«Sobald der Friedhof rehfrei ist, soll ein neuer Zaun gebaut werden.»

bzbasel.ch, 7. Februar 2023

Zu Beginn der Covid-Pandemie ging in den sozialen Netzwerken ein Bild viral. Es zeigte Delfine, die quietschfidel aus Venedigs Canal Grande flipperten. Dazu der Text: Nature is healing – die Natur verheilt. Kernaussage der Fotomontage: Wenn der Mensch im Lockdown sitzt, kehrt das echte Leben in die Kapillaren unseres kaputtgeteerten Planeten zurück.

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Das war natürlich ein Witz. Ein Meme, wie wir im Internet sagen. Nature is healing. Wirklich Utopie?

Am Stadtrand von Basel, so war der Lokalpresse zu entnehmen, verbuchte die Natur auch im echten Leben erstaunliche Landgewinne. Auf hübschen Fotos war die sprichwörtliche Anmut unter den Tiergattungen zu sehen – das Reh. Oder, mit einem beliebt gewordenen Wortspiel: die Rehbellion.

Denn rasch wurde klar, dass es in der vorliegenden Causa nicht um Anmut und Grazie ging, sondern im Gegenteil um Gewalt und Krawall. Tosendes Brausen im Blätterwald! Erst war von Knabbern die Rede, doch schon bald wurde in Reportagen auf das gröbere Fressen eskaliert, sodann auf Zerstören und schliesslich auf Grabschändung.

Wahnsinn! 60 Rehe

Was war geschehen? Die Killer-Bambis ausser Rand und Band hatten den Friedhof am Hörnli – immerhin den grössten der Schweiz – als ruhiges Habitat für sich entdeckt und frassen zum Schrecken der Hinterbliebenen leckere Begonien und anderen liebevoll gepflanzten Grabschmuck. Nature war also healing, aber wie, denn die Rehe wurden immer mehr! Auf dem Friedhof hausten zuletzt 60 Tiere. Wildwuchs! Wucher! Wahnsinn!

Schon wollten Kurzentschlossene zur Flinte greifen, doch eine Petition verhinderte den Abschuss. Runder Tisch, grosse Debatten. Die Stadtgärtnerei tat das Menschenmögliche, der Lage Herr zu werden. Sie operierte mit Gitterdraht, Ultraschall, Blutmehl (ein stinkendes Düngepräparat aus Schlachtabfällen) – half alles nichts. Wie das Meme ging auch die Reh-Posse viral, zuletzt war wegen Dichtestress von Inzucht und Krankheiten unter den Tieren zu lesen.

Mit grossem Aufwand wurde schliesslich ein Teil der Tiere zusammengetrieben, lebend in Boxen verstaut und in den französischen Jura deportiert. Nature ist wieder unter Kontrolle. Echten Wildwuchs gibts weiterhin nur im Internet.