Es war eine jener isländischen Nächte, die jede Lampe überflüssig machen. Eggert Valur Kristinsson stakste mit einem Hammer in der Hand durchs stoppelige Gras. Hinter ihm duckte sich das Sommerhaus seiner Frau zwischen zwei Hügel, vor ihm öffnete sich eine Baugrube, aus der ein anderes Sommerhaus wachsen sollte. Über dem silbern schimmernden See stiegen drei Goldregenpfeifer auf. Ausser seinen Schritten im Gras war nichts zu hören, selbst die Grillen schienen zu ruhen. Diese durchdringende Stille ist es, die in Island manchmal sogar das Kreisen der Gedanken unterbricht.

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Doch plötzlich vernahm Eggert etwas. Ein Kichern. Mehrstimmig. Fröhlich und übermütig klang es. Er blickte nach links, nach rechts, drehte sich um die eigene Achse, ohne etwas zu entdecken. Niemand war da. Nur dieses Kichern, das aus einem Grashügel zu kommen schien, nicht grösser als ein Kinderplanschbecken.

«In diesem Moment wusste ich, dass in dem Hügel Elfen wohnen», sagt er. «Ich habe gespürt, wie sie mir zuzwinkerten, gehört, wie sie lachten. Hell und laut.» Hier sind solche Geschichten nichts Besonderes. Die Isländer leben mit den Elfen.

In der Hauptstadt Reykjavík führt an der Sidumúli 31 zwischen Autogaragen und Elektrogeschäften eine blaue Tür in die Elfenschule. Die Regale in den Schulzimmern sind bis unter die Decke mit Plastikzwergen, Porzellanfiguren und Büchern vollgestopft. Es ist, als ob die Elfengeschichten, die Magnus Skarphédinsson erzählt, diese Kulisse benötigten.

Elfenmuseum als Teil der isländischen Kultur

Vor einem Vierteljahrhundert hat Magnus, die Isländer nennen einander beim Vornamen, die Elfenschule gegründet. Der Historiker forscht seit beinahe 40 Jahren zum Thema, er kennt Hunderte von Geschichten über Elfen, das Huldufólk (verborgenes Volk) und andere Naturgeister. Rund 800 Isländerinnen und Isländer haben ihm von ihren Besuchen bei den Elfen erzählt. Er hat ein Schulbuch verfasst und gibt sein Wissen bei Keksen oder Kaffee an Schulkinder und Touristen weiter. Bis zum nächsten Sommer will er ein Elfenmuseum einrichten, damit dieser wichtige Teil der isländischen Kultur sein Denkmal findet und diese andere Realität nicht untergeht in der Schnelllebigkeit der Zeit.

In eine Vitrine wird Magnus einen weissen Topf stellen. Mit sonorer Stimme erzählt er, der Topf sei das Geschenk einer «Elfenlady» an eine Familie. Diese hatte ihre Töpfe zu Hause vergessen und zwei Tage lang versucht, im Sommerhaus ohne auszukommen, in Islands kaum besiedeltem Norden, wo die Fjordberge mit den Wolken zusammenwachsen und der nächste Laden nicht um die übernächste Ecke liegt. Im Traum erschien der Mutter eine Elfe. Sie unterhielten sich, und am Morgen fand die Tochter den Kochtopf auf dem Tisch. Es ist eine alte Freundschaft, die die Isländer mit den Elfen verbindet.

Fast jeder Stein ein Elfenheim: Ob Haus- oder Strassenbau, die Isländer nehmen Rücksicht und verschieben die moderne Welt um ein paar Meter. Der grosse Felsen in Hafnarfjördur soll noch Spuren der abgewendeten Zerstörung tragen.

Quelle: Eythor Arnason
Aus Rücksicht auf die Elfen

In Reykjavík, wo bärtige Einheimische in In-Lokalen frischen Fisch bestellen, Walfangschiffe neben Walbeobachtungsbooten für Touristen schaukeln und das Konzerthaus Harpa über dem Meer zu schweben scheint, verschiebt sich die Realität gern ein bisschen. So gibt es Strassen, die unvermutet schmaler werden oder eigenwillige Kurven schlagen. Sie wurden um Elfenwohnungen herum gebaut. Wie etwa der Álfhólsvegur, der Elfenhügelweg. Weil ein Felsen, der von Elfen bewohnt sein soll, in die Fahrbahn hineinragt, wird für ein paar Meter aus den zwei Spuren eine. Die Isländer kommen den Elfen auch entgegen.

