die so denken, wollten wir die Geschichten von Menschen publik machen, die diese unpopuläre Entscheidung getroffen haben», sagt Sonja Siegert.
Der Familiensoziologe Beat Fux beobachtet diese Spannungen zwischen Eltern und Kinderlosen seit längerem. «Eigentlich leben wir in einer Gesellschaft, in der Individualität und Toleranz grossgeschrieben werden. Es sind viele Formen von Lebensentwürfen möglich. Aber bewusst keine Kinder haben zu wollen ist nach wie vor ein Tabubruch», sagt Fux, der an den Universitäten Zürich und Salzburg arbeitet. «Das Bild der Frau als Mutter ist tief verankert.»
Der Reformator Martin Luther etwa war der Meinung, dass Frauen ihre geistige Schwäche und körperliche Unterlegenheit am besten im Haus zu kompensieren vermochten. Ihre wichtigsten Aufgaben seien das Gebären und das Aufziehen der Kinder.
Trotzdem gab es immer Frauen, die keine Kinder wollten. «Historisch gesehen haben Frauen schon immer auch Lebensformen jenseits der Norm praktiziert, mussten dafür aber teils weitreichende Konsequenzen tragen – vor allem dann, wenn diese Lebensformen nicht beruflich legitimiert wurden», schreibt die deutsche Soziologin Lena Correll in einer Untersuchung zu Kinderlosigkeit. Viele Frauen, die als Expertinnen für das damalige Sexual- und Verhütungswissen galten, wurden als Hexen gebrandmarkt, verfolgt und ermordet.
Bei Männern ohne Kinderwunsch fällt das Urteil hingegen relativ mild aus. Denn während bei einer Frau die biologische Uhr tickt und allmählich das Alter der Risikoschwangerschaften und der Unfruchtbarkeit einläutet, können sich Männer schliesslich bis ins hohe Alter vermehren. Familiensoziologe Beat Fux: «Letztlich ist dieser Umstand auf ein frauendiskriminierendes Kulturmuster zurückzuführen, das auf der Vorstellung basiert, dass Männer frei sind, Frauen aber schon von Natur aus dazu da, Kinder zu gebären.»
In der Schweiz basiert die Hälfte der Geburten nicht auf einem bewussten Entscheid. Doch auch Kinderlosigkeit ist nicht immer geplant. Die deutsche Psychologin Christine Carl unterscheidet drei entsprechende Typen von Frauen: Die Frühentscheiderinnen sind schon Mitte 20 sicher, dass sie keine Kinder wollen. Für sie ist Elternschaft nichts Selbstverständliches. Das ist bei den Spätentscheiderinnen anders, die sich oft erst Mitte 30 partnerschaftlich gegen Kinder entscheiden. Die dritte Gruppe: Immer mehr Frauen verschieben das Kinderhaben auf später – und verzichten schliesslich ganz, weil sie nie den richtigen Zeitpunkt oder den passenden Partner gefunden haben, sagt Experte Beat Fux.
Dennoch scheint Kinderlosen nicht per se etwas zu fehlen im Leben. «Leute ohne Kinder haben ein wesentlich grösseres soziales Netzwerk, sind ökonomisch vergleichsweise besser gestellt und können sich im Alter häufig Betreuung leisten», so Fux. Ausserdem seien nur wenig psychologische Auswirkungen festzustellen.
Jede dritte Frau bleibt kinderlos
Inzwischen bleibt jede dritte Frau in der Schweiz bewusst oder wegen Unfruchtbarkeit kinderlos, bei den gut ausgebildeten Frauen sind es zwei von drei. Wer sich für die Mutterschaft entscheidet, gebärt immer häufiger nur ein Kind. 1964 waren es durchschnittlich noch 2,7 Kinder, seit einigen Jahren pendelt sich die Zahl bei etwa 1,52 ein. Der Hauptgrund, auf Kinder zu verzichten, ist die Unvereinbarkeit von Beruf und Familie (41 Prozent), wie Fux in einer Studie herausfand. 27 Prozent begründen die Kinderlosigkeit mit einem «Mangel an Zeit für anderes», 16 Prozent befürchten Erziehungsprobleme, 7 Prozent halten ihre Beziehung für zu wenig stabil, 9 Prozent geben andere Gründe an.
Silvia Leuenberger: Ich bin auf dem Land aufgewachsen, in einer italienischen Familie. Kinder zu bekommen gehörte zur Lebensaufgabe einer Frau. Ich dagegen verspürte nie das Bedürfnis. Ich war immer sicher, dass ich eine gestresste Mutter wäre. Kinder finde ich trotzdem herzig. Aber eben gerade deshalb, weil es nicht meine eigenen sind.
Samantha Wolf: Ich möchte im Ausland arbeiten, ungebunden sein. Das ist mit Kindern schwierig. Als Mutter würde ich mir zudem konstant Sorgen machen. Ich würde mein Kind vermutlich in Watte packen. Was ich ganz furchtbar finde.
Isabelle Anne Küng: Mein Bauchgefühl sagte mir, dass ich keinen Nachwuchs will. Kinder, die alle fünf Minuten etwas fragen, wo ich dann eh Nein sagen muss – nein danke. Da habe ich es lieber ruhig zu Hause. Wenn mich Leute darauf ansprechen, schiebe ich manchmal meinen Beruf vor, um ewig langen Diskussionen aus dem Weg zu gehen. Mein engstes Umfeld weiss jedoch, dass ich nie wirklich einen Kinderwunsch hatte. Seit kurzem habe ich einen neuen Partner. Trotzdem ist Nachwuchs kein Thema.
