Zwei Dinge waren Hildegard Knöpfel-Dissler früh klar: Nach vielen Jahren im Dorf wollte die Kulturliebhaberin als Pensionierte in der Stadt leben. Und sie wollte keinen Stillstand.

Heute wohnt die 70-Jährige in Luzern und ist ehrenamtlich tätig. Als Freiwillige beim Besuchsdienst des Schweizerischen Roten Kreuzes trifft sie alle zwei Wochen für zwei Stunden eine Frau in deren Wohnung.

Sie macht mit ihr kurze Spaziergänge als Gehtraining sowie Gesellschaftsspiele. Hoch im Kurs: das Kartenspiel Skip-Bo. «Und ich bringe ihr zurzeit auf ihren Wunsch das Jassen bei», sagt Knöpfel-Dissler. Ab und an fallen auch besondere Aufgaben an.

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«Wer früher schon keine Hobbys oder Freundschaften pflegte, wird das auch nach der Pensionierung nicht tun.»

Thomas Hauser, Geschäftsführer Benevol Schweiz

Da die Frau schlecht zu Fuss ist, erledigte sie auch schon den Kleiderkauf. «Obwohl die Frau einen Mann hat, hat sie mir diese Aufgabe anvertraut. Zum Glück war sie mit meiner Auswahl zufrieden», sagt die 70-Jährige und lacht.

Beide sind auch nach über vier Jahren gemeinsamer Treffen noch immer per Sie. «Ich finde das gut, das Siezen sorgt für eine gewisse Abgrenzung. Und doch spüre ich die notwendige Nähe», so die ehemalige Flugbegleiterin.

Eine weitere Klientin begleitet sie sporadisch bei Spaziergängen. Und einer blinden Frau hilft sie beim wöchentlichen Einkauf. Als zweifache Mutter war Knöpfel-Dissler bereits früher ehrenamtlich tätig.

Wertschätzung statt Geld

«Ein grosser Teil der Personen, die sich schon während des Berufslebens auf freiwilliger Basis engagiert haben, führt das nach der Pensionierung weiter», sagt Thomas Hauser, Geschäftsführer von Benevol Schweiz, der Dachorganisation der Deutschschweizer Fach- und Vermittlungsstellen für Freiwilligenarbeit.

Aber es sei nicht so, dass jedes Jahr eine grosse Anzahl frisch Pensionierter ein neues, freiwilliges Engagement eingehe. «Über die Hälfte hat dies bereits während des Erwerbslebens nicht gemacht und wird es auch im Ruhestand nicht tun.»

Dennoch: Gemäss Bundesamt für Statistik leisteten Schweizerinnen und Schweizer 2020 insgesamt 619 Millionen Stunden Freiwilligenarbeit.

Dass sie für ihr Engagement kein Geld bekommt, stört Knöpfel-Dissler nicht. «Es ist eine sinnvolle, zufriedenstellende Tätigkeit und für beide Seiten bereichernd. Allein die Wertschätzung, die mir entgegengebracht wird, ist ein schönes Gefühl. Ich schenke einen Teil meiner freien Zeit gern jemandem, der auf Hilfe angewiesen ist.» Man müsse sich aber im Klaren sein, dass man sich zu etwas verpflichtet.

Das bestätigt Thomas Hauser: «Die gegenseitigen Erwartungen zu klären, ist enorm wichtig – und zwar bevor man ein Engagement eingeht. Man muss sich von Beginn an bewusst sein, dass Menschen auf einen zählen.» Anderseits dürfe die Einsatzorganisation Freiwillige nicht als kostenlose Arbeitskraft betrachten und so behandeln.

Freiwilligenarbeit im Rentenalter: Hildegard Knöpfel-Dissler (rechts) mit der Seniorin, die sie beim Gehtraining unterstützt

Hildegard Knöpfel-Dissler (rechts) mit einer Seniorin, die sie beim Gehtraining unterstützt

Quelle: Christian Felber

Dass sich Knöpfel-Dissler beim Rotkreuz-Besuchsdienst engagiert, war nicht geplant. «Ich habe an der Luzerner Messe ‹Marktplatz 60 plus› davon erfahren und war sofort interessiert.» Der «Marktplatz 60 plus» ist eine Plattform für das zivilgesellschaftliche Engagement der älteren Bevölkerung Luzerns. Rund 30 Institutionen zeigen, wo Freiwilligenarbeit gefragt ist.

