Leserfrage: «Ich schäme mich wegen meines Gewichts. Was kann ich tun?»

Ihre Geschichte ist wohl eine typische. Auf den Hochzeitsfotos waren Sie jung, gut aussehend und schlank. Als Sie sie neulich wieder einmal ansahen, waren Sie etwas überrascht, aber auch stolz, was für ein schönes Paar Sie damals abgaben.

Doch das ist eine Weile her. Insbesondere die letzten Jahre waren gefüllt mit vielem, was nicht einfach war. Sie waren aber vor allem gefüllt. Die Zeit verging wie im Flug, und nicht immer hatten Sie das Gefühl, das Ruder in der Hand zu haben. Eigentlich reagierten Sie einfach auf das, was kam.

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Und so stieg auch Ihr Bedürfnis, sich zu belohnen. Je müder Sie waren, desto tiefer wurde die Schwelle. Das erste Torino morgens um neun, um drei ein drittes, trotz Dessert nach dem Mittagessen. Zum abendlichen Herunterfahren entwickelte sich ein neues Ritual: auf dem Sofa, mit dem iPad in der linken Hand und dem Glas Rotwein in der rechten, auf dem Tisch reichlich Knabberzeug.

«Allen geht es so»

Sie merkten schon, dass das Gewicht stetig stieg. Und dann ging es Schlag auf Schlag. Als Sie wieder einmal auf die Waage stiegen, erschraken Sie. Dreistellig.

Und aus dem männlich Markanten war etwas männlich Kurviges geworden, mit rundem Bauch, dünnen Beinen und veritablen Brüsten. Sie erschraken, weil Ihr inneres Bild irgendwie stehen geblieben war in einer anderen Zeit. Als hätte Ihr Spiegel eine Zeitmaschine eingebaut gehabt, die nun streikte.

«Eine radikale Umstellung führt meist auch wieder zum alten Muster zurück.»

Thomas Ihde, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH

Dieser neue Körper hatte für Sie selbst so gar nichts Attraktives. Nach unten zog irgendwie alles. Nach unten zog es vor allem auch Ihren Selbstwert Selbstbewusstsein «Ich zweifle sofort an mir» . Scheu sprachen Sie Ihre Partnerin und auch einen Freund an. Beide beschwichtigten, es ginge allen so, gaben ein paar Tipps, die Sie aber auch schon gelesen hatten. Für Ihre Partnerin schienen Sie wenig an Attraktivität eingebüsst zu haben, sie fühlte sich sogar entlastet, da sie selbst mit dem Gewicht kämpfte. Und doch schienen beide auch nicht ganz zu verstehen, wie sehr es Sie belastete. Das Gewicht schien einsam zu machen.

Schnelle Gewichtsreduktion

Was kann ich Ihnen nun raten? Sie haben sicher vieles über Diäten und bestimmte Fitnessarten gelesen , die zu einer mehr oder weniger schnellen Gewichtsreduktion führen. Vorgestellt werden sie – gerade online – meist von Menschen, die sehr attraktiv wirken. Diese Models waren aber meist gar nie übergewichtig – und ihre professionell definierten Muskeln entsprechen nicht der Norm, schon gar nicht derjenigen für Ihre Altersgruppe.

Es ist ratsam, sich einzulesen in die verschiedenen Ernährungsweisen mit ihren Vor- und Nachteilen – und zu schauen, ob sie Ihnen entsprechen. Und zwar langfristig. Entstanden ist das Übergewicht ja nicht über drei oder sechs Monate, sondern meist über mehrere Jahre. Um es nachhaltig wieder zu reduzieren, wird es ähnlich lange dauern. Eine radikale Umstellung führt meist auch wieder zum alten Muster zurück, weil man innerlich nur darauf wartet, bis sie endlich vorbei ist. Kleinere Änderungen sind zielführender. Reduzieren Sie Schokolade und Wein schrittweise.

Auch bei der Bewegung sind die kleinen Veränderungen nachhaltiger als die grossen. Vielleicht zweimal pro Woche einen Abendspaziergang machen, einmal ins Fitness oder einen Verein. Mit der Partnerin oder dem besten Kollegen regelmässig etwas Sportliches zu unternehmen, ist ebenfalls nachhaltiger, als es allein zu tun.

Übergewicht definiert den Charakter nicht

Achten Sie aber nicht nur auf Ernährung und Bewegung, sondern auch auf Ihre Psyche. Ein plötzlich gesunkenes Selbstwertgefühl kann uns wecken und motivieren. Es birgt aber das Risiko, dass wir uns sabotieren. Ein tiefer Selbstwert braucht Trost – da sind wir schnell wieder bei Schoggi, Sofa und süffigem Wein.

Übergewicht ist ungesund, das ist unbestritten. Übergewicht ist aber auch stark stigmatisiert. Das Übergewicht definiert uns plötzlich, soll etwas über unseren Charakter aussagen. Und zwar soll es eine Schwäche sein. Dabei gibt es sicher ein paar Menschen, die Sie bewundern, die übergewichtig sind. Bei diesen Menschen erscheint das Übergewicht also als eine von zwanzig verschiedenen Facetten – eine! Für Ihre Partnerin scheint es so zu sein, sie sieht mehr in Ihnen als nur das Übergewicht.

Ich würde Ihnen auch einen Realitätscheck empfehlen. Gehen Sie mal ins Hallenbad oder in die Sauna – zu einer Zeit, zu der Ihre Altersgruppe anzutreffen ist. Und schauen Sie sich die Körper an. Die Vielfalt wird gross sein. Diese natürlichen Körper erzählen alle Lebensgeschichten, mit Hochs und Tiefs, viel Erlebtem und eben viel Menschlichem. Und diese Körper sehen sehr anders aus als die, die Sie auf Ihrem iPad sehen.

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Alles, was man spät abends noch isst, geht direkt auf die Hüften – so der Mythos. Quatsch mit Sosse! Ärztin Claudia Twerenbold klärt auf.
Quelle: Beobachter Bewegtbild

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