Von allen guten Geistern
Warum neigen Eltern im Alltag mit Kindern zu Übersinnlichem? Ein esoterischer Selbsterfahrungstrip, gepaart mit Fragen an den Neurologen Peter Brugger, der jeden Spuk als Hirngespinst entlarvt.
Veröffentlicht am 18. Juli 2011 - 14:19 Uhr
Mit einem Kind wird der aufgeklärte Erdenbürger leicht zum esoterischen Überflieger. Wir singen vom Mann im Mond, als wärs eine Selbstverständlichkeit. Drückt der Zahn, hilft die Bernsteinkette, fällt er aus, kommt die Fee. So fängts an.
Und weiter gehts nicht selten in Kursen wie diesem: «Kraft für Kinder». Für 200 Franken gibt es dreimal zwei Stunden Alltagshilfe für Eltern «kraft der Spiritualität». Der Kurs ist stets Wochen im Voraus ausgebucht. Am Abschlussabend sitzen acht Mütter im Kreis; nicht die Kupfer-Wolle-Bast-Fraktion, die ich erwartet hatte. Kein Vater. Wie immer. Die Themen heute: Segnen im Alltag. Kinderkrankheiten und spirituelles Heilen. Kraft der Gedanken und Worte.
Es brauche keine Vorkenntnisse, versichert Kursleiterin Lisette Huynh. «Jedoch die Bereitschaft, sich auf den Fluss der Spiritualität einzulassen.» Ich werde mir Mühe geben. Angst, ich könnte sie in die Pfanne hauen, hat Huynh keine. In ihrer Welt ist alles Bestimmung, nichts ist Zufall. Das schenkt Seelenruhe.
Dabei böte Lisette Huynh reichlich Angriffsfläche. Sie rühmt sich, in bewusster Verbindung zu stehen zu den feinstofflichen Lichtwesen und «die medialen Lichtbotschaften für die Menschen auf die Erde zu bringen». Strahlen, das kann Lisette Huynh zweifelsohne, übers ganze Gesicht. Diese Frau, so viel ist ganz offensichtlich, kann nichts und niemandem etwas Böses. Wäre ich eine Fliege, auf ihr liesse ich mich nieder.
Der Wissenschaftler Peter Brugger würde tendenziell eher das Weite suchen. Er ist überzeugt, dass es nicht in der Welt spukt, sondern im Kopf.
Beobachter: Herr Brugger, Sie erforschen als Neuropsychologe den Aberglauben und das magische Denken. Täuscht der Eindruck, oder sind esoterische Menschen einfach besser drauf?
Peter Brugger: Sie sind nicht unbedingt glücklicher, aber genussfreudiger. Sie gewinnen dem Duft eines frischen Gipfelis oder einem Sonnenuntergang mehr ab. Der extreme Skeptiker ist eher ein lustloser Mensch. Das kann man messen.
Beobachter: Wie kann ein Mensch wie Sie da noch positiv in den Tag starten?
Brugger: Ich bin ja kein notorischer Skeptiker. Viele Kollegen finden es absurd, dass ich mich überhaupt mit der Esoterik beschäftige. Die finden das alles indiskutabel blöd. Ich nicht. Mich interessiert, was hinter dem magischen Denken steckt, was im Hirn dabei abgeht.
Beobachter: In diesem Zusammenhang reden Neurowissenschaftler gerne von Ziegen und Schafen.
Brugger: Ja. Menschen, die an übersinnliche Wahrnehmung glauben, das sind die Schafe. Die anderen sind die ungläubigen Ziegen. Das stammt aus der Bibel. Die Schafe waren die Gottgläubigen, die Ziegen die Gottlosen – in der Parapsychologie wurde das dann übersetzt in Gläubige und Ungläubige an aussersinnliche Wahrnehmung.
Beobachter: Den Kurs «Kraft für Kinder» haben nur Mütter besucht. Sind Frauen die grösseren Schafe?
Brugger: Sie sind magieanfälliger. Das hängt damit zusammen, dass ihre Hirnhälften stärker zusammenarbeiten; also die linke, eher analysierende, linear denkende, und die rechte, eher ganzheitlich denkende Hemisphäre. Frauen haben dadurch mehr Freude am weiten Assoziieren. Sie neigen aber auch dazu, Bezüge und Muster zu sehen, wo nur Chaos herrscht. Dafür sieht der extreme Skeptiker nicht mal dort ein Muster, wo sich wirklich eines verbirgt.
Beobachter: Woher kommt dieser Drang, überall versteckte Botschaften zu sehen?
Brugger: Der Wahrnehmungsapparat ist besser bedient, wenn er im Zweifelsfall mehr sieht, als da ist. Nehmen wir den Neandertaler, der sich in der Savanne versteckt. Plötzlich bewegt sich was im Gras. Nun kann er immer auf Zufall setzen. Dann wird er garantiert bald gefressen. Oder er kann einen Tiger sehen, auch dort, wo gar keiner ist. Dann ergreift er ständig die Flucht, bleibt aber am Leben – vielleicht sogar länger fit.
