Bis zuletzt ist das Wetter launisch und Barbara Lienhard nervös. Regen, Wind und Sonne, dann wieder Schauer. Der Frühling ist noch jung, und die Nächte sind kalt. Doch der Holzofen steht im Garten bereit, am Rand der matschigen Wiese. «Ich kann auch im Regen brennen. Aber es bitz gruusig wäre das schon», sagt sie.

Ihre Keramikwaren übernachten im Ofen. Eng beieinander, der Platz ist gut genutzt. Krüge und Töpfe ganz oben, wo sich der Kamin in die Höhe wölbt. Tassen und Schälchen weiter unten, wo der Ofen schön bauchig ist. Den letzten freien Platz ergattern Rosen; echte und solche aus Keramik. «Die sind für den Ofengeist», sagt die 58-Jährige. «Er soll mir einen guten Brand bescheren.»

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Ob Ofengeist oder Glück, der nächste Morgen ist kühl und klar. Im Dunkeln bindet Lienhard die Haare zusammen, damit sie ihr beim Anfeuern nicht in den Weg kommen. Ein langer roter Schal und eine braune Teddy-Jacke halten sie warm. Dicke Handschuhe schützen die Hände, die vom Formen der Keramik ohnehin schon rau sind. So pflanzt sie sich vor den Ofen und füttert ihn mit Holz. Unaufhörlich, damit die Temperatur immer höher klettert. Das erste Scheit knistert um 7 Uhr früh, das letzte wird am nächsten Morgen verglühen.

Die Keramik erlebt einen Aufschwung

Vor 25 Jahren hat Barbara Lienhard erstmals mit Keramik gearbeitet, seither ist sie «angefressen». Einen Grossteil des Handwerks brachte sie sich selbst bei, und sie besuchte Kurse, machte Aus- und Weiterbildungen. Heute besitzt die Keramikerin mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis in Bremgarten AG ein Studio, wo sie jede freie Minute töpfert und samstags ihre Werke verkauft. Trotzdem ist es bislang ein Nebenjob. An vier Tagen die Woche arbeitet sie als Assistentin der Geschäftsleitung in einer grösseren Firma.

Mit ihrer Begeisterung für Keramik ist sie nicht allein. Seit einigen Jahren erlebt das rund 30'000 Jahre alte Handwerk in der Schweiz einen Aufschwung. «Töpferkurse boomen wie einst Yogaklassen Yoga Wo es hilft – und wann es schadet », schrieb jüngst die «NZZ». In Städten sind sie regelmässig ausgebucht. Gerade Menschen mit Bürojobs haben das Bedürfnis, in ihrer Freizeit mit den Händen zu arbeiten und etwas zu erschaffen. Und: Töpfern beruhigt.

Auch Barbara Lienhard. Doch einmal im Jahr braucht sie Nervenkitzel. Dann nimmt sie sich eine Woche für den Holzbrand frei. «Als ich zum ersten Mal eine Teeschale aus dem Holzofen sah, war das Liebe auf den ersten Blick. Ich wollte unbedingt auch mit dieser Technik arbeiten.» Früher war ein Holzofen die einzige Möglichkeit, Ton zu brennen. Mit dem Einzug der elektrischen Öfen hat die aufwendige Technik aus Asien aber an Reiz verloren. Nicht für Lienhard. Sie ist eine der wenigen in der Schweiz, die noch regelmässig mit dem Holzofen brennen. «Man muss schon etwas verrückt sein. Schliesslich sitzt man stundenlang vor dem Ofen und starrt aufs Temperatur-Messgerät.»

«Manchmal fühle ich mich wie eine Hexe»

Wer Barbara Lienhard während dieser Woche in Oberglatt ZH besucht, fühlt sich wie im Märchen. Feiner Rauch schlängelt sich in den Himmel, es «schmürzelet» schon von weitem. Immer der Nase nach folgen gwundrige Spaziergänger dem gewundenen Strässchen bis zum Fluss. Dort steht ein Haus, wie von einem Kind gezeichnet. Unten ein Quadrat, darauf ein Dach im Dreieck– alles aus Holz, alles alt, charmant und «chnorzig». Am Ofen eine Frau mit rötlichem Haar und roten Wangen, weil sie so nah am Feuer sitzt. Mit Dreck im Gesicht und einem Lächeln von Ohr zu Ohr streichelt sie den Kater, der auf den Namen «der Dicke» hört. «Manchmal fühle ich mich wie eine Hexe mit meinem Ofen und meinem Hüsli», sagt Barbara Lienhard.