Die grösste Elfenkolonie lebe in Hafnarfjördur, sagen die Isländer, 15 Kilometer südlich von Reykjavík, wo sich bunte Wellblechhäuser zwischen die Lavafelsen ducken, als wollten sie sich schützen vor diesem Land, das immer in Bewegung ist. Wo Feuer und Eis unablässig miteinander ringen, obschon kein Element diesen Kampf für sich entscheiden kann.

Manche Häuser wirken so winzig, als seien sie nicht für Menschen gemacht. In der Hafenstadt drehen sich die Zeiger noch langsamer als sonst im Inselstaat. Vielleicht fühlen sich die Elfen deshalb so gut aufgehoben an diesem Ort, wo lange nicht alles ist, wie es scheint.

Auf dem Stadtplan finden sich neben fast jeder Strasse farbige Punkte, eine Art Wegweiser in verborgene Welten. Erla Stefánsdóttir, das bekannteste Elfenmedium im Land, hat die Elfen typologisiert und ihre Wohnstätten kartografiert. Sie schreibt, dass es ganz unterschiedliche Elfen gibt: Manche sind einen halben Zentimeter gross, andere viele hundert Meter, manche haben überlange Beine, andere wiederum einen übergrossen Kopf. Sie halten Schafe und Kühe und sind in der Fischerei oder Landwirtschaft tätig. Sie mögen Fisch, Milchprodukte, Eier, Gemüse, Früchte, Blumen und Tang. Kaffee trinken sie keinen. Ihr Essen sieht hell und fröhlich aus. Der Zucker auf ihren Kuchen funkelt wie Diamanten.

Erlas Karte weist den Weg zu einer steilen Strasse, wo ein grosser Felsen aus dem Untergrund ragt. Einst sollte er einem Haus weichen. Aber er liess sich nicht verrücken. Pickel, die hineingehauen wurden, wollte er nicht wieder hergeben. Die Karte verweist auf eine Klippe, auf der einst drei Jungen herumtollten. Bis einer hinunterfiel. Seine Freunde kletterten ihm nach, so schnell es ihre kurzen Beine zuliessen. Der Knabe war unversehrt. Er sagte, zwei Arme hätten ihn aufgefangen. Vielleicht eine Frau, vielleicht ein Mann, bestimmt aber die Arme des Huldufólk.

Übermächtige Natur mit mystischer Kraft: Hvalfjördur, auf Deutsch Walfjord, nördlich von Reykjavík.

Quelle: Eythor Arnason
«Sie trugen weisse Kleider»

Hermundur Rósinkranz Sigurdsson kocht Grüntee in seiner Wohnung am Rand der Hauptstadt, wo zu schwarzem Stein erstarrte Lava aus den Wiesen schielt, wie um anklingen zu lassen, dass sie ein paar Kilometer weiter alles bedecken wird. Der «Hellseher» mit dem Pferdeschwanz und der dicken Goldkette erzählt mit ruhiger Stimme im Strom der dahinplätschernden Meditationsmusik.

Als Vierjähriger habe er oft mit Kindern des Huldufólk gespielt. Von einem Felsen seien sie heruntergestiegen, sechs bis zwölf seien es gewesen, und getragen hätten sie weisse Kleider. «Ich ahnte damals nicht, dass sie keine Menschen sind.» Erst Jahre später, als er mit seiner Mutter über diese Kinder sprach, habe er gemerkt, dass sie nichts von ihnen wusste. Nur er konnte sie sehen. In Island heisst es, dass Kinder öfter als Erwachsene die Gabe hätten, mit Elfen in Kontakt zu treten.

Mit 38 Jahren sass Hermundur auf einem Stein und schaute aufs Meer, als sich jemand neben ihn setzte. Der Mann trug Jackett und Jeans, die Kleider der Menschen. Mit Blick auf den stutzig gewordenen Nachbarn sagte er: «Wir entwickeln uns. Wie ihr.» – «Habt ihr auch Autos?», wollte Hermundur wissen. Doch da war der Mann schon verschwunden. Die für alle sichtbare Wirklichkeit hatte wieder die Oberhand gewonnen.

