Mit einem lächelnden und einem weinenden Auge las Zoë Gross* das Testament ihres verstorbenen Onkels. Der verwitwete Geschäftsmann hatte ihr einen Viertel seiner Hinterlassenschaft vererbt, darin inbegriffen der Hausrat mitsamt einer antiken Wanduhr. Felix Fröhlich* hingegen, der einzige Nachkomme, wurde wegen seiner Schuldenwirtschaft auf den Pflichtteil gesetzt.

Zoë Gross anerbot sich, sofort die Wohnung des Verstorbenen zu räumen, damit diese rasch weitervermietet werden konnte. Zudem schlug sie Felix Fröhlich vor, den Treuhänder Rolf Koch* mit der Liquidation des Geschäfts und der Durchführung der Erbteilung zu beauftragen.

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Mit ihrem – auf den ersten Blick – vernünftigen Vorschlag missachtete Zoë Gross jedoch eine Grundregel bei Erbschaften: Wer keine Schulden erben will, muss zuerst die Vermögensverhältnisse klären. Denn der Schein kann trügen: Trotz oder gerade wegen seines gehobenen Lebensstils könnte der Verstorbene verschuldet oder sein Geschäft sogar vom Konkurs bedroht gewesen sein.

Die Zeit drängt. Denn die Frist für die Ausschlagung einer Erbschaft beträgt nur drei Monate seit Kenntnis des Todes oder der Erbeinsetzung. Einzig wenn die Zahlungsunfähigkeit des Verstorbenen amtlich feststeht oder sein Nachlass offenkundig überschuldet ist, nehmen die Behörden an, dass das Erbe auch ohne ausdrückliche Erklärung ausgeschlagen ist.

Im Zweifelsfall gilt: Hände weg!
So lange die finanzielle Lage unklar ist, gilt bis zum Ablauf der Ausschlagungsfrist Regel Nummer zwei: Erben dürfen sich nicht in die Erbschaft einmischen; sie verwirken sonst das Recht, den Nachlass auszuschlagen und sich so vor der Haftung für alle Erbschaftsschulden zu schützen. Auch eine korrekt erfolgte Ausschlagungserklärung kann so unwirksam werden.

Doch was bedeutet «Nichteinmischen» konkret? Zoë Gross und Felix Fröhlich dürfen einstweilen keine Gegenstände oder Vermögenswerte aus dem Nachlass an sich nehmen. Sie können jedoch Bestattungskosten begleichen, laufende Geschäfte weiterführen und dringende Reparaturen in Auftrag geben, damit der Nachlass keinen Schaden nimmt. Die Wohnung darf zwar gekündigt, der Hausrat sollte jedoch inventarisiert und eingelagert werden.

Die Warnung des Treuhänders kam für Zoë Gross zu spät: Sie hatte bereits mit der Räumung begonnen und die Wanduhr in ihre Wohnung gezügelt. Ihr Pech: Allein schon die Mitnahme der Uhr gilt klar als Erbschaftsantritt. Erweist sich der Nachlass als überschuldet, haftet die Erbin gegenüber den Gläubigern des Verstorbenen sogar mit ihrem privaten Vermögen.

Für Felix Fröhlich hingegen war es noch nicht zu spät. Auf Anraten von Treuhänder Koch verlangte er die Errichtung eines öffentlichen Inventars. Dieses dient dazu, den Erben den notwendigen Überblick über alle Aktiven und Passiven des Nachlasses zu verschaffen. Während der Errichtungszeit ruht die dreimonatige Ausschlagungsfrist. Wichtig: Die Erben müssen das öffentliche Inventar noch innert Monatsfrist seit Kenntnis vom Erbfall beantragen. Diese äusserst kurze Frist kann – wie übrigens auch die Ausschlagungsfrist – nur ausnahmsweise verlängert werden. Rasches Handeln ist also geboten.

In einem weiteren Schritt erlässt die Behörde im Amtsblatt einen so genannten Rechnungsruf. Darin werden alle Gläubiger und Schuldner des Verstorbenen aufgefordert, innert einer bestimmten Frist ihre Guthaben und Schulden anzumelden. Sobald das Inventar vorliegt, stehen allen Erben – in diesem Fall also nur noch Felix Fröhlich – vier Möglichkeiten zur Wahl:

  • Er kann die Erbschaft annehmen. Damit wird er für alle Nachlassschulden persönlich haftbar – auch für diejenigen, die im Inventar nicht aufgeführt sind.

  • Er kann den Nachlass unter öffentlichem Inventar annehmen. Dann haftet er nur für die im Inventar registrierten Schulden persönlich (eine Ausnahme bilden Steuerschulden). Und für verspätet angemeldete Schulden ist er nur bis zur Nachlasshöhe belangbar.

  • Er kann ausschlagen. Tun dies alle Erben, wird der Nachlass konkursamtlich liquidiert. Überschüsse fallen an die Erben zurück. Die Ausschlagung muss vorbehalt- und bedingungslos und ohne vorheriges Einmischen in die Erbschaft erfolgen.

  • Er kann die amtliche Liquidation verlangen. Der Nachlass wird verkauft und ein allfälliger Überschuss all denjenigen Erben ausgehändigt, die nicht ausgeschlagen haben. Eine Schuldenhaftung besteht in diesem Fall nicht mehr.

Ein Erbausschlag ist anfechtbar
Das Resultat des Inventars liess Zoë Gross aufatmen: Die Erbschaft war zwar klein, aber nicht überschuldet. Felix Fröhlich hingegen zögerte. Mit dem Rechnungsruf im Amtsblatt waren seine Gläubiger auf die Erbschaft aufmerksam geworden. Sein Erbanteil wäre direkt in seinem Schuldenloch verschwunden. Trotzig schlug er deshalb sein Erbe aus. Doch er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht: Seine Gläubiger waren nämlich berechtigt, die Ausschlagung anzufechten. Sie forderten die amtliche Liquidation von Fröhlichs Erbanteil zur Deckung ihrer Ansprüche und setzten so den traurigen Schlusspunkt unter das Lebenswerk des Verstorbenen.

* alle Namen geändert