Brida von Castelberg: Beruf und Familie waren vor 40 Jahren noch viel schwieriger vereinbar als heute. In meinem Leben gab es keinen Platz für Kinder. Ich habe mich nie aktiv gegen Kinder, sondern für meinen Beruf als Ärztin entschieden. Ich kann mir vorstellen, dass es schön ist, ein Kind im Bauch zu spüren. Aber wenn ich mir dann überlegte, mich 24 Stunden pro Tag sieben Tage die Woche um den Nachwuchs zu kümmern, war die Idee ganz schnell weg.
Von Castelberg: Die sichere Verhütung ist erst 50 Jahre alt – früher hatten Frauen keine Wahl. Wir befinden uns heute immer noch in einer Phase des Umdenkens, in der sich neue Lebensentwürfe erst noch etablieren müssen
Leuenberger: Dass Kinderlose als Egoisten hingestellt werden, damit tue ich mich schwer. Wir können durchaus etwas für die Gesellschaft tun. Ich versuche beispielsweise in meinem Job, anderen zu helfen.
Wolf: Letztlich kann es doch auch sehr egoistisch sein, Kinder in die Welt zu stellen.
Von Castelberg: Natürlich. Der Wunsch nach einer Familie ist ein ganz persönlicher. Ich habe auf jeden Fall noch von keinem Paar gehört, es wünsche sich Kinder, da das volkswirtschaftlich sinnvoll sei.
Leuenberger: Häufig sagen Leute auch, dass sie in jemandem weiterleben möchten. Das sei der Sinn des Lebens. Diesen Wunsch kann ich nicht nachvollziehen.
Von Castelberg: Ich finde das arrogant, wenn man vom Kind fordert, es solle ein «Weiterleben» der Eltern sein. Ich fühle mich überhaupt nicht wie ein «Weiterleben» meiner Eltern.
Wolf: Den Eltern geht es doch auch häufig darum, dass sie im Alter jemanden haben, der sich um sie kümmert, damit sie nicht allein sind.
Von Castelberg: Aber Kinder sind doch längst keine Garantie mehr für eine Alterspflege.
Wolf: Denkst du heute, mit 62, nie: Vielleicht hätte ich doch Kinder haben sollen?
Von Castelberg: Doch. Die Frage stelle ich mir gelegentlich. Aber wenn ich mir dann vorstelle, was Kinder für mein Leben bedeutet hätten, ist dieser Gedanke gleich wieder weg. Kinder sind so dominant: 20 Jahre lang, jeden Tag. Heute mache ich mir lieber Gedanken über eine Alters-WG.
Leuenberger: Das ist auch in meinem Freundeskreis ein Thema. Den Garten würden wir uns dann von einem knackigen jungen Mann pflegen lassen.
Küng: Da würde ich auch einziehen.
Leuenberger: Ich bin sicher, ich gehöre in den Augen vieler zu jenen bedauernswerten Frauen, die kein Kind bekommen konnten. Das mag ich nicht. Ich will nicht bedauert werden. Es war ein bewusster Entscheid, hinter dem ich voll stehe. Mich stört das gesellschaftliche Bild, dass Kinder zum Lebensentwurf der Frau gehören.
Küng: Einer sagte einmal in die Runde, dass jede gesunde Frau in der Schweiz zwei Kinder haben sollte. Das war wohl ein Seitenhieb in meine Richtung.
Leuenberger: Ich konnte erst mit 37 offen sagen, dass ich keine Kinder will. Es war mir zwar schon lange klar, aber den definitiven Entscheid fällte ich damals während einer Weltreise. Danach ging ich zu meiner Gynäkologin und wollte mich unterbinden lassen. Sie weigerte sich. Das fand ich ungeheuerlich.
Küng: Obwohl mein Entscheid längst feststand, hatte ich Anfang 30 Torschlusspanik. Was, wenn ich es mit 45 bereue, keine Kinder zu haben? Diese Angst, etwas unwiderruflich zu verpassen, trieb mich fast fünf Jahre lang um.
Von Castelberg: Das Einzige, was ich bereue, ist, dass ich diese bedingungslose Liebe zu einem anderen Wesen nie selber erlebt habe.
Leuenberger: Aber die bedingungslose Liebe erlebe ich ja – als Kind. Ich erfahre sie von meinen Eltern. Das hat mir als Erwachsene nie gefehlt. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich mir mehr Gedanken über meine Kinderlosigkeit gemacht habe, als manche sich über das Kinderkriegen machen.
Manche Mütter müssen immer betonen, wie toll es mit Kindern ist. Denen glaube ich aus Prinzip nicht. Zumindest nicht allen. Wir müssen aber auch aufpassen, dass wir nicht auf Eltern hinabblicken. Ich bemerke manchmal, dass ich Mütter anschaue und denke: «Ach, die Arme.» Da muss ich mich selbst an der Nase nehmen. Man darf keine Grundsatzfrage daraus machen.
Küng: Frauen sollten in sich hineinhorchen und nicht versuchen, der Gesellschaft zu genügen. Wer auf das Bauchgefühl hört, fährt gut. Keiner sollte sich für seinen Entscheid rechtfertigen müssen. Auch jene nicht, die sich für Kinder entscheiden. Frauen sagen mir immer wieder: «Ich bin nur Mutter.» Da sage ich jeweils: «Was heisst hier ‹nur›? Du leistest Enormes.»
Von Castelberg: Vor allem berufstätige Mütter haben es schwer. Deshalb habe ich als Chefärztin im «Triemli» Jobsharing eingeführt. Mir war wichtig, dass Ärztinnen nicht wegen des Jobs auf Kinder verzichten müssen. Alle, die Kinder wollen, sollten Kinder haben. Nur sollte auch das Umgekehrte akzeptiert sein.