Spätestens seit den Enthüllungen von Edward Snowden wissen die meisten, was ein Whistleblower ist: eine Person, die auf ein Fehlverhalten, Missstände, illegale Aktivitäten oder Gefahren in einer Organisation aufmerksam macht. Solche Hinweisgeber gehen oft ein grosses Risiko ein, wenn sie heikle Interna öffentlich machen.

Sie können ihren Job verlieren und müssen sogar mit einer strafrechtlichen Verfolgung rechnen, weil sie gegen das Berufsgeheimnis verstossen haben. Doch Unternehmen haben in den letzten Jahren die Vorteile von Whistleblowern erkannt. Es ermöglicht ihnen, Verstösse schnell zu erkennen und zu ahnden und möglicherweise finanzielle Verluste durch Betrug zu vermeiden. Immer mehr Firmen richten darum Whistleblowing-Meldestellen ein.

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«Die zunehmende Verbreitung von Meldestellen in der Verwaltung entspricht dem Trend der Zeit.»

Christian Hauser, Dozent an der Fachhochschule Graubünden

Im Auftrag der Eidgenössischen Finanzkontrolle hat die Fachhochschule Graubünden nun erstmals untersucht, wie verbreitet Whistleblowing-Meldestellen in der öffentlichen Verwaltung sind. Die Studie zeigt: 56 Prozent haben inzwischen eine Meldestelle – doppelt so viele wie noch vor ein paar Jahren. Analysiert wurden die Verwaltungen des Bundes, aller Kantone und jene der sieben grössten Schweizer Städte.

Studienleiter und Dozent Christian Hauser sagt: «Die zunehmende Verbreitung von Meldestellen in der Verwaltung entspricht dem Trend der Zeit. Unternehmen und Organisationen sind daran interessiert, Missstände zu erkennen und zu bekämpfen.» Als Hauptgrund für die Meldestellen nennen die Befragten denn auch die Überzeugung von deren Nutzen und Effektivität. «Viele Körperschaften wollen mit einer Meldestelle eine offene Kultur etablieren, die Funktionsweise der Verwaltung verbessern oder ihre Verpflichtung gegenüber den Mitarbeitenden wahrnehmen», so Hauser.

Meldestellen als Instrument zur Aufdeckung von Straftaten

Tatsächlich werden die Meldestellen auch rege genutzt. 2022 sind bei den untersuchten Organisationen insgesamt 621 Meldungen eingegangen, ein Drittel mehr als 2020. Davon wurden 60 Prozent als relevant eingestuft. Die meisten Meldungen betrafen das Arbeitsrecht. 45 Fälle tangierten das Strafrecht, weil es um Betrug oder Korruption ging. Bei 26 Meldungen handelte es sich um beschaffungsrechtliche Fälle. Für Hauser zeigen diese Zahlen: «Meldestellen sind ein gutes Instrument zur Aufdeckung von relevanten Fällen.»

Bei Whistleblowing ist wichtig, dass die Hinweisgeber genügend Schutz erhalten, wenn sie eine Meldung einreichen. «Ein Mittel, diesen Schutz zu gewährleisten, ist Anonymität», sagt Hauser. In den untersuchten öffentlichen Verwaltungen können bei zwei von drei Meldestellen anonym Hinweise getätigt werden. Bei gut einem Viertel der Meldestellen müssen die Hinweisgeber ihren Namen angeben, um eine Meldung abgeben zu können. Dieser werde jedoch von den Verantwortlichen der Meldestelle vertraulich behandelt und nicht weitergegeben.

Hauser ordnet ein: «In der Schweiz ist Whistleblowing ein relativ junges Phänomen. Die Schweizer Meldestellen sind deshalb sehr daran interessiert, Wissen auszutauschen und herauszufinden, welche Praktiken sich bewähren.» Die Privatwirtschaft ist bezüglich der Verbreitung einen Schritt weiter. Die jüngsten Zahlen von 2021 zeigten, dass bereits 73 Prozent der grossen Schweizer Unternehmen eine Meldestelle haben.

Keine schweizweite Gesetzgebung

Eine gesamtschweizerische Regelung zum Schutz von Whistleblowern gibt es bisher nicht. Der Bundesrat wollte mit dem Gesetz «Schutz bei Meldung von Unregelmässigkeiten am Arbeitsplatz» klare Regeln schaffen. Doch die Vorlage wurde 2020 vom Parlament abgelehnt. Auf kantonaler Ebene kennt bisher nur Genf ein Gesetz, das den Umgang mit Hinweisgebern schützt. Dieses betrifft sämtliche Mitarbeitende aller kantonalen Verwaltungen und Departemente, die Staatskanzlei, den Grossen Rat, alle Gemeindebehörden, die Universität Genf, die Fachhochschule Westschweiz und andere öffentliche Einrichtungen des Kantons.

Anders ist es in der EU. Ende 2019 beschloss sie eine Whistleblowing-Richtlinie. Diese verpflichtet Unternehmen, ein internes Meldesystem einzuführen, an das sich Mitarbeitende vertrauensvoll wenden können und das sie schützt, wenn sie über Gesetzesverstösse oder sonstige Missstände berichten.

www.sichermelden.ch – die Whistleblowing-Plattform des Beobachters

Unter www.sichermelden.ch können Sie dem Beobachter Missstände in wenigen Mausklicks anonym – oder unter Angabe Ihrer Personalien – melden. Auch Dokumente, die Ihren Vorwurf stützen, können Sie auf einfache Art und Weise hochladen. Diese Meldungen gehen an spezialisierte Journalistinnen und Journalisten des Beobachters. Diese suchen weitere Quellen, konfrontieren Kritisierte mit den Vorwürfen und machen die Missstände öffentlich, falls sie sich erhärten.