Vielleicht ist es die bizarre Landschaft, die den Glauben an die verborgenen Völker nährt. Die neongrün blubbernden Schlammlöcher, das pfeilgerade aus der Erde schiessende Wasser. Oder die Papageitaucher, die wie verzerrte Pinguine aussehen. Die Nähe zur Natur in einem Land, das zweieinhalbmal so gross ist wie die Schweiz, aber nur 320'000 Einwohner zählt. Vielleicht sind es die endlosen Winter mit Nächten, die nicht Tag werden wollen, in die diese Erzählungen etwas Licht streuen. Vielleicht ist es die Einsamkeit des Landes, die die Geschichten konserviert; Grönland ist 290 Kilometer entfernt, Schottland 800 Kilometer.

Es könnte auch daran liegen, dass die Aufklärung zwischen dem 63. und dem 66. nördlichen Breitengrad erst spät ankam, weil es in Island lange keine Städte gab. Das zumindest glaubt Magnus, der wohl beste Elfenkenner der Vulkaninsel: «Die Aufklärung hat die Mythen getötet. Viele Völker verloren damals den Glauben an Naturgeister.» Deshalb befürchtet Magnus, dass auch seine Landsleute die Elfen vergessen könnten. Das schnelle und naturferne Leben wird den Geschichten den Raum streitig machen.

Tatsache ist: Eine Umfrage der grössten isländischen Tageszeitung hat ergeben, dass 54 Prozent der Isländer an Elfen glauben und rund 90 Prozent niemals sagen würden, sie seien sich sicher, dass es keine Elfen gebe.

Mit Honig zur Übersiedlung angelockt

Eine der jüngeren Elfengeschichten erzählen die Isländer besonders gern: Das ehemalige Parlamentsmitglied Árni Johnsen hatte einen Unfall. Sein Wagen überschlug sich mehrmals, bevor er neben einem grossen Stein liegen blieb. Abgesehen von ein paar Kratzern, war der Politiker unverletzt. Er schloss daraus, dass Elfen ihre schützenden Hände im Spiel hatten. Vor zwei Jahren nun sollte diese Strasse verbreitert werden. Der Stein war im Weg. Árni engagierte ein Medium, das den Elfen anbot, in seinen Garten auf dem Archipel Vestmannaeyjar (Westmännerinseln) überzusiedeln. Mit Meersicht. Die Elfen waren einverstanden. Mit etwas Honig als Reiseproviant wurden sie in ihr neues Zuhause geschifft.

Tosende Wasser des Gullfoss im Süden Islands.

Quelle: Eythor Arnason

Die Freundschaft zwischen Isländern und Elfen beruht auf Respekt und Rücksichtnahme: Schützt man die Interessen jedes Einzelnen und begegnet sich freundlich, ist Verlass auf den andern. Weiss man sich hingegen nicht zu benehmen und will zum Beispiel die Häuser der Elfen zerstören, wehren sich diese. Von kranken Arbeitern wird berichtet. Von kaputten Baggerschaufeln. Von multipliziertem Pech. Aber auch von fröhlicher Gesellschaft und Hilfe in Not und vielen geretteten Leben.

Je weiter die bunten Häuser zurückbleiben, desto gnadenloser wirkt die Landschaft. Über der schwarzen Lava weisen nur noch ein paar tote Fische auf Leben hin: Wie nasse Hemden baumeln sie zum Trocknen in der Luft, um später in den Supermärkten zu landen. Auf dem Weg nach Krýsuvík wird die Asphaltstrasse zur Schotterpiste, die Lava weicht grossen Felsen. Aus den Ritzen kriecht weisser Nebel, als wolle er dieser rohen Landschaft etwas Sanftheit einhauchen. Weder das Moos noch die sich kräuselnden Wellen auf dem See können dieser Mondlandschaft etwas von ihrer Härte nehmen.

