Beobachter: Unser Bericht Tierhaltung Den Himmel sehen die «Optigal»-Hühner der Migros nie zu den Haltungsbedingungen von Hühnern hat heftige Reaktionen ausgelöst. Erstaunt Sie das?
Meret Schneider:
Nein. Es ist ja auch ein Skandal. Man kauft Pouletfleisch aus «besonders tierfreundlicher Haltung» und findet heraus, dass diese Hühner nie den Himmel gesehen haben. Da fragt sich doch jeder: Wie sieht es dann erst in konventionellen Ställen aus?
Martin Rufer: Das Label BTS – «besonders tierfreundliche Haltung» – verweist darauf, dass die Haltungsbedingungen über dem Standard liegen. Im internationalen Vergleich liegt ein BTS-Stall bezüglich Tierwohl absolut an der Spitze. Wer nie in einem Stall gewesen ist, kann das vielleicht nicht ganz nachvollziehen. Das begreife ich. Um das zu ändern, haben wir das Projekt Stallvisite auf die Beine gestellt: Bauern öffnen für jedermann die Türen ihrer Ställe.

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Sie, Herr Rufer, sagen also, nirgends auf der Welt seien die Haltungsbedingungen so fortschrittlich wie in der Schweiz. Anerkennen Sie das, Frau Schneider?
Schneider:
Das tue ich. Aber die Schweiz ist ja nicht bekannt dafür, sich am Worst-Case-Szenario zu orientieren. Es gibt zum Beispiel bei den Arbeitsbedingungen auch Länder, die schlechter dran sind als wir. Trotzdem kommt da in einer Diskussion niemand auf die Idee, zu sagen: «Aber wir haben immerhin keine Kinderarbeit. Schauen Sie doch mal nach Thailand!». Es geht nicht um die Frage «Wo ist es schlimmer?», sondern um die Frage «Ist es in Ordnung?».

Und wie lautet Ihre Antwort?
Schneider:
Bei den Rindern sind wir weiter als bei den Schweinen und den Hühnern. Bei der Pouletmast Tierhaltung Wie billig darf das Poulet sein? geht der Trend zu immer mehr Tieren pro Fläche. Jetzt sind es 15 pro Quadratmeter, 18'000 pro Stall. Natürlich sind die Herden im Ausland noch grösser. Aber dem Huhn ist es egal, ob es mit 18'000 oder mit 40'000 im Stall ist, es merkt da überhaupt keinen Unterschied.
Rufer: Dieses Argument müssten Sie dann aber auch bei einer Stückzahl von 2000 bringen. Das ist die maximale Herdengrösse, die Sie in Ihrer Tierhaltungsinitiative noch zulassen wollen. Aber ich bin einverstanden mit Ihnen, dass wir uns nicht mit den Schlimmsten messen wollen. Wir haben einen höheren Standard, sind stolz darauf und bereit, die Haltungsbedingungen noch tierfreundlicher zu gestalten. Die Konsumenten können das tagtäglich mit ihrem Einkauf aktiv steuern.
Schneider: Da haben Sie noch viel zu tun. Heute darf man zehn Schweine auf der Fläche eines Parkplatzes halten, ohne Einstreu. Das ist alles andere als besonders tierfreundlich. Die Hälfte der Mastschweine in der Schweiz verbringt ihr ganzes Leben in einem Stall. Schweine haben einen grossen Spieltrieb, ähnlich wie Hunde. Stellen Sie sich vor, was los wäre, wenn die Hälfte der Hunde in der Schweiz zeit ihres Lebens eingesperrt würde, ohne je Tageslicht zu sehen.
Rufer: Die Bedingungen werden stetig verbessert. Seit Oktober gelten für Schweine schärfere Anforderungen bei der Fläche. 60 Prozent der Schweine werden bereits heute in einem Tierwohlprogramm gehalten. Das bedeutet mehr Platz und mehr Auslauf. Im Rindviehbereich sind es über 80 Prozent. Diese Tierwohlprogramme sind eine sehr grosse Errungenschaft.
Schneider: Das Ganze ist aber nicht mehr als ein schlechter Witz, wenn das Label in die Irre führt. In der Werbung wird mit saftigen grünen Wiesen geworben, obwohl die Tiere ein Leben lang nie eine Wiese sehen.
Rufer: Wir nehmen die Diskrepanz zwischen den Bildern und der Realität sehr ernst. Neben dem Projekt Stallvisite haben wir auch ein Projekt zum Thema «faktenbasierte Kommunikation» gestartet. Wir brauchen uns nicht zu verstecken und wollen nicht eine Bilderwelt vermitteln, die mit der Realität nichts zu tun hat. Die Bauern sind sehr gern bereit, mehr in das Tierwohl zu investieren. Zentral ist, dass die Konsumenten diese Produkte am Markt auch nachfragen.
Schneider: Das tun sie doch. Biolabels Biologisch vs. konventionell Kann Bio die Welt ernähren? verkaufen sich immer besser.
Rufer: Aber nicht beim Fleisch. Der Labelanteil beträgt rund 30 Prozent. Wir produzieren wesentlich mehr Label-Fleisch, als wir verkaufen können.

