Beobachter: Wenn wir schlecht schlafen, sagen wir oft, wir hätten die ganze Nacht wach gelegen. Stimmt das?
Bernd Feige: Man weiss schon länger, dass Insomnie-Patienten nur geringfügig weniger schlafen als Menschen, die gut schlafen. Im Durchschnitt etwa eine halbe Stunde weniger.


Woher kommt diese verzerrte Wahrnehmung?
Um das herauszufinden, haben wir Menschen mit und ohne Schlafstörungen im Schlaflabor schlafen lassen, sie aufgeweckt und gefragt, ob sie soeben wach gelegen oder geschlafen haben. Wenn wir Menschen mit Insomnie aus einer REM-Schlafphase geweckt haben, haben sie häufiger angegeben, sie hätten gerade wach gelegen – obwohl sie ebenfalls fest geschlafen haben.

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Das heisst, sie haben die Schlaflosigkeit nur geträumt?
So ist es, aber sie leiden deswegen nicht weniger unter ihr und gesundheitlichen Folgen wie Depressionen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.


Warum träumt man, dass man nicht schlafen kann?
Insomnie-Patienten haben oft grübelnde, negative Gedanken, wenn sie im Bett liegen: Sie haben Angst, schon wieder die ganze Nacht nicht schlafen zu können und am nächsten Tag nicht leistungsfähig zu sein. Dieser Stress ist so gross, dass er im Traum verarbeitet wird. Bei Insomnie-Patienten vermischt sich also die echte Schlaflosigkeit mit dem Albtraum der Schlaflosigkeit. Das erklärt auch, warum sie meinen, sie lägen so lange wach.


Ist die Angst vor Schlaflosigkeit eine Urangst? Es soll ja vorkommen, dass Menschen sterben, weil sie einfach nicht mehr schlafen können.
Tatsächlich ist die tödliche familiäre Schlaflosigkeit, wie der Name schon sagt, eine tödliche Krankheit – sie ist aber sehr selten. Die Furcht vor der Schlaflosigkeit ist keine Urangst, sie hat vielmehr mit der Persönlichkeitsstruktur der Betroffenen zu tun. Wer zum Grübeln und Schwarzmalen neigt, leidet eher unter Schlaflosigkeit. Ängste und Befürchtungen, mit denen wir tagsüber gut umgehen können, schlagen in der Nacht voll durch. Das Gedankenkarussell Schlafprobleme Was tun, wenn negative Gedanken den Schlaf rauben? beginnt sich zu drehen, weil unsere Kompetenz, Probleme zu lösen, nachts eingeschränkt ist. In Verbindung mit einem ausgeprägten Leistungswillen wird es besonders problematisch. Leistungsbereite Menschen haben das Gefühl, sie könnten schlafen, wenn sie alles richtig machen. Aber das funktioniert nicht, im Gegenteil: Je mehr man schlafen möchte, desto schlechter schläft man in der Regel.


In einer noch unveröffentlichten Folgestudie haben Sie die Schlaflosigkeit weiter untersucht. Was haben Sie herausgefunden?
Insomnie-Patienten haben oft das Gefühl, sie müssten im Schlaf ständig auf der Hut sein. Wir haben die ganze Nacht leise Töne gespielt, um zu überprüfen, ob man diese sogenannte Habachtstellung nachweisen kann. Tatsächlich reagierten die Insomnie-Patienten im Schlaf stärker auf diese Töne.


Was bedeutet das?
Zum einen lässt sich daraus ableiten, dass Insomnie-Patienten auf eine ruhige Schlafumgebung achten sollen. Noch wichtiger ist es aber, die Angst vor der Schlaflosigkeit anzugehen, damit sie diese Habachtstellung nicht in den Traum verfolgt und sie stattdessen loslassen können.


Wie gelingt das?
Gewisse Medikamente können die REM-Phase, also den Traumschlaf, stärken. Manchen hilft es, wenn sie versuchen, die Schlaflosigkeit als etwas Positives wahrzunehmen. Wenn sie sich etwa vornehmen, jemandem zu beweisen, dass sie stundenlang wach liegen. Andere setzen sich auf einen sogenannten Grübelstuhl, wenn sie nicht schlafen können, und setzen sich mit dem Problem, das sie gerade wach hält, möglichst lösungsorientiert auseinander. Man kann sich auch Notizen machen und Lösungsansätze festhalten. Ein Grübelstuhl kann einem dabei helfen, die negativen Gedanken aus dem Bett und damit letztlich auch aus den Träumen zu verbannen.

Zur Person

Der Physiker Bernd Feige erforscht den Schlaf an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Uniklinik Freiburg in Deutschland.

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