«Der Tod ist nicht das Schlimmste»
Auf dem Weg nach Syrien erfuhr der Schweizer Reporter Kurt Pelda, dass sein Berufskollege James Foley geköpft worden war. Pelda ist entsetzt, aber nicht eingeschüchtert.
Veröffentlicht am 2. September 2014 - 08:58 Uhr
Das Wort Enthauptung ist ein viel zu sanftes Wort dafür, was dem US-amerikanischen Journalisten James Foley widerfahren ist. Hier in Syrien sprechen die Leute von Schlachtung. Und genau das war es: Foley wurde von der Gruppierung Islamischer Staat geschlachtet.
Es ist unfassbar grausam, schockierend. Es macht mich traurig und wütend. Ich kannte James Foley nicht, und doch geht mir diese schreckliche Nachricht extrem nahe. Ich überlege, was er während der 21 Monate seiner Gefangenschaft alles erlebt haben musste. Wie lange er daran glaubte, doch noch gerettet zu werden. Und dass der Tod vielleicht nicht das Schlimmste war, was ihm angetan wurde.
Ich war gerade unterwegs nach Syrien, als mich die Nachricht erreichte. Ich habe die Artikel dazu gelesen, mir das Video aber nicht angeschaut. Ich boykottiere solche Angstpropaganda. Natürlich werde ich nun gefragt, ob ich keine Angst habe, hier zu sein. Doch Angst ist ein schlechter Ratgeber. Und das Risiko ist heute nicht grösser als vor zwei Jahren. Seit damals sind Entführungen in dieser Region ein riesiges Problem. Nur hat sich die Welt bisher nicht dafür interessiert, obwohl Tausende von Syrern geköpft, stranguliert oder lebend begraben wurden. Dennoch schauen alle weg. Das ist unglaublich frustrierend.
Gleichzeitig ist es genau das, was mich in dieser Region hält. Ich glaube, es ist wichtig, was ich mache. Die meisten Journalisten berichten aus klimatisierten Büros in der Schweiz über den Bürgerkrieg oder bilden sich ihre Meinung anhand von Youtube-Filmen. Aber wenn es um so viele Menschenleben geht, reicht das nicht. Ich halte die Kamera auf das, was hier passiert. Meine Hoffnung ist, dass Politiker und Hilfswerkvertreter meine Berichte sehen und aufgrund dieser Informationen gute Entscheide treffen.
Meine Arbeit ist extrem gefährlich. Natürlich versuche ich, mich möglichst gut zu schützen. Es gibt immer wieder Journalisten, die haarsträubende Risiken eingehen und das mit ihrem Leben bezahlen. Es gibt aber auch Journalisten, die alles richtig machen und dennoch entführt oder getötet werden. Eine Garantie gibt es nicht.
Wenn ich hierherkomme, nehme ich meinen Tod in Kauf. Der Abschied von meinen Söhnen und meiner Freundin fällt mir deshalb immer sehr schwer. Ich weiss nie, ob ich sie zum letzten Mal sehe. Natürlich habe ich ein schlechtes Gewissen, dass ich mich dieser Gefahr aussetze. Das lässt sich schwer rechtfertigen. Aber das ist eben mein Beruf. Es ist ein Teil von mir.
Bei Versicherungsmathematikern geht es immer um Wahrscheinlichkeiten. Bei mir auch, wenn ich entscheiden muss, ob ich nach Syrien reise, diese Strasse nehme oder jene, mit einer bestimmten Person mitgehe oder nicht. Man braucht Leute, denen man vertrauen kann. Die habe ich. Menschen, die ich über Verwandte kennengelernt habe, die ich seit Jahren immer wieder treffe, denen ich in schwierigen Situationen geholfen und mir so ihr Vertrauen verdient habe. Sie geben auf mich acht, schützen mich in gefährlichen Situationen.
Immer wenn ich rausgehe, sind mindestens fünf einheimische Bewaffnete bei mir. Westler versuche ich hingegen zu meiden. Ich allein bin für potenzielle Entführer schon mindestens zwei Millionen Franken wert – zwei Mal zwei Millionen wären ein zu grosses Risiko. Einige Einheimische sind ein guter Schutz, zu viele ein Risiko. Krieg ist anders, als man ihn aus Filmen kennt. Krieg ist häufig langweilig. Wenn da ein Europäer mit seiner Kamera auftaucht, ist das natürlich interessant. Und schnell hat man eine ganze Horde Einheimischer, die einem folgt. Das Risiko, aufzufallen und unter Beschuss zu geraten, ist dann gross.
Manche meinen, ich sei lebensmüde, ein Adrenalin-Junkie. Oder ich hätte «en Egge ab». Aber das habe ich nicht. Ich mache meinen Job, weil ich ihn für wichtig halte und weil er unglaublich befriedigend ist. Ich kann voll hinter meiner Arbeit stehen, und das ist ein fantastisches Gefühl. Dank ihr geniesse ich auch den Alltag in der Schweiz viel mehr. Vor allem aber empfinde ich es als riesiges Geschenk, dass ich keine Angst haben muss, dass meine beiden Söhne auf dem Schulweg von einem Scharfschützen erschossen werden. Das sind reale Gefahren, mit denen meine Freunde in Syrien leben müssen.
Mit dem brutalen Video über James Foley wollten die IS-Leute Angst verbreiten, Macht demonstrieren und Journalisten davon abhalten, über sie zu berichten. Wir stehen vor der Wahl, uns einschüchtern zu lassen oder den Terroristen mit Stärke gegenüberzutreten. Ich lasse mir von diesen Leuten nicht vorschreiben, worüber ich berichte. Genau darum werde ich weiter nach Syrien reisen und über die Lage vor Ort berichten.