Ein Mythos ist «in einem weiten Sinn als falsche Vorstellung zu verstehen», weiss die Online-Enzyklopädie Wikipedia. Einer solchen falschen Vorstellung unterliegt Avenir Suisse mit ihrer neuen Studie zum Wohnungsmarkt. In dem am Dienstag vorgestellten Papier entkräftet Autor Marco Salvi acht «Mythen» zum Wohnungsmarkt. Der Tenor des Papiers, in einem Satz zusammengefasst: Im Schweizer Wohnungsmarkt stehen die Dinge besser, als es den Anschein macht .

Dieses Fazit spiegelt sich nicht in der öffentlichen Wahrnehmung, vergeht doch kaum eine Woche, in der in den Medien nicht von steigenden Mieten und der schwierigen Wohnungssuche die Rede ist. Just letzte Woche beschloss die SP an ihrem Parteitag eine Resolution für eine sozial gerechte Wohnpolitik und stellte sich hinter eine geplante Volksinitiative des Mieterinnen- und Mieterverbands. Die zweitgrösste Schweizer Partei hat Wohnen im Wahljahr 2023 als Thema mit Sprengkraft erkannt.

Studie liefert keine Lösungen

Wie aufgeladen die öffentliche Debatte ist, weiss natürlich auch Avenir Suisse. Der Thinktank hofft, mit der Studie «die öffentliche Diskussion rund um die Wohnungsnot zu versachlichen», heisst es in der Einleitung.

Doch die Denkfabrik macht sich eine falsche Vorstellung, wenn sie diese Studie als Beitrag zur Problembehebung sieht. Das Papier ist zwar reich an interessanten Ausführungen, die Lösungen fallen aber eher bescheiden aus. So zeigt Marco Salvi auf, wie gerade in den Städten viele Alteingesessene von tiefen Mieten profitieren. Er schreibt gegen die Vorstellung an, dass hauptsächlich die Zuwanderung die Nachfrage nach Wohnungen befeuert. Und er rechnet vor, dass es im langjährigen Vergleich aktuell noch viele freie Wohnungen gibt. Wer heute von einer Wohnungsnot spreche, vergesse die 1980er-Jahre. Doch hilft dieses Wissen jemandem, der seit Wochen erfolglos eine Stadtwohnung sucht?

Peripherie attraktiver machen

Wie will Salvi die Probleme entwirren? So empfiehlt der Autor, den Weg zum Eigenheim wieder einfacher zu machen. Er warnt davor, das Pendeln durch Verkehrsberuhigungen zu erschweren und damit das Leben in der – günstigen – Peripherie zu erschweren. Und er rät, von Japan zu lernen: Japan mache vor, wie eine kluge Raumplanung funktioniere. Etwas weniger exotisch tönen Salvis andere Tipps: Regulierung abbauen und bei der Raumplanung den Markt stärker spielen lassen.

Die Studie lässt einen etwas ratlos zurück. Natürlich ist es nicht Aufgabe eines Thinktanks, politische Probleme zu lösen. Doch um eine politisch aufgeheizte Debatte zu entschärfen, ist es nicht hilfreich, ein Problem kleinzureden. Jetzt sind Lösungen gefragt. Und wenn sie nicht von Avenir Suisse zu hören sind, kommen andere Akteure aus einer anderen politischen Ecke mit ihren Rezepten zum Zuge.

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf handelszeitung.ch