Für eine völlig neue Tätigkeit entschieden hat sich Gion Casutt. Er ist seit sieben Jahren in Lugano als Bahnhofpate unterwegs, in der Regel zweimal pro Woche für je drei Stunden.

Beim Präventionsprogramm «RailFair» der SBB tragen vorwiegend Pensionierte mit ihrer Präsenz dazu bei, dass sich Reisende sicherer fühlen. «Wir helfen unter anderem beim Ticketkauf, sorgen für Sicherheit, Ruhe und Ordnung oder beantworten die Fragen der Reisenden», sagt der 78-Jährige.

Seit 60 Jahren lebt der gebürtige Churer im Tessin und arbeitete sich bis zu seiner Pensionierung zum Betriebsleiter der damaligen Regionaldirektion Ticino bei der Allianz Suisse hoch.

Ruhestand ist nicht Stillstand

Auch Gion Casutt war schon vor der Pensionierung ehrenamtlich in Vereinen tätig. «Ich bin gern draussen, also ist Bahnhofpate das perfekte Engagement für mich.» Die Dankbarkeit, die man erhalte, sei riesig.

Gern erinnert er sich an eine 80-jährige Australierin und deren Tochter. Sie hatten sich so über seine Hilfe gefreut, dass er ein goldenes Känguruabzeichen geschenkt bekam.

Grosse Parallelen zu ihrem alten Beruf hat das ehrenamtliche Engagement von Catherine Terzer aus Thalwil ZH. Als Sozialpädagogin half sie Jugendlichen und jungen Erwachsenen bei der Integration ins Berufsleben.

Jetzt wirkt sie zweimal pro Woche als Freiwillige im Schreibdienst der Sozialen Dienste der Stadt Zürich mit. Sie unterstützt erwachsene Hilfesuchende bei administrativen oder schriftlichen Fragen.

«Ich möchte irgendwann unbedingt am Programm ‹Generationen im Klassenzimmer› der Pro Senectute teilnehmen.»

Hildegard Knöpfel-Dissler

Für sie passt es. «Mit 64 hatte ich zwar genug, aber den Ruhestand habe ich nie mit Zu-Hause-Sitzen gleichgesetzt. Ich fühle mich überhaupt nicht alt und will mein Wissen weitergeben und anderen Menschen helfen.» Als Brockenhaus-Fan ist sie zudem ehrenamtlich im Brockenhaus Thalwil tätig.

Die Beispiele zeigen: Es gibt Wege, nicht in das gefürchtete Loch zu fallen, wenn es keinen Berufsalltag mehr gibt. «Aber wer über Jahre keine Freundschaften oder Hobbys gepflegt hat, wird das auch nach der Pensionierung nicht tun», sagt Thomas Hauser. Freiwilligenarbeit könne da helfen, sei aber kein Allheilmittel.

Das braucht Hildegard Knöpfel-Dissler nicht. Sie plant bereits ihr nächstes Engagement. «Ich möchte irgendwann unbedingt am Programm ‹Generationen im Klassenzimmer› der Pro Senectute teilnehmen.» Eben: kein Stillstand.

Mit diesen Tipps klappt es mit dem freiwilligen Engagement

  • Machen Sie sich Ihre Motivation klar. Was genau wollen Sie? Wo liegen Ihre Talente? Wollen Sie sich zeitlich begrenzt oder langfristig engagieren?
  • Wählen Sie ein passendes Umfeld für die Tätigkeit. Soll es eher ein ruhiger Ort sein, oder suchen Sie Kontakt mit anderen Menschen?
  • Erkundigen Sie sich bei freiwilligen Helfern im Bekanntenkreis nach deren Erfahrungen. Das hilft, eine erste Hemmschwelle zu überwinden.
  • Überladen Sie sich nicht auf Anhieb mit Freiwilligenarbeit. Sofern alles stimmt, können Sie nach einigen Monaten das Engagement erhöhen. Benevol Schweiz empfiehlt, im Jahresdurchschnitt nicht mehr als vier bis sechs Stunden pro Woche Freiwilligenarbeit zu leisten.

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