Wer hier ein und aus geht, hat ein Gewaltproblem. Er hat Partnerin oder Kinder geschlagen oder war kurz davor. Darum befindet sich der Eingang zum Mannebüro auf der sichtgeschützten Rückseite des Hauses mitten im Zürcher Kreis 4. Versteckt hinter Beton – und einer blickdichten Trennwand aus Scham. 

Die Frauenhäuser sind stark ausgelastet. Bis Ende April 2024 wurden in der Schweiz sechs Femizide verübt, im Jahr 2023 waren es 20. Zum Opferschutz auf der einen gehört Prävention auf der anderen Seite. Was tun gegen Gewalt von Männern an Frauen und Angehörigen?

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«Wie war der Tag?»

Einer, der sich mit Täterarbeit auskennt, ist Marin Stojak, 33, Sozialarbeiter. Er empfängt die Klienten und Gäste im Mannebüro, kocht Kaffee, setzt sich dann in einen der beiden schwarzen Kunstledersessel in der Mitte des Zimmers. «Wie war der Tag?», beginnt Stojak. 

Und erklärt Schritt für Schritt, wie die Beratung abläuft. 

Gewaltberatung von 1 bis 10

Rasch wird klar: In der Beratung des Mannebüros geht es um Zeitabläufe, immer und immer wieder. Um Tagesabläufe. Um Dynamik einer Eskalation. Was war am Anfang, was ist dann passiert – und wann kam es zur Tat? Es geht hier darum, zu verstehen, warum Gewalt entsteht. 

«Wie sauer bist du von 1 bis 10?»

Frage an Klienten im Mannebüro

«Der Tag, an dem ein Klient seiner Freundin ein Glas ins Gesicht wirft, beginnt mit einem Schreckmoment an der Ampel», sagt Stojak. Der Berater unterliegt der Schweigepflicht, über Namen oder Details zu den Männern gibt er keine Auskunft. Doch er spricht über Muster. «Jemand hupt ihn an, das regt ihn auf.» Stojak fragt den Mann: «Wie sauer bist du von 1 bis 10?» Der Mann: «Ich bin angenervt. 4».

Weiter im Alltag. Im Büro passiert nichts Auffälliges, die Nerven beruhigen sich. Dann ärgert ihn kurz vor Mittag ein Kollege mit einem Spruch. «Bin bei 5.» Mittagessen, Bericht tippen, kurz vor Feierabend will der Chef irgendwas. «Da bin ich sauer, 8.» Stau im Feierabendverkehr. Zu Hause ein Streit wegen der Finanzen, das Geld ist knapp. Dann fliegt das Glas. 

«Viele sind verzweifelt»

Soll man Ausraster so einordnen? Stojak erklärt, dass es in der systemischen Beratung nicht darum gehe, Gewalt zu verharmlosen. «Wir wollen eine Tat nicht entschuldigen, indem wir sie als Resultat eines miesen Tages dekonstruieren.» Stojak arbeitet daran, den Tätern ihre eigene «emotionale Landkarte» bewusst zu machen. «Wo wäre der Moment gewesen, um abzubiegen?»

«Viele Männer, die hier sitzen, sind verzweifelt», sagt Stojak. «Die stehen nicht morgens auf und entscheiden: Heute schlage ich meine Frau.» Sie fragten sich hinterher: «Wie zur Hölle ist mir das passiert?» 

Über 1000 Gewaltberatungen pro Jahr 

Das Mannebüro in Zürich, gegründet 1989, ist die erste Täterberatungsstelle der Schweiz. Männer, die hier beraten werden, kommen entweder freiwillig, oder sie werden im Rahmen des kantonalen Gewaltschutzgesetzes (GSG) von der Polizei vermittelt. Dazu eine Zahl: Im Jahr 2023 gab es allein im Kanton Zürich 1097 Gewaltschutzverfügungen gegen Männer. 

Das sind – allein im Kanton Zürich – drei Anordnungen wegen häuslicher Gewalt oder Stalking pro Tag. Nach vielen Interventionen im Rahmen des GSG durch die Polizei gehen die Kontaktdaten ans Mannebüro. 1626 Beratungen hat das Mannebüro 2023 durchgeführt, darunter 725 mit Männern, die sich selbst gemeldet haben. 

Misstrauen abbauen

Um auch Männer mit Migrationshintergrund besser zu erreichen, gibt es seit einem Jahr «interkulturelle Gewaltberater». Marin Stojak ist einer von ihnen, er spricht Bosnisch, Serbisch, Kroatisch. Die interkulturelle Beratung diene dazu, eine gemeinsame Sprache zu finden. Das helfe, Misstrauen abzubauen. 

Spielen Rollenbilder von Mann und Frau oder andere kulturelle Prägungen im interkulturellen Angebot eine vertiefte Rolle? Zum Beispiel das Bild von Familie? Im Mannebüro stehe dieser Aspekt, also zum Beispiel das Frauenbild der Männer, nicht im Vordergrund der Auseinandersetzung, sagt Stojak. «Im Fokus unserer Arbeit stehen Impulskontrolle, Selbsteinschätzung, die Fähigkeit, die eigenen Emotionen zu regulieren.» Was allerdings schon zur Sprache komme, sei der Blick auf das Selbstbild als Mann und, damit verbunden, die Erwartung an Männlichkeit.

Eine hohe Erfolgsquote

Eine Beratung dauert in der Regel zwölf Sitzungen. Beim letzten Treffen hängen alle Schemas, die Gewaltbiografie, Stresskurven und der sogenannte Notfallkoffer – eine individuelle Anleitung, wie sich Gewalttätige selbst beruhigen können – in diesem Zimmer nebeneinander an der Wand. «Das fährt den Klienten ein», sagt Stojak. Die Auswertung eines Lernprogramms zeigt: Vier von fünf Männern hören nach einer Schulung auf zu prügeln.