Viel Zeit fürs Nichtstun und die Eltern als Hausbank – dieses Etikett klebt an Studierenden so zäh wie ein Kaugummi an der Schuhsohle. Die Realität sieht anders aus: Drei Viertel aller Studierenden gehen zusätzlich einer bezahlten Arbeit nach. Oft genug stossen sie damit an Belastungsgrenzen. In der Untersuchung «Studieren unter Bologna» sagten 30 Prozent der Studentinnen und Studenten, sie würden gerne weniger arbeiten, und ebenso viele, dass ihnen das Nebeneinander von Arbeit und Studium zu schaffen mache. Zwölf Prozent fanden, dass beides zusammen ihre Gesundheit belaste.

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Ulrich Frischknecht, Leiter der Psychologischen Beratungsstelle an der Uni Zürich, nennt als realistische Belastungsgrenze bei einem Vollzeitstudium einen Tag Arbeit pro Woche. Mehr Arbeitszeit bei gleicher Studiendauer führe zu Stress und Selbstüberforderung. Und es werde schwieriger, den Spagat zwischen beiden Welten zu schaffen: «Der häufigste Grund für einen Studienabbruch ist ein guter Job.» An der Arbeitsstelle gebe es Anerkennung, während man im Studium auf sich selber gestellt sei und wenig Feedback erhalte. «Sobald das Studium nicht mehr oberste Priorität hat, kann man in eine Identitätskrise geraten», so die Erfahrung des Psychologen.

Arbeit und Studium zu verbinden ist mit dem stark regulierten Bologna-System schwieriger geworden. Letztes Jahr traten Studierende mit Protesten an die Öffentlichkeit: Gefordert wurden flexiblere Studienzeiten und existenzsichernde Stipendien. In der erwähnten Studie zur sozialen und wirtschaftlichen Situation der Studierenden sagte die Hälfte der Befragten, dass sie zwingend arbeiten müssten. Insgesamt beträgt die Wochenarbeitszeit der Werkstudenten in der Schweiz 45 Stunden – Vorlesungen, Lernzeit, bezahlter Job.

Am meisten belastet sind studierende Eltern; zwei Drittel von ihnen arbeiten neben Hochschule und Kinderbetreuung. Anna Birkenmeier, Mutter von zwei Mädchen, von denen eines während des Studiums geboren wurde, sagt: «Ich hatte Glück, dass ich eine flexibilisierte Ausbildung fand.» Die 29-jährige Journalismus-Studentin schloss mit dem Diplom der höheren Fachschule ab, nach vier statt drei Jahren, und beginnt nun einen zweiten Diplomlehrgang.

«Kinder sollten kein Hindernis sein»

Zurzeit werden 650 Studiengänge nach dem sogenannten Modell F angeboten, das eine Vereinbarkeit von Familie und Bildung fördern soll – allerdings erst in Fachhochschulen und höheren Fachschulen. «Kinder sollten kein Hindernis für ein Studium sein», sagt Rebekka Risi, Projektleiterin beim tonangebenden Verein Modell F. Das Prinzip ist so, dass man mit einem Aufnahmeverfahren einsteigt, das vorhandene Kompetenzen berücksichtigt, und dann die Studienzeiten selber zusammenstellen und auch Unterbrüche machen kann. Bis zum Abschluss ist eine Verlängerung der Studienzeit auf das Doppelte der regulären sechs Semester für den Bachelor und deren vier für den Master möglich. Auch Spitzensportler, politisch Tätige und Manager können das Modell F nutzen. Beim Projekt mit dabei ist auch die Fernfachhochschule Schweiz, wo die Studienzeiten besonders flexibel sind (siehe «Fernstudium und Karriereschub».

Die schreibende Mutter

Als sich Anna Birkenmeier entschied, an der Schule für Angewandte Linguistik Journalismus zu studieren, war ihre Tochter Paula drei Jahre alt. Trotz dem Muttersein war für sie klar: «Ich wollte eine fundierte Ausbildung.» Journalismus wählte sie, weil sich dies vergleichsweise gut mit Kindern verbinden lässt.

In den Kursen der flexibilisierten Ausbildung nach dem Modell F galten Präsenzzeiten, doch die Stundenzahl pro Semester konnte sie frei wählen. Ende des zweiten Studienjahrs kam Lena zur Welt. «Kurz danach erhielt ich von einer Textagentur das Angebot, journalistisch zu schreiben», erzählt die heute 29-Jährige. Sie unterbrach das Studium für eine «Kinder- und Arbeitspause».

