«Eine Erholungsstätte gesunden, friedlichen Lebens» - so preist sich das Naturistencamp «Die neue Zeit» bei Thielle am Neuenburgersee in der Eigenwerbung an. Die Realität im 1937 gegründeten Camp aber ist alles andere als friedlich: Seit Jahren prägen Knatsch und Querelen den Alltag auf dem weitläufigen, als Stiftung geführten Areal im Naturschutzgebiet. Stiftungsräte und langjährige Naturisten sind verkracht, in der eigenen Campingzeitung ist von «Willkür» und «Diktatur» die Rede. Längst haben die Friedenssucher Anwälte eingeschaltet und kreuzen vor den Richtern die Klingen.

Derzeit sind mehrere Strafanzeigen und fünf Prozesse hängig: Das Mietamt in Ins BE muss sich mit der Kündigung befassen, die der Stiftungsrat gegen den 73-jährigen Naturisten Horst Neumann ausgesprochen hat; vor dem Kreisgericht Aarberg BE laufen ein Verfahren wegen übler Nachrede in Zusammenhang mit Pornographievorwürfen sowie zwei Prozesse wegen Nötigung und Rauswurfs eines langjährigen Mitglieds. Und beim Bundesverwaltungsgericht in Bern liegen Beschwerden einiger Naturisten, die dem Stiftungsrat vorwerfen, den Stiftungszweck mit Füssen zu treten.

Im letzteren Fall ist sogar die Eidgenössische Stiftungsaufsicht (ESA) tätig geworden. Sie hat «Die neue Zeit» unter die Lupe genommen und im Mai 2007 «schwerwiegende Mängel der Organisation» festgestellt. Dennoch spricht die ESA dem Stiftungsrat und dessen Präsidenten Fritz Zaugg sowie dem Campverwalter Walter Hirschi das Vertrauen aus, Rücktritte seien nicht nötig. Um die Wogen zu glätten, schickte die Aufsicht Sachwalter Andreas Müller los. Er ist nicht unumstritten, etwa wegen seiner überrissenen Honorarforderungen (siehe Artikel zum Thema «Gründung einer Stiftung: Der Unruhestifter»). In diesem Fall hat er «ausnahmsweise» einen Stundenansatz von 285 Franken verrechnet - die Situation entspannen konnte er aber nicht. Müller sagt, sein Bericht sei ausgewogen, die Parteien seien jedoch sehr zerstritten, und das Honorar sei so vereinbart.

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Kein Fleisch, kein Alkohol, kein Nikotin
Der Bericht weise «schwere Mängel» auf, sagt dagegen Hans Schnyder vom Verein «Renaissance Thielle», der die Absetzung von Zaugg und Hirschi fordert. Die Gruppe zählt bereits 540 Mitglieder und hat bei der ESA Dutzende von Beschwerden eingereicht. Diese will die Vorwürfe nicht kommentieren. Voraussichtlich Ende November wird das Bundesverwaltungsgericht über die Affäre befinden.


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400 Wohnwagen, 65 Zelte und 41 Zimmer: Das Nudistencamp in Thielle hat einen Jahresumsatz von rund einer Million Franken. Horst Neumann, seit gut 20 Jahren mit dabei, soll nun aus seiner Unterkunft geworfen werden.


Bereits gefallen ist ein Entscheid über den Verbleib des langjährigen Campmitglieds Horst Neumann auf dem Gelände: Nach dem Willen des Stiftungsrats soll der 73-jährige Deutsche sein Bündel definitiv packen. Er lebt seit gut 20 Jahren zum grössten Teil auf dem Campingplatz und schaut überall zum Rechten. Neumann ist ein eingefleischter Naturist, der sich strikt an die Devise der Lebensreformer hält: kein Fleisch, kein Alkohol, kein Nikotin - dafür viel nackte Haut, Sonne und Wind. Für seine vorbildliche Haltung wurde er vom Schweizerischen Naturisten-Verband (ONS) zum Ehrenmitglied gewählt. Doch der Senior hat in Thielle auch Feinde: Präsident Zaugg und Verwalter Hirschi wollen ihn loswerden.

Im März 2007 kündigte die Stiftung dem Dauergast das Zimmer, das er sich auf dem Areal eingerichtet hatte. Begründung: «andauernde Provokationen». So soll Neumann einmal an einem Sonntag etwas Schnittholz verbrannt haben, obwohl Verwalter Hirschi das nur «Montag bis Freitag, bei Nebellage und Westwind» toleriert. Ein Rekurs an die Stiftung brachte nichts - ausser dass sich Neumann auch noch ein Übernachtungsverbot einhandelte. Doch die Kündigung war nicht auf einem offiziellen Formular erfolgt und daher ungültig. Im August 2007 doppelte die Stiftung mit einer zweiten Kündigung nach, die Neumann vor dem Mietamt anfocht. Dessen Entscheid steht noch aus.