«Fleisch, für das Tiere gequält werden, soll gar nicht in den Verkauf kommen.»

Meret Schneider, Gemeinderätin in Uster und im Vorstand der Jungen Grünen Zürich

Meret Schneider, 25, ist im Massentierhaltungsinitiative-Komitee, Gemeinderätin in Uster und im Vorstand der Jungen Grünen Zürich.

Quelle: PASCAL MORA

Wie bringt man denn die Konsumenten dazu, zum Wohle der Tiere tiefer ins Portemonnaie zu greifen?
Schneider: Wir müssen generell die Standards erhöhen. Fleisch aus tierquälerischer Produktion darf schon gar nicht in den Verkauf kommen.

Das Fleisch würde dann viel teurer. Sollen es sich nur noch Reiche leisten können, nicht aber Familien mit tiefen Einkommen?
Schneider: Wenn Sie diesen Familien helfen wollen, müssen Sie Geld umverteilen, nicht Fleisch. Produkte sollen so teuer sein, wie sie in der Produktion kosten. Die höheren Produktionskosten könnten durch Direktzahlungen ausgeglichen werden. Vermutlich würde der Fleischkonsum etwas zurückgehen. Aber das ist aus Gründen des Klimaschutzes auch wünschenswert. Die Fleischproduktion trägt wesentlich zur Klimaerwärmung Klimawandel Warum handeln wir nicht? bei.
Rufer: Wir Bauern sind ja von der Klimaveränderung am meisten betroffen. Die Umwelt ist deshalb für uns auch ein Thema. Die grössten klimarelevanten Emissionen aus der Tierhaltung kommen vor allem vom Rindvieh. Als Wiederkäuer produziert es Methan bei der Verdauung. Aber der Rinderbestand geht zurück. Wir haben heute den tiefsten Kuhbestand seit 1896. 70 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche in der Schweiz sind Grünland. Sollen wir diese Flächen verwildern lassen, statt sie als Weide zu benutzen?
Schneider: Nein. Wo Grasland ist, sollen auch Wiederkäuer sein. Das ist für mich okay. Allerdings keine hochgezüchteten Milchrinder, die enorm viel Kraftfutter brauchen. Und noch zu den Zahlen: Wir haben dreimal so viele Schweine und dreimal so viele Hühner Subventionen Der Ostereier-Wahnsinn wie 1950. Die fressen kein Gras, sondern Kraftfutter, das wir zu einem hohen Anteil importieren müssen. Etwa aus Brasilien, wo dafür der Regenwald abgeholzt wird.
Rufer: Wir produzieren 86 Prozent des nötigen Nutztierfutters selber. Fast das gesamte importierte Soja Fleischlos glücklich 9 Alternativen zu Fleisch stammt aus verantwortungsvoller Produktion, bezüglich Ökologie wie auch bezüglich sozialer Standards, und ist gentechfrei.
Schneider: Beim importierten Geflügel sieht es ganz anders aus. Mehr als 40'000 Tonnen Geflügelfleisch kommen jedes Jahr aus dem Ausland. Auch hier ist Brasilien der Hauptlieferant. Es gibt da aber keinerlei Vorschriften bei der Haltung.
Rufer: Das stört uns genauso. Die Preisunterschiede zum heimischen Geflügel sind enorm. Der grösste Teil geht in die Gastronomie. Restaurants und Kantinenbetreiber sagen: Wir nehmen einfach das günstigere. Das scheint niemanden zu stören. Im Detailhandel sind viele Konsumenten sensibel für das Tierwohl. Wenn sie aber abends auswärts essen gehen, fragen die wenigsten, ob das Fleisch tiergerecht produziert wurde.
Schneider: Das würde sich sofort ändern, wenn Gastrobetriebe die Herkunft des Fleisches deklarieren müssten. Heute haben noch zu viele Gäste Angst, sich lächerlich zu machen, wenn sie danach fragen. Ich habe grosses Verständnis dafür, dass sich die Bauern an den krassen Preisdifferenzen beim Import stören. Wir messen da mit zwei völlig verschiedenen Ellen. Unsere Initiative verlangt, dass nur noch Fleisch importiert werden darf, das nach unseren Standards produziert wurde.
Rufer: Da muss man auch das Kleingedruckte bei Ihrer Tierhaltungsinitiative lesen. Es sollen nämlich Völkerrecht und die WTO-Regeln berücksichtigt werden. Dabei sind es genau diese Bestimmungen, die heute den Import von Eiern aus Käfighaltung, Stopfleber und Hormonfleisch ermöglichen.

Kürzlich gerieten zwei Waadtländer Schlachthöfe in die Schlagzeilen. Die Westschweizer Tierschutzorganisation Pour l’Égalité Animale hatte Aufnahmen veröffentlicht. Sie zeigen Tiere in Panik, defekte Betäubungsgeräte und Angestellte, die Tiere quälen.
Rufer:
Eine absolute Katastrophe. Das sind krasse Verstösse gegen Tierwohlbestimmungen und damit kriminell. Ich bin froh, dass das geahndet wird.

