Der Chef kommt im Übergwändli daher, und bevor er im Sitzungszimmer Platz nimmt, zieht er ein Set farbig schillernder Inbusschlüssel aus dem Hosensack. Claude Werder, 61, ist gelernter Werkzeugmacher. Und das ist er stets geblieben, auch als er mit 39 den von seinem Vater gegründeten Betrieb übernahm.

In einer Schale auf dem Tisch liegen Werkteile. Werder hält die Metallstücke fast liebevoll hoch: ein Implantat für Hunde, ein Teil für ein Lungentestgerät, eine Seifenspenderdüse. «Bei manchen Teilen wissen wir gar nicht, wozu sie dann gebraucht werden», sagt er. Viele Stücke, die sie drehten, frästen und veredelten, sähen simpel aus, seien handwerklich aber anspruchsvoll.

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Claude Werder spricht bedächtig, in breitem Aargauer Dialekt. Veltheim, wo seine Firma steht, wird zu «Välte». Er ist Büezer und Macher durch und durch. Umso mehr hat manche die Meldung erstaunt, als sein Betrieb 2014 mit dem Label für familienfreundliche Betriebe der Fachstelle UND ausgezeichnet wurde. Irgendwie passte das nicht zur Vorstellung einer Handwerkerbude, in der von 75 Angestellten 65 Männer sind.

Doch Werder ist eben ein bisschen anders als andere. Bereits 2010 führte er einen Vaterschaftsurlaub ein, zuerst fünf Arbeitstage statt der bis dahin üblichen zwei. Zwei Jahre später erhöhte er auf zehn. «Weil es so gut ankam.» Das, worüber das Volk am 27. September auf eidgenössischer Ebene abstimmt, gibt es bei der Samuel Werder AG in «Välte» schon lange.

«Was machen die denn, wenn einer einen Unfall hat oder krank wird? Den Vaterschaftsurlaub kann man ja sogar planen.»

Claude Werder, Patron mit 75 Angestellten

Über das Argument der heutigen Gegner, kleine und mittlere Betriebe könnten sich das nicht leisten, kann Claude Werder nur den Kopf schütteln. Bei ihm hätten alle Väter den Urlaub bezogen – pro Jahr einer oder zwei. «Die Kosten entsprechen nicht einmal einem ganzen Monatslohn. Ein Betrieb, der sich das nicht leisten kann, hat ganz andere Probleme.»

Genauso wenig kann Werder dem Einwand folgen, dass Minifirmen den Betrieb nicht gewährleisten könnten, wenn zum Beispiel einer von drei Mitarbeitern für zwei Wochen ausfalle. «Das ist eine Ausrede. Was machen die denn, wenn einer einen Unfall hat oder krank wird? Den Vaterschaftsurlaub kann man ja sogar planen.» Man dürfe nicht vergessen, dass der Urlaub auch den Müttern zugutekäme. «Bei mir bedankten sich alle Väter explizit auch im Namen ihrer Frauen.»

Die Familie habe auch für seinen eigenen Vater – den Firmengründer – einen hohen Stellenwert gehabt. «Obwohl er viel arbeitete, war er präsent.» Er sei immer zum Mittagessen nach Hause gekommen und auch abends mit am Tisch gesessen. «Dann verschwand er meist nochmals in die Werkstatt – er müsse noch ein wenig ‹go grüble›.» Das Schlafzimmer von Claude, dem ältesten von sechs Kindern, war zugleich das Büro. «Ich schlief oft mit Schreibmaschinengeklapper ein.» Die noch lauter ratternde Rechenmaschine habe die Mutter zum Glück in der Küche bedient.

Zwei Welten vereinen

Die Verschmelzung von Berufs- und Familienleben – Claude Werder kannte nichts anderes. Und so versucht er auch in seinem Betrieb dafür zu sorgen, dass zwischen den beiden Welten möglichst wenig Reibung entsteht. Die Schichtpläne würden frühzeitig verschickt, sodass Abtausch und Absprachen möglich seien. Und bei Bedarf sei man flexibel. «Ein Angestellter musste eine Zeit lang nachmittags seine Frau zur Arbeit fahren, weil sie einen Unfall gehabt hatte. Wir machten es einfach so, dass er seine Schicht unterbrechen konnte und danach etwas länger blieb.»

Werder ist vierfacher Vater. «Zwei Wochen Papi-Urlaub hätten mich gefreut.» In den Neunzigerjahren war das noch kein Thema. Er habe nach den Geburten jeweils einige Tage zusätzliche Ferien genommen. Doch er weiss: Nicht alle können sich das leisten. Bei ihm arbeiten viele Hilfsarbeiter. Sie und ihre Familien profitieren besonders vom Vaterschaftsurlaub. Grosszügig ist die Firma auch bei den Müttern. Sie gewährt ihnen 20 statt der gesetzlichen 14 Wochen Mutterschaftsurlaub.

