Aufs Glatteis geführt
Im Bündner Albulatal gibt es den einzigen Eisweg der Schweiz. Entstanden ist er wegen eines flapsigen Spruchs.
Veröffentlicht am 17. Januar 2017 - 12:02 Uhr
Die Schuhe sind geschnürt, die Handschuhe montiert, der Helm sitzt. Und ab gehts durch den Tannenwald. Schmunzelnd schaut Claudio Bossi den Schlittschuhläufern nach. Er hat sie mit dem Minibus hinauf nach Alvaneu Bad gefahren und entlässt sie nun in die alpine Wildnis und in ein eisiges Vergnügen. Der drei Kilometer lange Eisweg führt die tosende Albula entlang. Und auch wenn bis Surava nur 50 Höhenmeter zu meistern sind – das Bremsen sollte man beherrschen.
Oben am Hang scheint die Sonne, unten klirrt es bei minus neun Grad. Doch Claudio Bossi wird warm ums Herz. «Wenn ich im Ziel das selige Lächeln der Läufer sehe, hänge ich in Gedanken gleich noch mal 15 Jahre an.» So lange ist der 42-Jährige nun schon ehrenamtlicher Eismeister, mit allen Rechten – und vor allem Pflichten. Denn der einzige Eisweg der Schweiz will gehegt und gepflegt sein.
Initiiert hat den gefrorenen Pfad Claudio Bossis Vater Giorgio. Das war 2001. «Eigentlich aus einem flapsigen Spruch heraus», sagt der 71-Jährige. Zwei Wintermonate lang erreicht kein müder Sonnenstrahl das Dorf Surava, und auch in jenem Frühling hielt sich das Eis auf dem Albula-Wanderweg. «Ein Feriengast aus dem Unterland meinte: ‹Mach doch grad einen Eisweg.›» Giorgio Bossi schaut der Schalk aus den blauen Augen. «Wir sind hier im Schattenloch des Albulatals. Wenn unser 200-Seelen-Dorf überleben soll, muss man sich etwas einfallen lassen.»
Bossi senior, sein halbes Arbeitsleben lang Werkmeister einer Baustofffirma, ist ein Mann der Tat. Und so lud er im folgenden Mai zur Vereinsgründung. «30 Interessierte kamen, 27 davon haben gleich unterschrieben», freut sich Bossi senior noch heute. Der Junior nickt, auch er und vier weitere Familienmitglieder waren darunter. «Ohne die vielen Schultern ginge es nicht», sagt Claudio Bossi.
Jeweils im September bessern die Mitglieder des Vereins Skateline Albula den Wanderweg aus. Anfang Dezember tragen sie eine Schneeschicht auf, notfalls aus der Schneekanone. «Und dann wird gewässert – in drei Schichten morgens früh bis abends spät, damit wir an Weihnachten sicher parat sind», berichtet Claudio Bossi. Das Wasser stammt aus zwei Grundwasserreservoiren, verteilt wird es mit einem umfunktionierten Güllenfass.
Bossi der Ältere ist fürs Equipment besorgt, das es für den Betrieb des Eiswegs braucht. So konnte er eine ausrangierte Eishobelmaschine auftreiben und von der Ski-WM 2003 in St. Moritz drei weisse Containermodule. Darin sind Schlittschuh-Ausleihe, Garderobe und Beizli untergebracht.
«Es braucht schon eine heisse Leidenschaft für diese eiskalte Sache.»
Claudio Bossi, ehrenamtlicher Eismeister
Bossi der Jüngere wiederum ist fürs Eis verantwortlich. Das Wissen hat er sich Schritt für Schritt selbst angeeignet und die Abläufe für das achtköpfige Team perfektioniert. Er stellte etwa fest, dass die Eisschicht bei zunehmendem Mond viel schneller wächst. «Heuer war es ideal, die Neumondphase fiel mitten in unsere Eisaufbauzeit.» Bis zu 20 Zentimeter dick ist die gefrorene Schicht zurzeit. «Je besser die Natur für uns arbeitet, umso länger zehren wir im Frühjahr vom Eis.»