Braucht es Videoüberwachung in den Schlachthöfen?
Rufer:
Ich kann nur für die Landwirtschaft reden. Dort sind wir daran, das Kontrollsystem zu schärfen und problematische Betriebe näher zu überwachen. Wer gegen das Tierschutzgesetz verstösst, muss sanktioniert werden. Da gibt es nichts zu diskutieren.
Schneider: Ich nehme manchmal Fleischesser mit zum Schlachthof in Zürich. Ganz früh am Morgen, wenn die Tiere angeliefert werden, Lastwagen um Lastwagen. Wer gehört hat, wie die Schweine da quieken und die Rinder brüllen, kann nicht mehr mit gutem Gewissen Fleisch essen Vegan leben Der Stachel im Fleisch .

«Die Konsumenten müssten die Label-Produkte auch kaufen.»

Martin Rufer vom Schweizer Bauernverband

Martin Rufer, 41, leitet den Bereich Viehwirtschaft beim Schweizer Bauernverband und ist im Verwaltungsrat von Pro Viande.

Quelle: PASCAL MORA

Darf man denn überhaupt Tiere töten, um sie zu essen?
Schneider:
Ich persönlich finde Nein. Aber ich würde auch keine Initiative starten, die den Fleischkonsum für alle verbietet.
Rufer: Fleisch ist ein Lebensmittel und steht bei uns auf dem Speiseplan. Es geht darum, dass die Haltung tiergerecht erfolgt, die Transportwege kurz sind Transport um die halbe Welt Der Irrsinn mit den Cashewnüssen und der Schlachtprozess beim Tier möglichst wenig Stress auslöst. Die Branche ist bestrebt, das Beste zu machen.

Vegetarier weisen oft auf den angeblichen Widerspruch hin, dass nur die wenigsten Fleischesser in der Lage wären, selber ein Tier zu töten. Ist das Argument stichhaltig?
Schneider: Ja, klar. Ein Tier ist ein Lebewesen, es empfindet Freude und Schmerz genau wie wir. Eine Bratwurst hat eben nicht mehr viel mit dem herzigen Kälbchen zu tun.
Rufer: In modernen Gesellschaften produzieren die Menschen die Nahrungsmittel, die sie konsumieren, nicht mehr selber. Das ist eine jahrhundertelange Entwicklung. Dass einer am Montagmorgen mit seinem Huhn oder Schwein ins Schlachthaus fährt und dort metzget, ist heute nicht mehr vorstellbar. Aus der Arbeitsteilung ist eine gewisse Distanz entstanden.
Schneider: Das Thema ist interessant. Machen wir ein Gedankenexperiment: Kein Familienvater hätte ein Problem damit, mit seinem kleinen Kind in eine Bäckerei zu fahren und zu schauen, wie Brot produziert wird Brot «Frisch vom Beck» aus Slowenien . Aber wird er auch auf die Idee kommen, mit dem kleinen Töchterlein ins Schlachthaus zu fahren, um zu sehen, wie eigentlich ein Rind geschlachtet und zerlegt wird?

Er würde aber auch nicht unbedingt in den Zoo gehen, um zu zeigen, wie dort Raubtiere oder Würgeschlangen lebende Beutetiere verschlingen. Die meisten Menschen scheinen ganz einfach nicht besonders gern zuzusehen, wenn Lebewesen zu Tode gebracht werden. Unabhängig davon, ob der Metzger tötet oder ob es ein Raubtier tut.
Schneider:
Warum nicht? Das hätte einen erzieherischen Wert.

Frau Schneider, ein tolles Fleischmenü – was können Sie sich darunter vorstellen?
Schneider: Ich bin Veganerin . Früher ass ich zwar Fleisch. Aber schon da war mein Lieblingsessen Omelette mit Spinat.

Und Sie, Herr Rufer, ein grossartiges vegetarisches Menü?
Rufer:
Ich esse täglich Gemüse und Früchte. Beim Fleisch ist es mir sehr wichtig, dass man nicht nur das Filet isst, sondern auch die anderen Stücke, zum Beispiel Siedfleisch oder Ragout. Wenn wir zu einer Vollverwertung übergehen könnten, haben wir für die Ökologie auch sehr viel gemacht.

Die Initiative zur Tierhaltung

Tierschutz-, Tierrechts- und Umwelt- organisationen sammeln seit Mitte Juni Unterschriften für die Volksinitiative «Keine Massentierhaltung in der Schweiz (Massentierhaltungsinitiative)».

Die Initianten wollen, dass der Bund tierfreundliche Kriterien festlegt für Unterbringung und Pflege von Nutztieren, den Zugang ins Freie, die Schlachtung und die maximale Gruppengrösse je Stall.

Zudem soll der Bund Vorschriften über die Einfuhr von Tieren und tierischen Erzeugnissen zu Ernährungszwecken erlassen.

Bis zum 12. Dezember 2019 haben die Initianten Zeit, die notwendigen 100'000 Unterschriften zusammenzubringen.

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Dominique Strebel, Chefredaktor
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