«Für zwei Wochen Vaterschaftsurlaub ist die Zeit nun wirklich langsam reif.»

Claude Werder, Patron mit 75 Angestellten

«Wer eine Familie gründet, dem soll sie auch wichtig sein dürfen», findet Claude Werder. Ganz uneigennützig ist sein Engagement aber nicht. «Wer die Familie hinter sich weiss, kommt gern zur Arbeit und leistet auch mal mehr, als er unbedingt muss», weiss der Chef. Dass diese Rechnung aufgeht, kann er mit vielen Anekdoten belegen. Mitarbeitende, die an Feiertagen oder nach Arbeitsschluss plötzlich an der Maschine standen, um dringende Arbeiten zu erledigen – ohne dass sie dazu aufgefordert wurden und ohne einzustempeln.

Der Vaterschaftsurlaub ist für Werder ein Alleinstellungsmerkmal im Wettstreit um die besten Mitarbeitenden. Sein Betrieb stehe teilweise in direkter Konkurrenz zu Produzenten aus China. Höhere Löhne könne er nicht bezahlen, auch wenn er gern würde. Da wirken die zehn Tage Papi-Zeit als willkommenes Zückerchen. «Zeit für die Familie ist sowieso wichtiger als Geld.»

Vielleicht noch grosszügiger

Falls der Vaterschaftsurlaub in der Schweiz generell eingeführt wird, hat Werder ein Problem: Seine vergleichsweise grosszügige Regelung ist dann nichts Besonderes mehr. Er schliesst deshalb nicht aus, die Papi-Zeit in seinem Betrieb nochmals zu verlängern. «Wenn sie neu über Lohnabzüge von allen mitfinanziert wird, spare ich ja etwas Geld.»

Weitergehende Forderungen nach einer Elternzeit von 30 Wochen (siehe Box weiter unten) beurteilt Werder hingegen kritisch. «Das wäre eine sehr grosse Herausforderung für uns.» Bei ungelernten Hilfsarbeitern liesse sich das zwar organisieren – man stellt jemanden temporär ein oder verteilt die Arbeit anders. «Wir haben bei uns aber auch Spezialisten, die wir nicht einfach so ersetzen können.» Eins ist für ihn aber klar: «Für zwei Wochen Vaterschaftsurlaub ist die Zeit nun wirklich langsam reif.»

Kommt bald die Elternzeit?

Alle Väter sollen nach der Geburt ihres Kindes zwei Wochen bezahlten Urlaub erhalten: Darüber wird am 27. September abgestimmt. 

Für viele Befürworter ist dieses Modell des Vaterschaftsurlaubs aber nur der Anfang. Sie wünschen sich für beide Elternteile einen mehrmonatigen Babyurlaub, wie er in vielen Ländern längst üblich ist. Im Parlament sind dazu mehrere Vorstösse hängig. Ausserdem kursieren diverse Ideen für Volksinitiativen.

So hat der Verein Public Beta eine Initiative für 30 Wochen Elternzeit angekündigt – 14 bis 18 davon für die Mütter, 12 bis 16 für die Väter. Die SP möchte 38 Wochen, je 14 Wochen für die Mutter respektive den Vater, die übrigen 10 frei aufteilbar. 

Im National- und Ständerat hatte aber nicht einmal der ursprünglich geforderte vierwöchige Vaterschaftsurlaub eine Chance, und so setzen die Sozialdemokraten nun auch auf die Kantone. In Bern fordert die Partei 38 Wochen Elternzeit, davon 14 für die Mütter. In Luzern und Zürich sollen es je 18 Wochen pro Elternteil sein. In Genf und Basel-Stadt wurden Vorstösse für eine Elternzeit von 36 respektive 24 Wochen überwiesen.

Rechtlich ist umstritten, ob und wie kantonale Elternzeit-Lösungen überhaupt umsetzbar sind, da gemäss Obligationenrecht nur der Bund Firmen zu Elternurlauben verpflichten kann.

Klar scheint: Mit der Abstimmung am 27. September ist das letzte Wort zum Thema noch nicht gesprochen.

«Wir sollten die Väter nicht hängen lassen»

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Zur Abstimmung vom 27. September – ein Kommentar von Redaktorin Tina Berg über die unbegründete Angst vor «Lohndieben» und «Zwangsurlaub».
Quelle: Beobachter Bewegtbild
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