«Das ist wie in einer Diktatur»
Neumann bezeichnet die Kündigung als «reine Willkür». Seit längerem merke er, wie Verwalter Hirschi und Präsident Zaugg die alteingesessenen Naturisten benachteiligten: «Wir werden angeschnauzt und müssen befürchten, dass man uns den Platz wegnimmt. Das ist wie in einer Diktatur.» Den Grund für die Spannungen ortet Neumann in den unterschiedlichen Auffassungen über die Ausrichtung des Camps: So sei Hirschi alles andere als ein Naturist, er würde seine Kleider selten ablegen, und als passionierter Jäger sei er auch kein Vegetarier. Auch sei der Mann schon angetrunken auf dem Gelände gesehen worden. Kommt hinzu, dass er verdächtigt wird, strafbare Pornos zu konsumieren. «So einer ist in einem Naturistencamp am falschen Ort», sagen seine Gegner.

Die Sexvorwürfe sind Gegenstand eines Verfahrens vor dem Kreisgericht Aarberg. Dort hatte Hirschi, für den die Unschuldsvermutung gilt, auf Verleumdung geklagt, nachdem einige Naturisten sich über sein Sexualleben beschwert hatten. Aktenkundig ist, dass ein Paket mit Pornomaterial an Hirschis alte Adresse geschickt wurde und von dort ins Thieller Camp gelangte. Dieses Paket hat Hirschi offenbar mit massivem Druck wieder in seinen Besitz gebracht - es ist heute verschollen.

Ende August 2007 führte die Kantonspolizei im Camp eine Hausdurchsuchung durch und beschlagnahmte Unterlagen und Datenträger. Brisant: Während der Stiftungsrat unter Fritz Zaugg die Vorwürfe und die Schmuddelware als «harmlos» herunterspielt, werden Anzeigeerstatter mit anonymen Schmähbriefen eingedeckt. Laut Auskunft des Gerichts Aarberg hat man das Verfahren wegen der Pensionierung des Gerichtspräsidenten vertagt, es sollte aber noch vor Ende Jahr wiederaufgenommen werden.

Verwalter Walter Hirschi will nicht mit den Medien sprechen. Anders dagegen Fritz Zaugg. Zwar schweigt sich der Präsident zu den Pornogeschichten und zum ESA-Bericht aus («Zu hängigen Verfahren äussere ich mich nicht»), zum Fall Horst Neumann aber meint er: «Die Kündigung des Zimmers von Herrn Neumann erfolgte aufgrund seiner andauernden Provokationen gegenüber Gästen und der Geländeleitung. Im Übrigen lebt er seit vielen Jahren illegal in der Schweiz.» Tatsächlich aber könnte der Deutsche als Tourist je drei Monate bleiben und kurz aus- und wieder einreisen. Gibt es also noch andere Gründe für die Kündigung? Zaugg schweigt.

Nun kümmert sich der Verein «Freunde von Horst», der eigens gegründet wurde, um den Verbleib des Ehrenmitglieds. Man hat über 300 Unterschriften für eine Petition gesammelt, die der Eidgenössischen Stiftungsaufsicht überreicht werden soll. Vereinssprecher Kurt Haupt: «Das Übernachtungsverbot kommt einem Arealverbot gleich, obwohl Neumann dem Stiftungszweck der Reformbewegung viel mehr nachlebt als etwa Hirschi und Zaugg.»

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Horst Neumann, seit gut 20 Jahren beim Nudistencamp in Thielle dabei, soll nun aus seiner Unterkunft geworfen werden.


Der Streit um Neumann ist also nur ein Nebenschauplatz in einem gewichtigeren Konflikt: Wer hat im Nudistencamp von Thielle das Sagen? Wer vertritt die «echte» Naturistenidee, wie sie im Stiftungszweck festgehalten ist: «Erhaltung geeigneter Voraussetzungen für eine gesunde Freizeitgestaltung im Sinne der Lebensreform»? Immerhin geht es um ein Gelände mit 400 Wohnwagen, 65 Zelten und 41 Zimmern, das mit den stillen Reserven gegen zehn Millionen Franken wert ist und einen Jahresumsatz von rund einer Million abwirft. Dieser Umsatz könnte künftig vielleicht noch steigen, denn - so bestätigt es die Standortgemeinde Gampelen - die Stiftung «Die neue Zeit» will Änderungen des Zonenplans. Ob damit auch eine Anpassung der Nutzung einhergehen soll, wird nicht bekanntgegeben.

«Ideeller und materieller Schaden»
In der Vergangenheit aber schrieb die Stiftung Verluste, 2006 waren es rund 160'000 Franken. Alteingesessene wie Hans Schnyder von «Renaissance» oder Kurt Haupt vom «Horst»-Verein sind überzeugt, das Duo Zaugg/Hirschi füge der Stiftung Schaden zu - «ideell wie materiell». Zaugg habe das Wahlverfahren für die Stiftungsräte so manipuliert, dass nur jene Personen zum Zug kämen, die ihm genehm seien. So werde das Verbot von Alkohol, Nikotin und Fleisch zunehmend aufgeweicht, und aufmuckenden Naturisten sollen keine Wohnwagenplätze mehr vergeben werden. Auch zu diesen Vorwürfen schweigt Zaugg und verweist auf die hängigen Abklärungen.

Wer gegen dieses neue Regime opponiert, riskiert den Rauswurf, wie Kurt Haupt am eigenen Leib erfahren hat: Der Stiftungsrat wollte den Internetauftritt des «Horst»-Vereins (www.horstfreunde.ch) sperren und hat Haupt vom Gelände gewiesen. Dagegen hat der Naturist, wie könnte es auch anders sein, Beschwerden eingereicht. Fortsetzung folgt.