«Der Zustand in den Notfallzentren ist besorgniserregend, und das nicht nur an den Feiertagen. Wir laufen ständig am Limit», sagt Vincent Ribordy, der höchste Notfallmediziner der Schweiz. Der Druck sei immens und konstant hoch.

Hinzu kommt, dass an Weihnachten und Neujahr viele Hausarztpraxen und Praxen von Spezialisten geschlossen sind. Deshalb suchen dann noch mehr Patientinnen und Patienten den Notfall auf als sonst schon. Zudem verschärft sich die Situation in der kalten Jahreszeit, weil dann die Infektionszahlen ansteigen. Aktuell zirkuliert Covid-19 sehr stark, und auch die Grippezahlen nehmen zu. Beides führt zu mehr Patienten auf den Notfallstationen. In vielen Spitälern gilt wieder Maskentragepflicht bei Patientenkontakten und in Warteräumen.

Partnerinhalte
 
 
 
 

Im Jahr 2022 behandelte das Zürcher Universitätsspital über 43’000 Notfallpatienten, Tendenz steigend. Ähnlich klingt es aus dem Berner Inselspital, das rund 60’000 Konsultationen im Jahr hat. «Wir sind sehr stark ausgelastet und laufen wiederholt an und über der Kapazitätsgrenze», so Mediensprecher Didier Plaschy.

Ein Phänomen, mit dem die Spitäler schweizweit konfrontiert sind. Viele berichten von einer Verdoppelung der Fallzahlen innert der letzten zehn Jahre. Das Hauptproblem ist, dass auch viele jüngere Menschen mit Beschwerden kommen, die nicht in einer Notfallstation oder einem Spital behandelt werden müssten. «Bagatellunfälle überfluten die Notfallstationen», schrieb auch der Beobachter.

Warnung vor Zusammenbruch

Etliche Spitäler warnten vor dem «Notfall im Notfall» und beschworen die Patienten, wirklich nur in dringenden medizinischen Notfällen das Spital aufzusuchen (siehe Box «Wann in den Notfall?»).

Vincent Ribordy schlug schon vor einem Jahr Alarm. Der höchste Notfallmediziner der Schweiz sprach von einem Zusammenbruch des Systems. «Wir stehen vor einem Kollaps», warnte der Co-Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Notfallmedizin. Das sei «nicht alarmistisch gewesen», sagt Ribordy. Heute, ein Jahr später, habe sich die Lage leider nicht verbessert, «im Gegenteil». Oft gebe es für diejenigen Notfallpatienten, die im Spital bleiben müssen, keine freien Betten, da die Stationen schon voll ausgelastet seien. «Das führt zu langen Wartezeiten und manchmal auch zu einem Rückstau, wenn Ambulanzen wegen Vollbelegung abgewiesen werden müssen», so Ribordy.

Mangelnde Grundversorgung

Die Gründe für das Versagen des Gesundheitssystems im Notfall sieht Ribordy vor allem in der mangelnden Grundversorgung. Es gebe zu viele Spezialisten, Hausärzte und Hausärztinnen fehlten dagegen. Zudem wächst die Bevölkerung, und die Patienten werden immer älter, was oft mit komplexeren Krankheiten verbunden ist. «Gut 20 Prozent der Notfallpatienten sind älter als 70 Jahre», sagt er.

Auch fehlen immer noch Tausende von Pflegenden, zahlreiche Jobs sind unbesetzt. Ähnlich bei Ärzten und Ärztinnen. Auch Krankheitsausfälle des Personals sind ein Problem. «Wir haben ständig 5 bis 10 Prozent Ausfälle in der Pflege und bei den Ärzten», so Notfallmediziner Ribordy. Diese könnten nicht angemessen ersetzt werden, was zur grossen Belastung beim Personal führe. «Die Kapazität in den Notfällen ist am Limit», sagt Ribordy. Er warnt vor Zuständen wie in Grossbritannien oder Frankreich, wo die Notfallzentren vor dem Kollaps stünden.

Tröstlich: «Wir sind gerüstet für die Feiertage. Aber es ist mit langen Wartezeiten zu rechnen bei Beschwerden, die sich als weniger ernsthaft erweisen», so Ribordy. «Dringende Notfälle werden aber immer behandelt.»

Mit «langen bis sehr langen Wartezeiten» rechnet auch das Berner Inselspital. Und Ksenija Slankamenac, Co-Direktorin a. i. des Instituts für Notfallmedizin des Zürcher Unispitals, sagt: «Wir sind auch während der Festtage jederzeit für unsere Patienten da, wenn sie uns brauchen.»

Wann in den Notfall?

Bei nicht lebensbedrohlichen Verletzungen und Erkrankungen: ruhig bleiben, Ärztefon oder die Hotline der Krankenkasse anrufen, Apotheke, Hausarzt oder Permanence-Praxis aufsuchen

Im Notfall: Ruhe bewahren. Ein Notfall liegt zum Beispiel vor bei Verdacht auf Herzinfarkt, Schlaganfall, Rückenverletzungen, schweren Verbrennungen, schweren Magen-Darm-Erkrankungen, unstillbarem Erbrechen, allergischen Schocks (durch Lebensmittel, Medikamente oder Insektenstiche), Stürzen aus grosser Höhe, ausgeprägter Atemnot, offenen und verschobenen Brüchen, Elektrounfällen.