Däumchen drehen kann der Eismeister aber noch lange nicht. Denn an guten Tagen kommen gegen 800 Gäste, «einige sogar aus dem Raum Mailand». Wenn das Eis bis in den März hinein befahrbar bleiben soll, muss man es täglich bürsten und wässern. Arbeitsbeginn ist meist zu später Abendstunde: Einer bürstet mit einer umgebauten Landmaschine, ein Zweiter wässert. «Das dauert bis Mitternacht», sagt Claudio Bossi. Er verlässt die warme Stube nach seinem Tagwerk als Elektriker nicht immer gern. «Es braucht schon eine heisse Leidenschaft für diese eiskalte Sache.»
Ob für die Frauen an der Kasse und im Beizli oder für die Männer am Eis: Mehr als eine Spesenentschädigung liegt nicht drin. «Ich kann das Sackgeld zwar gut gebrauchen», sagt Lehramtsstudentin Nicole Casutt, die an diesem Tag Beizli-Dienst hat. «Doch das Geld ist zweitrangig. Ich mach das für mein Dorf.» So denkt auch Martha Eugster an der Ausleihe. «Ich bin uh gäre hier», sagt die Seniorin und erzählt, wie das Dorf Surava nacheinander Laden, Post und Schule verloren hat.
Nicole Casutt ist mit ihren 21 Jahren eine Ausnahme. Der Nachwuchs bereitet Claudio Bossi Sorgen. «Die Jungen wollen oft nichts mehr von Vereinspflichten wissen.» Für seine Töchter gilt das nicht. Die Primarschülerinnen möchten lieber schon heute als morgen an der Kasse mithelfen.
Vielleicht werden sie dereinst sogar Eismeisterinnen – das Gespür für Eis haben sie vom Vater geerbt. Wenn immer möglich rücken sie mit ihm aus. Dann schmilzt das Herz von Eismacher Claudio Bossi: «Meine Kinder und ich zusammen in dem kleinen Fahrzeug – das ist das Grösste für mich.»
Weitere Informationen
www.skateline.ch
Telefon: 081 637 08 37
Handy: 079457 37 04
Einer für alle: Sihlsee SZ
Alles steht und fällt mit Louis Schönbächler. Wenn immer der Sihlsee bei Einsiedeln zufriert, legt der 60-Jährige einen Rundkurs von bis zu fünf Kilometern an. Daneben mehrere Spielfelder für Eishockey, Curling und Eisstockschiessen. Ehefrau, Schwiegermutter, ein Freund und je nach Andrang weitere Leute helfen mit, einen Kiosk, eine Schlittschuhausleihe und einen Parkplatz zu betreiben. Natürlich muss auch die Natur mithelfen, damit der See zufriert. Das ist jede Saison ein Vabanquespiel. Reich werde er mit seinem Eis-Reich nicht, «ich habe auch schon draufgezahlt». Aber er macht weiter, denn «anders als teure Skiferien ist ein Eistag auch für Familien mit kleinem Budget möglich».
Informationen:
www.natureisfeld-sihlsee.ch
Telefon 079 407 45 25
Kunst und Kür: Schwarzsee FR
Zuverlässig friert der Schwarzsee in den Freiburger Voralpen jeweils zu. «Wir haben Glück, die tiefste Stelle misst nur zehn Meter», sagt Adolf Kaeser, verantwortlich für die Freigabe des Felds. Heuer ist die Eisqualität hervorragend. Das Schwarzeis weist keine grösseren Risse oder Lufteinschlüsse auf. Wenn kein tagelanger Föhnsturm über den See fegt, bleibt es wohl bis Ende Februar intakt. Und wenn viel Schnee fällt, werden zumindest drei Felder und ein Drei-Kilometer-Rundlauf freigeräumt. Besonders sehenswert: die Eisskulpturen von Karl Neuhaus zwei Kilometer vor dem See. Seit über 30 Wintern gestaltet er eine Märchenwelt mit begehbaren Schlösschen, Tunnelröhren, Iglus und Skulpturen. Ein Wanderweg entlang der Sense führt direkt zum Eisgärtner aus Leidenschaft.
Informationen
www.schwarzsee.ch
Telefon 026 412 13 13.
Schlittschuhe und Eishockeyzubehör kann man mieten. Um den See gibt es vier Restaurants.
Eispaläste von Karl Neuhaus: www.eispalaeste.ch
Telefon 026 412 16 60
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