Schwieriger als erwartet sei der Wiedereinstieg ins Studium gewesen: «Sich für die Theorie zu motivieren und dafür spannende Aufträge abzuweisen ist sehr schwierig.» Schliesslich behielt sie ein Erwerbspensum von etwa acht Stunden. «Man braucht viel Disziplin», betont sie. Oft stand sie um fünf Uhr auf, um drei Stunden zu lernen, und kaum waren die Kinder abends im Bett, schrieb sie. Während der Woche organisiert sie sich allein, weil ihr Mann beruflich oft im Ausland weilt. «Ohne meine wunderbare Tagesmutter, die ich neben zwei fixen Tagen auch mal für zusätzlich anfragen kann, wäre das alles nicht möglich.»

Nach acht Semestern schloss Birkenmeier als Journalistin HF (Höhere Fachschule) ab. Die Diplomarbeit ist noch nicht fertig, auch, weil sie nun rund 20 Stunden pro Woche erwerbstätig ist. Nun beginnt sie den Diplomstudiengang Kommunikation. Angst vor Überforderung hat sie nicht: «Ich weiss ja, dass ich das Studium jederzeit verlängern kann.»

Anna Birckenmeier: Die 29-Jährige studiert Kommunikation, ist Journalistin und Mutter.

Quelle: Saskja Rosset
Realistisch planen

Wer neben dem Studium arbeiten will oder muss, sollte sich gezielt darauf vorbereiten. «Es braucht eine ehrliche Realitätsüberprüfung», sagt André Werner vom Berufsinformationszentrum Oerlikon, der seit 20 Jahren für die Zürcher Bildungsdirektion Studierende berät. «Meist zeichnen sich dann mehrere Möglichkeiten ab, die es gegeneinander abzuwägen gilt.» Am meisten für Studium und die Laufbahn profitiere, wer auf eine Berufstätigkeit aufbauen könne oder eine Arbeit finde, die Bezug zum Studium hat. Und mitunter, fügt Wagner an, sei ein Teilzeitstudium die bessere Lösung, als dann mitten im Studium überfordert steckenzubleiben.

Laut Bundesamt für Statistik hat sich die Studiendauer mit der Einführung von Bologna um drei Monate verlängert. Ein Grund: Die Finanzierung mit Nebenjobs lässt sich schlechter mit dem Studium verbinden. Nur 16 Prozent der Studierenden erhalten Stipendien der öffentlichen Hand, im Schnitt 760 Franken im Monat. Diese Beiträge decken weniger als einen Drittel der Lebenskosten. Ein längeres Studium aber wird zum Bumerang, weil es nach zehn Semestern und einem Repetierjahr keine kantonalen Stipendien mehr gibt. Und private Beiträge erhält nur, wer gute Studienleistungen vorweisen kann.

Fernstudium und Karriereschub

«Mein Antrieb ist, dass ich eine international anerkannte Ausbildung will», sagt Andreas Baud. Parallel zu seiner Stelle bei einer Managementfirma begann der gelernte Drogist zu studieren: Betriebsökonomie an der Fernfachhochschule Schweiz. Im zweiten Studienjahr rückte er im Job in die Geschäftsleitung auf, und ab da war eine Vollzeitstelle vorausgesetzt.

Das Entscheidende, um trotz dieser Belastung mit dem Studium weiterzukommen, sei die Planung, sagt der 41-Jährige. «Ich notierte für jeden Tag die Stunden und das Lernziel in einen Stundenplan – und hielt mich daran.» Das bedeutet: Lernen an zwei Abenden und manchmal am Sonntag, am Samstag Präsenzzeiten mit den Dozenten sowie Lerngruppenarbeit. «Man muss wissen, was man will, und auf gewisse Dinge in der Freizeit verzichten können», erklärt Baud. Entgegen kam ihm, dass seine Lebenspartnerin ebenfalls ein berufsbegleitendes Studium machte. Nach fünf Jahren schloss Andreas Baud mit dem Bachelor ab.

«Ich hatte Zweifel, ob ich mitten im Studium in einer leitenden Funktion angestellt werde», sagt Baud. Schliesslich erhielt er den Job als Product Manager gerade auch dank dem Studium: «Es hilft sehr, wenn Studium und Arbeit zusammenpassen: Man büffelt nicht nur Theorie, sondern profitiert von der Anwendung.» Seine Bachelor-Arbeit schrieb er über ein neues Geschäftsprojekt innerhalb der Firma. Jetzt startet er mit dem Master-Lehrgang. «Den Stundenplan für ein Jahr habe ich bereits.» So könne er sich um die häufigen Arbeitsreisen herum organisieren.