Beobachter: Eine Prise Paranoia kann Leben retten. Wann ist zu viel des Guten?
Brugger: Wenn die Angst zwanghaft wird, etwa vor Elektrosmog. Jede unruhige Nacht des Babys, seine Schreiattacken, alles wird damit erklärbar. Irgendwann sehen Eltern überall nur noch Steckdosen und zügeln das Bett der Kleinen von einer Ecke in die andere.
Beobachter: Worunter auch die Kinder leiden?
Brugger: Unter überängstlichen Eltern aufzuwachsen ist für die Entwicklung eines Kindes nicht förderlich. Das weiss man. Viele werden später selber zwanghaft.
Lisette Huynh lässt zuerst Vergangenes Revue passieren. Was ist vom letzten Kursabend hängengeblieben? Die Berichte muten bescheiden an. «Spannend fand ich das mit dem Element Wasser», berichtet eine Mutter. Ihr Kind sei am Abend wie verwandelt aus der Dusche gekommen. Ich verstehe: Duschen als Reinigungsritual. Und nicke instinktiv. Eine andere Mutter erzählt vom Lüften am Morgen. «Fenster auf, Nachtsachen raus!» Lisette Huynh sagt: «Fenster aufmachen ist gut. Aber gib noch einen Fokus hinein. Dann wird es stärker.» Zur Demonstration schickt sie die Energien mit Fokus aus dem Fenster. Sie ruft: «So, es isch wägg!»
Nun folgt «spirituelles Heilen» von Kinderkrankheiten. Soweit ich folgen kann, was für eine Ziege nicht einfach ist, steckt folgende Idee dahinter: Jede Krankheit hat eine Bedeutung. Und weil die Kinderseele noch hell ist, nimmt sie im Alltag Dinge auf, die sie wieder loswerden muss, durch Erbrechen etwa. «Da muss man sich als Eltern keine Gedanken machen», so Lisette Huynh. Eine andere Ursache könne das Auseinanderklaffen von «Alltags-Ich» und «spirituellem Ich» sein: Wenn das, was aussen passiert, nicht mit dem übereinstimmt, was drinnen ist. Oder umgekehrt, was Huynh folgern lässt: Wird ein Kind auf dem Schulweg gehänselt und beklagt es sich zwar darüber, wird aber nicht krank, dann ist das so, weil das Leid übereinstimmt mit dem Seelenweg. «Die Seele will, dass das Kind stark wird.»
Weil nach Huynhs Lehre – «und ich habe das ja nicht alles selbst erfunden» – jede Krankheit eine Bedeutung hat, soll man Symptome nicht einfach unterdrücken. «Ihr könnt immer ein ‹Zäpfli› geben. Aber das Problem wird nicht gelöst.» Denn der Körper sei natürlich super: «Der findet immer einen Weg.» Deshalb ihr Dreipunkte-programm: Krankheit annehmen. Ursache verstehen. Heilungsprozess auslösen.
Letzteres, indem man dem Kind eine körperliche Information gibt: per Bachblüten, Homöopathie, Stein- oder Farbenlehre – «und manchmal braucht es sogar was Schulmedizinisches.» Oder über eine geistige Information. Huynh erklärt: «Ich schrieb zum Beispiel ‹Ich bin im Frieden mit dem Leben› auf einen Zettel und habe diesen meinem Kind unters Kopfkissen gelegt.»
Beobachter: Herr Brugger, warum sind gerade Eltern oft abergläubisch?
Brugger: Ich finde das nicht paradox. Eltern sind besorgt, dass dem Kind etwas passiert. Oft überbesorgt. Also machen sie ihm ein Kreuz auf die Stirn, wenn es das Haus verlässt. Der Glaube an diese Form der magischen Kontrolle, der symbolischen Verbindung, wirkt beruhigend: Damit habe ich alles für mein Kind getan – mehr noch als das Menschenmögliche. Alles Weitere liegt in der Hand Gottes.
Beobachter: Gerade Jungeltern können oft nicht beurteilen, warum ihr Kind jetzt so herzzerreissend schreit. Hat das auch einen Einfluss?
Brugger: Sicher. Man kann sein Baby ja auch nicht einfach fragen, was es hat. Und immer gleich zum Arzt rennen findet man auch doof.
Beobachter: Also sucht man nach Erklärungen und kommt dabei leicht auf schräge Ideen?
Brugger: Ein Babygeschrei kann eben alles und nichts bedeuten – also auch, dass das Kind noch nicht richtig angekommen ist auf der Welt.
