Dignitas und ihr Gründer Ludwig A. Minelli bewegen sich auf dünnem Eis, wenn sie Sterbewillige in den Tod begleiten. Erlaubt ist das in der Schweiz nämlich nur, wenn man es ohne «selbstsüchtige Beweggründe» tut. Grösstmögliche finanzielle Transparenz sollte deshalb oberstes Gebot jeder Sterbehilfeorganisation sein. Vor allem aber bei einem Verein, dessen Gründer und dominierende Figur als Rentner sein persönliches Vermögen innerhalb von zehn Jahren von null auf zwei Millionen Franken steigern konnte (siehe nachfolgende Abschnitt «So entwickelte sich Ludwig A. Minellis steuerbares Vermögen»).
Will man aber kontrollieren, ob Geldflüsse vom Verein Dignitas oder von Sterbewilligen direkt an Minelli gingen, stösst man auf völlige Intransparenz und eine Mauer des Schweigens. Der Verein, der mit dem Slogan «Menschenwürdig leben, menschenwürdig sterben» wirbt, publiziert seit fünf Jahren weder Budget noch Rechnung noch Jahresbericht. So weiss die Öffentlichkeit nicht, wie viel Mittel Dignitas hat und wofür sie verwendet werden, geschweige denn, welche Sterbewilligen wem wie viel gezahlt haben.
Laut Statuten kostet eine Sterbebegleitung bei Dignitas 7500 Franken; 2005 waren es erst 3000 Franken. Doch Dignitas fliessen weitere Mittel zu, wie Buchhaltungsauszüge belegen, die dem Beobachter vorliegen. So zahlten Sterbewillige immer wieder Beträge in fünfstelliger Höhe – einzelne spendeten sogar mehr als 100'000 Franken. Diese Summen hat Minelli salopp als «Zustupf» verbucht. Zudem erhalten Sterbewillige Einzahlungsscheine für ein Konto bei der Postbank München, das nicht auf Dignitas, sondern auf Minelli persönlich lautet. Dessen persönliches Vermögen ist seit der Vereinsgründung auf zwei Millionen Franken gestiegen. Wie konnte ein 77-jähriger Rentner so viel Vermögen äufnen?
Ludwig Minelli reagiert unwirsch auf solche Fragen. Der Journalist sei «unanständig» und werde von ihm als «Unperson» registriert. Konkret nimmt er nicht Stellung, verweist nur allgemein auf die Auskunft des Zürcher Regierungsrats, wonach sämtliche Strafuntersuchungen gegen Dignitas und mit Dignitas verbundene Personen hätten eingestellt werden müssen. Und fügt an, diese Untersuchungen hätten sich klar auch auf finanzielle Aspekte erstreckt.
Andreas Brunner, als leitender Oberstaatsanwalt der oberste Strafverfolger des Kantons Zürich, entgegnet: «Wir haben bis heute kaum Einsicht in die Buchhaltung von Dignitas erhalten.» Dafür brauche es einen konkreten Fall mit genügendem strafrechtlichem Anfangsverdacht. Ein einziges Mal habe Minelli vor Jahren einmal Einblick in einen kleinen Teil der Buchhaltung gewährt. Dabei verspricht der Dignitas-Gründer seit langem, die Buchhaltung seines Vereins nächstens zu publizieren. Vorarbeiten seien «weit gediehen», aber wegen des Kampfes um eine sichere Unterkunft für Dignitas verzögert worden, wiederholt er immer wieder. Das Steueramt habe schon heute Einblick.
Das stimmt – aber erst seit 2007 und gegen Minellis Willen. Im November 2006 verfügte nämlich die Zürcher Justizdirektion, dass der Verein Dignitas ein kaufmännisches Gewerbe führe und sich deshalb im Handelsregister eintragen müsse. Ist ein Verein im Handelsregister eingetragen, muss er den Steuerbehörden zwingend seine Buchhaltung vorlegen. Minelli hatte sich vergeblich dagegen gewehrt.
Und so gibt es denn für das Jahr 2007 den ersten und einzigen Eintrag von Dignitas ins Steuerregister in der Gemeinde Maur. In diesem Jahr machte der Verein einen Gewinn von null Franken und weist ein Vermögen von 103'000 Franken aus.
Für die Jahre zuvor ist der Verein aber weder am Ort der Verwaltung in Maur noch am Ort des statutarischen Sitzes in der Stadt Zürich im Steuerregister verzeichnet. Es scheint also, dass Dignitas vor 2007 keine Steuererklärungen eingereicht hat. Dazu ist ein Verein aber verpflichtet, ausser er ist steuerbefreit. Das war Dignitas nie. Gemäss Steueramt des Kantons Zürich wird in solchen Fällen in der Regel ein Nachsteuerverfahren eingeleitet, bei dem auch frühere Buchhaltungen kontrolliert werden. Zum konkreten Fall nehmen weder die Steuerverwaltung noch Minelli Stellung.
Für Oberstaatsanwalt Andreas Brunner ist aber auch mit dem erzwungenen Einblick in die Buchhaltung die nötige finanzielle Transparenz noch lange nicht hergestellt. «Die Abklärungen der Steuerbehörden genügen nicht», sagt er. Steuern hätten einen ganz anderen Zweck. «Es braucht ein neues Gesetz, das Sterbehilfeorganisationen dazu verpflichtet, für jeden Fall darzulegen, wer von wem wie viel Geld erhalten hat», fordert er. «Exit, die andere grosse Sterbehilfeorganisation, macht dies schon heute freiwillig und anstandslos.»
So entwickelte sich Ludwig A. Minellis steuerbares Vermögen
Ludwig A. Minelli versteuerte im Jahr 1998, als der Verein Dignitas gegründet wurde, ein Einkommen und ein Vermögen von null Franken. 2007 betrug sein steuerbares Einkommen 162 200 Franken und sein steuerbares Vermögen 1'998'000 Franken. Damit hat Minelli sein persönliches Vermögen innert zehn Jahren um fast zwei Millionen gesteigert.
Wie ist das möglich? Minelli beantwortet diese Frage nicht konkret. Er verweist nur auf eine Erklärung einer Treuhandfirma, die ihm bescheinigt, dass «die ausserordentlichen Vermögenszunahmen in den Jahren 2001 und 2004 mit dem Erbanfall nach dem Tode Ihrer Mutter begründet» seien. Das ist aber nur der Grund für die Vermögenszunahme um 770'000 Franken bis 2004. Den Vermögenssprung von weiteren 611'000 Franken im Jahr 2005 erklärt die Treuhandfirma mit «einer einkommensneutralen Erhöhung des steuerlichen Verkehrswerts einer Liegenschaft».
Minelli besitzt ein Vier-Parteien-Haus in Küsnacht ZH. Neubewertungen werden jährlich vorgenommen und basieren auf den Bruttomietzinseinnahmen. Wie ein Mieter versichert, sind alle vier Parteien langjährige Mieter und die Mietzinse seit zehn Jahren gleich geblieben. Die Begründung der Treuhandfirma leuchtet also nicht ein.
Zudem wuchs Minellis Vermögen von 2005 bis 2007 erneut um 617'000 Franken. Dazu sagt der Treuhandbericht nichts. Und Minelli schweigt.
4 Kommentare