Andreas Baud: Der 41-Jährige arbeitet Vollzeit als Marketing-Manager und studiert daneben Betriebsökonomie an der Fernfachhochschule Schweiz.

Quelle: Saskja Rosset

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Quelle: Saskja Rosset

Aktiv in zwei Welten

Ein Jahr vor dem Bachelor setzte sich Sara Hildebrand gegen 200 Bewerberinnen als Moderatorin von «Glanz & Gloria» im Schweizer Fernsehen durch. Trotz dem «Job nebenbei» schaffte die 24-Jährige den Abschluss in Germanistik, Geschichte und Pädagogik nach den regulären drei Jahren, jetzt beginnt der Master-Studiengang.

Zwei bis drei Sendungen pro Woche bestreitet Hildebrand. Ein voller Tag gehört dem Studium, an den anderen Tagen besucht sie morgens Vorlesungen und Kurse, ab 12 Uhr ist sie im Fernsehstudio, um in die Glamourwelt des Promimagazins einzutauchen. Am späteren Nachmittag moderiert sie die Sendung, danach fährt sie nach Hause und verarbeitet, was von der Uni noch ansteht. «Alles eine Frage der Organisation», sagt sie. Und: «Lernen und arbeiten muss einem leichtfallen, um beides bewältigen zu können.» Wichtig sei, möglichst viel sofort erledigen und Prioritäten setzen zu können.

Gegensätzlicher könnten die zwei Welten nicht sein. «Ich profitiere in jedem Bereich vom andern», sagt sie. Im «Glanz & Gloria»-Blog wird auch mal ein Literaturklassiker zitiert, für eine Semesterarbeit über Höflichkeit verglich sie 20 Jahre «Kassensturz».

Als schwierigste Hürde bezeichnet die Zürcherin die Präsenzkontrolle an der Uni: Wer mehr als drei Absenzen hat, muss das ganze Modul wiederholen. Trotzdem: «Es war für mich immer klar, dass ich neben dem Studium arbeiten will, etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen.» Heute kann sie mit Stolz feststellen, dass sie von den Eltern nur noch einen kleinen finanziellen Zustupf benötigt.

Sara Hildebrand: Die 24-Jährige studiert Germanistik an der Universität Zürich und arbeitet daneben zu 40 Prozent als TV-Moderatorin.

Quelle: Saskja Rosset

Tipps

  • Informieren Sie sich früh (siehe «Nützliche Links»). Auch die Websites der Schulen und Unis sind hilfreich. Und nutzen Sie die Chance, an Info-Veranstaltungen zum Studiengang Fragen zu stellen.

  • Eine Arbeitstätigkeit bis zu 20 Stellenprozent wirkt sich in der Regel positiv aufs Studium und den späteren Berufseinstieg aus. Prüfen Sie jedoch auch die Möglichkeit, sich im ersten Studienjahr voll auf die Ausbildung konzentrieren zu können.

  • Wenn Sie bereits eine Erstausbildung oder eine längere Arbeitserfahrung haben, können Sie sich auch berufsbegleitende Weiterbildungen überlegen (Nachdiplom-Studiengänge an den Hochschulen oder Berufs- und höhere Fachprüfungen).

  • Planen Sie die Finanzierung vor Beginn des Studiums und stellen Sie ein Stipendiengesuch beim Kanton früh. Die Finanzierungsberatungsstellen an den Hochschulen informieren auch über private Beiträge von Stiftungen.

  • Praktika sind zwar eher schlecht bezahlt, ermöglichen aber oft private Studienbeiträge und helfen beim Berufseinstieg.

  • Bedenken Sie bei der Planung, dass kantonale Stipendien auf zehn Semester und ein Repetierjahr beschränkt sind.

  • Bei regelmässiger Arbeit über ein Jahr können Sie bei Stellenverlust Arbeitslosengeld beantragen. Einige Kantone geben Eltern Kleinkinderbetreuungs-, Mutterschafts- und Elternbeiträge (Infos unter www.bsv.admin.ch/...)

  • Nicht alles ist planbar. Lassen Sie immer auch etwas Raum für Unerwartetes.

Nützliche Links