Doch dann fällt ein Streifen Sonnenlicht durch die Wolken, der See schimmert eisblau, das Moos grellgrün, und plötzlich sind sie da, die Elfen. Sie blinzeln ins milchige Licht, sie tänzeln am Ufer ihren Reigen, sie winken einander zu. Bis ein Auto auf der Strasse vorbeikeucht, hinein in diese Wüste mit ihren fauchenden Bergen, wo Menschen eigentlich nicht hinpassen. Und wo man manchmal nicht mehr weiss, was wirklich ist und was nicht, weil sich alles verschiebt.

Unterwegs im Land der Elfen und Vulkane

Island liegt auf der geologischen Naht zwischen Europa und Amerika. Mystische Landschaften und Naturschauspiele machen es zum faszinierenden Reiseziel.
www.visiticeland.com


RUND UM DIE ELFEN

In Reykjavík gibt es eine Elfenschule, in der man alles lernen kann, was über die verborgenen Welten bekannt ist. Die Kurse finden jeweils am Freitagnachmittag statt.
www.elfmuseum.com

In Hafnarfjördur werden dienstags und freitags Elfentouren angeboten, ein Stadtplan der verborgenen Welten ist im Preis inklusive.
www.alfar.is


HIGHLIGHTS IN DER NATUR

Den Golden Circle im Südwesten Islands mit dem Nationalpark Thingvellir, dem Wasserfall Gullfoss und Geysiren sollte man sich nicht entgehen lassen. Unter anderem faucht im Haukadalur der Geysir Strokkur.

Unvergessliches Badevergnügen bietet die Blaue Lagune inmitten eines Lavafelds bei Grindavík. Jökulsárlón ist einer der beeindruckendsten

Gletscherseen der Welt und gehört zu den magischen Orten Islands. Das Geothermalgebiet Landmannalaugar liegt in einer aktiven Vulkanzone: Farbige Berge, heisse Quellen, Lavafelder und Krater machen es zu einer der eindrücklichsten Landschaften Islands.


FÜR DEN GROSSEN HUNGER

Gústav Axel Gunnlaugsson träumte bereits als kleiner Junge von einem eigenen Restaurant. Vom Sjávargrillid haben nun auch die Gäste etwas, die mitten in Reykjavík kreativ zubereiteten Fisch kosten dürfen.Das wohl beste Sandwich mit zartem Rindfleisch gibt es im Restaurant Kopar, mit Blick auf die leise schaukelnden Boote.

Während diese Lokale abends ihren Preis haben, sprengen die Gerichte der Mittagskarte auch das kleine Budget nicht.


FÜR DEN KLEINEN HUNGER

Auf blauen Plastikfässern sitzen die Gäste im Sægreifinnan langen Holztischen vor einer Schale Hummersuppe oder einem Walfischspiess.

Teenager und andere Hamburgerfans lieben den ebenfalls am Hafen Reykjavíks liegenden Hamborgarabúllan, wo Typen mit Baseballmützen das Fleisch brutzeln und Lämpchen aus Grossmutters Zeiten über den Tischen hängen.


FÜR KAFFEEPAUSEN

Das Café im Kex Hostel in einer alten Reykjavíker Keksfabrik ist der ideale Ort, um nach der Shoppingtour durchzuatmen oder im Reiseführer zu blättern: An den Nähmaschinentischen vergisst man schnell die Zeit.

Ist man hingegen in Plauderlaune und verspürt Lust auf etwas Süsses, ist das Babalú die bessere Adresse. In diesem Café gibt es mehr Lampen als Gäste, und das Gästebuch liegt auf der Toilette auf.


FÜR GERUHSAMEN SCHLAF

In einer ruhigen Strasse nahe dem Stadtzentrum liegt das Galtafell Guesthouse, in dessen Garten Elfen wohnen sollen. In der alten Stadtvilla und ihren Nebengebäuden laden vier Appartements und vier Doppelzimmer zum Rückzug ein.

Drei Studios und acht Zimmer bietet der elfenverliebte Kristján Már im Álfhóll an, einem gemütlichen Haus von 1928 nahe dem alten Hafen.


ANREISE

Direktflüge nach Reykjavíkgibt es ab Zürich mit Icelandair und ab Basel mit Easyjet.

Hauptreisezeit ist in den Monaten Juni, Juli und August.