Beobachter: Also sofort zur craniosakralen Therapie…
Brugger: …oder einen Rosenquarz unters Bett. «Hilfts nüt, so schadts nüt.» Es ist ein wenig wie beim Regentanz. Wenn man lange genug tanzt, wird es zwangsläufig irgendwann regnen. Doch statt zu tanzen, könnte man sich auch geduldig hinter dem Ohr kratzen. Ebenso schlafen alle Kinder irgendwann durch, auch ohne Hokuspokus.
Beobachter: Wie wollen Sie jemanden von der Nichtexistenz von Lichtwesen überzeugen?
Brugger: Das will ich nicht. Ich will nicht darüber streiten, ob es Engel gibt. Mich interessiert, warum es so etwas wie magisches Denken gibt. Ich suche nach dem Muster dahinter, nach naturwissenschaftlichen Regeln. Das wissenschaftliche Denken aber wird ad absurdum geführt, wenn man sagt, jeder sei frei, die verrückteste Theorie zu vertreten. Ich staune manchmal, wie hoch die Toleranz ist für esoterische Spinnereien und wie hoch die Ignoranz gegenüber Logik und rationalem Denken.
Beobachter: Gibt es denn einen goldenen Mittelweg zwischen Skeptizismus und Aberglaube?
Brugger: Das nennt man dann wohl Kreativität.
Bei Lisette Huynh folgt das nächste Thema: «Kraft der Gedanken und Worte». Ich werde aufgefordert, auf einem Zettel stichwortartig festzuhalten, was mich im familiären Alltag beschäftigt. Anschliessend lege ich den Zettel verdeckt ab. Zwei Frauen sollen nun versuchen herauszufinden, wie sich das «anfühlt».
Hände ziehen über den Zettel. Es fallen Sätze wie: «Ich fühle etwas Rechtsdrehendes.» Lisette Huynh spürt einen «starken Strahl, eine Energie». Ich bin verblüfft, bringe den Strahl aber nicht in Verbindung mit dem, was ich aufgeschrieben habe. Verraten darf ich nichts. Noch nicht. Zuerst müssen die Frauen aus der Energie ableiten, wie ich auf das Problem reagieren könnte. Jetzt tun mir die beiden ein wenig leid. So sehr sie sich bemühen, was Gescheites will ihnen nicht einfallen. Also lüfte ich das Geheimnis und decke auf: «Morgenmuffel.» Ich erkläre, dass meine übertrieben gute Laune nicht gut ankommt. Die Mütter nicken. Nun versteht man sich, und es entwickelt sich ein tolles Gespräch. Das hätte man einfacher haben können.
Beobachter: Herr Brugger, ist es illusorisch zu glauben, solche Kurse könnten was bringen?
Brugger: Nein. Positive Illusion kann ja dazu führen, dass es einem am Ende tatsächlich bessergeht. Und Spiele mit solchen Zetteln können durchaus sinnvoll sein. Dann begünstigen sie das freie Assoziieren und fördern den Austausch mit Eltern, die andere Erfahrungen mit ihren Kindern oder ihrem Partner gemacht haben. Nach solchen Kursen gehen Eltern bestenfalls mit neuen Inputs nach Hause.
Beobachter: Diese Eltern könnten aber auch einfach einen anregenden Gesprächsabend mit anderen Eltern verbringen…
Brugger: …Ja, und wer abnehmen will, könnte auch einfach Velo fahren. Doch viele Leute schaffen das nicht. Sie brauchen einen fixen Rahmen und müssen stattdessen ins Fitnessstudio oder in den Meditationskurs, um endlich mal zur Ruhe zu kommen. Doch das kostet dann eben etwas.
Beobachter: Wo hört für Sie der Spass auf?
Brugger: Bei Scharlatanen, die nur das Geld interessiert und die sich hinter dem Rücken ihrer Klienten ins Fäustchen lachen.
Beobachter: Bitte beenden Sie folgenden Satz: Gefährlich wird das Ganze, wenn…
Brugger: …das magische Denken das Spielerische verliert. Sobald es verbissen wird, dogmatisch, und den Betroffenen jedes Mass an skeptischer Selbstreflexion abhandenkommt. Wenn Eltern zum Beispiel im Wahn, jede Krankheit sei Bestimmung und Teil des Seelenwegs, so weit gehen und ihren Kindern Transfusionen verweigern.
Aus Zeitmangel bleibt das letzte Thema des Kurses, «Segnen im Alltag», weitgehend auf der Strecke. Ich bin nicht unglücklich darüber. Es braucht eben doch mehr als einen Kurs, um einer Ziege das Dasein als Schaf schmackhaft zu machen.
Peter Brugger leitet die Neuropsychologische Abteilung des Universitätsspitals Zürich. Er erforscht seit Jahren den Aberglauben und das magische Denken. Peter Brugger ist verheiratet und Vater von drei Kindern im Alter zwischen 17 und 22 Jahren.