Veröffentlicht am 30. Mai 2025 - 06:00 Uhr
Die Wolke aus Sprühnebel über dem Zürcher Turbinenplatz wurde nach zwei Probejahren wieder abmontiert. Der messbare Effekt blieb klein, schrieb die Stadt.
Die Zeiten sind ja aktuell nicht so gut. Darum sollten wir uns unbedingt ab und zu etwas gönnen. Ein Erlebnis zum Beispiel. Zum Glück mangelt es dazu nicht an Gelegenheiten.
Hier ist eine wahllos zusammengegoogelte Auflistung von Dingen, die im Internet oder auf Werbetafeln als «echte» oder «authentische» oder «unvergessliche» Erlebnisse angepriesen werden: in ETFs investieren. Auto waschen. Auto mieten. Haare schneiden lassen. Zähne aufhellen. Wellness. Neue Gartenmöbel besorgen. Schlafen. Einkaufen. Shopping wird beispielsweise zum Erlebnis, wenn Kunden im Einkaufszentrum auf Kunstwerke, Live-Events, Cafés, Loungebereiche, Videodisplays oder Virtual-Reality-Technologie treffen.
Die «Happeningisierung» der Gegenwart hat also ein fortgeschrittenes Stadium erreicht. Und leider auch die Politik. Dort ist die Vermischung von Happenings und konkreten Handlungen nicht so gut aufgehoben, wie aktuelle Beispiele zeigen.
Hunderttausende fliegen in die Schweiz, um hier Nachhaltigkeit zu erleben, indem sie PET-Flaschen durch Löcher werfen?
An einer Medienveranstaltung in Basel drängen sich im Frühjahr 2025 viele Journalisten in einen Saal. Es geht um Nachhaltigkeit und die Frage, wie zwei aktuelle Mega-Events klimaschonende Massnahmen umsetzen. Antwort: mit Erlebnissen!
Bei der Fussball-EM soll es Torwände geben, durch die man seinen Abfall in einem Geschicklichkeitsspiel loswerden und PET sowie Aluminium sachgerecht trennen kann. Ausserdem werden Gratis-Luftfächer verteilt, es gibt Sonnencremespender, und im Herzen der Stadt steht eine Play-and-chill-Zone als Ort des Rückzugs vor der Sommerhitze parat. Natürlich fehlen auch sogenannte Grünelemente in grossen Pflanzkübeln nicht.
Die Gäste sollen sich wohlfühlen – und mithelfen. Übertitel: «Nachhaltigkeit als Erlebnis».
Das ist bestimmt alles super, nichts gegen Recycling, um Gottes willen! Aber ein bisschen stutzig wird man schon. Da fliegen Hunderttausende um den Globus in die Schweiz, um dann in der Innenstadt von Basel Nachhaltigkeit zu erleben, indem sie, äh, PET-Flaschen durch Löcher werfen?
Solche Stadtbild gewordenen Floskeln von «Nachhaltigkeit» lassen sich in sämtlichen Schweizer Städten beobachten.
Leider ist dieser Widerspruch kein Einzelfall. Vielmehr lassen sich solche Stadtbild gewordenen Floskeln von «Nachhaltigkeit» oder «Klimaschutz als Erlebnis» in sämtlichen Schweizer Städten beobachten. Augen auf! Sobald es Sommer wird, ist es wieder so weit.
Dann werden von Bern bis Zürich über Genf und St. Gallen Topfpflanzen, Sonnensegel, Sprühnebelduschen in die Innenstädte verfrachtet. In Basel wurde in den Sommermonaten des vergangenen Jahrs ein «grünes Wohnzimmer» über die Betonplätze der Quartiere geschoben. Das ist eine einzelne begrünte Wand auf zwei mal vier Metern plus eine Sitzgelegenheit. Wer dort einmal im Schatten sass, weiss: Wirklich kühl ist das nicht.
Aber da ist ein Vibe. Eine sogenannt klimaschonende Massnahme – als Happening. Manche Hitzeinseln in Schweizer Städten sehen im Sommer aus wie das Wohnzimmer einer Hipster-WG. Voll hübsch. Aber man könnte mal wieder lüften.
Doch genau das – echte, frische Luft reinzulassen – passiert eher selten. Da werden brandneue, komplett versiegelte Einkaufsstrassen gebaut, wie die Freie Strasse in Basel. Die Asphaltfläche der Europaallee in Zürich wird bei 30 Grad Lufttemperatur – ein normaler Sommertag – bis zu 52 Grad heiss.
Echte Massnahmen wie grossflächige Entsiegelung, Schwammstadt, Auflagen für Grünflächen an Gebäuden und auf Dächern? Fehlanzeige.
Nicht alles wird gut, nur weil es uns gut geht.
Wer etwas erleben will, ist auf einem Festival gut aufgehoben. Wer etwas erleben will, kann shoppen gehen. Wer etwas erleben will, kann auf einen Marathon hin trainieren und sich danach drei Wochen kaum bewegen vor lauter Muskelkater. Das sind echte, unvergessliche, authentische Erlebnisse.
Beim Klimaschutz ist das Erlebnis als atmosphärische Massnahme eher schlecht aufgehoben. Denn die trockene Wahrheit lautet: Nicht alles wird gut, nur weil es uns gut geht.
Hinweis: In einer früheren Version dieses Artikels wurde ein anderes Symbolbild für klimaschonende Massnahmen verwendet. Das Bild zeigte eine private Initiative und keine staatliche Massnahme und wurde deshalb von der Redaktion nachträglich ausgewechselt.
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