Als die Sonne untergeht, zeigt das Messgerät 980 Grad. Lienhard hat inzwischen Gesellschaft von zwei Freundinnen bekommen. Gegen die Kälte gibt es Risotto. Mit Champignons, Gemüse, getrockneten Tomaten und einem Schuss Wein – der Rest darf ins Glas. Über dem Ofen wirft der Himmel Wellen, die Funken tanzen wie Glühwürmchen zum Mond. Lienhard verliert das Zeitgefühl. Erst spät in der Nacht übernimmt eine Freundin den Ofendienst, damit sie sich ins Bett legen kann. Nur zwei, drei Stunden – für mehr ist sie zu aufgeregt.

Keramik im Holzofen
Quelle: Stephan Rappo

Bei dieser Hitze steigt Holzasche im Ofen auf und verbindet sich mit dem Ton. Die im Holz enthaltenen Stoffe wie Kalzium, Natrium und Eisen zeichnen farbige Muster auf die Keramik. Kiefern und Eichen grüne, Pappeln färben Objekte blau, Fichten und Weisstannen zeichnen blassviolett und braun. Auch das Wetter, der Brandverlauf und der Stellort der Stücke beeinflusst, wie die Waren aussehen werden. Der Brand sei jedes Mal ein Abenteuer. «Manchmal bin ich schon nur froh, wenn die Sachen überleben», sagt sie. «Wenn es schlecht läuft, muss ich jedes dritte Stück aussortieren, weil es kaputt ist.» Denn auch zu heiss darf der Ofen nicht werden.

Kurz vor 9 Uhr morgens zeigt das Messgerät 1280 Grad. Vorsichtig entfernt Lienhard einen Ziegel an der Rückwand und schaut mit der Schutzbrille in die weissen Flammen. «O nein, Scheibe!», entfährt es ihr. Zwei Tablare sind gekippt – mehr kann sie nicht sehen. Wie viel «futsch» ist, wird sich erst in zwei Tagen zeigen, wenn der Ofen abgekühlt ist.

Ein Viertel der Keramik ist «futsch»

Entsprechend nervös ist Barbara Lienhard am Freitagnachmittag. Eine Freundin hilft ihr beim Abbauen der noch warmen Rückwand. Sobald die obersten Ziegel entfernt sind, streckt Lienhard einen Arm ins Innere und zieht die ersten Waren heraus. «O nein, alles krumm!» Die Tasse klebt am Teller, zwei Krüge wurden zu siamesischen Zwillingen. Auch die nächsten Stücke müssen auf den «Friedhof», auch sie zusammengewachsen oder kaputt.

«Wenn so was passiert, denke ich immer, dass ich nie mehr einen Holzbrand mache. Oder ich gebe dem Ofengeist die Schuld», sagt Lienhard. Doch dann kommt es besser als erwartet: Vieles, was hinten stand, hat überlebt. Nach dem Ausräumen sind zwei Tische mit farbigen Tassen, Schalen, Krügen zugestellt. Alles Einzelstücke, keines wie das andere. Einige davon zieren feine Risse. «Am besten gefällt mir alles, das wild aussieht. Orange, rot, Blasen, Muster», sagt Lienhard, wieder glücklich. Etwa einen Viertel musste sie aussortieren – nicht mehr als sonst auch. Ganz am Schluss zieht sie die Keramikrose zwischen den warmen Ziegeln hervor. Der Ofengeist hat sie ganz gelassen.

Bei den Kundinnen im Keramikstudio kommen Stücke aus dem Holzbrand besonders gut an. «Sie sind zwar etwas teurer als die aus dem elektrischen Ofen, aber die meisten Käufer verstehen das.» Ein, zwei Stücke behält sie vielleicht für sich. Einen Platz dafür finde sie immer. Im Holzhäuschen stehen Tassen in der Küche, hängen Keramiklampen von der Decke, zieren Schälchen die Fensterbänke.

Der «Dicke» weiss, dass er nichts umstossen darf. Vorsichtig beschnuppert er die farbigen Gefässe, hinterlässt ein paar graue Haare und rollt sich in der Sonne vors Fenster. Das Interesse an den neuen Mitbewohnern hat er schnell verloren. Ganz anders Barbara Lienhard.

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Jasmine Helbling, Redaktorin
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