Alarmstufe Rot für Allergiker
Wespen und Bienen stören nicht nur das Grillfest im Freien. Für Menschen mit Insektengiftallergie können die Stacheltiere sogar lebensgefährlich sein.
Veröffentlicht am 10. August 2000 - 00:00 Uhr
«Weg von der Torte!» Die fuchtelnde Hand trifft die Wespe frontal. Als sie auf den Boden prallt, gibt ihr Panzer ein knackendes Geräusch von sich. Doch das Insekt ist nur für den Bruchteil einer Sekunde benommen – sofort rappelt es sich wieder auf: Statt brummend das Weite zu suchen, geht es jetzt zum Angriff über. Noch mehr Gefuchtel und Gezappel. Zuletzt hilft nur noch der Rückzug: vom Tisch aufspringen und davonrennen. Vielleicht gelingt es ja, das angriffslustige Tier mit dem Giftstachel abzuhängen…
Wenn sie wieder scharenweise unterwegs sind, bricht vielerorts Wespenpanik aus. Bei manchen Leuten zu Recht, denn drei bis vier Prozent der Schweizer müssen nach einem Stich mit bösen Folgen rechnen: Sie leiden unter einer Insektengiftallergie. In harmlosen Fällen kommt es nur zu lokalen Schwellungen und Reizungen.
Manchmal geraten aber durch die Immunreaktion alle körpereigenen Regelkreise ausser Kontrolle. Die Ärzte sprechen dann von einem anaphylaktischen Schock: Der Atem stockt, und das Herz bleibt stehen. Ein tödlicher Ausgang ist jedoch die Ausnahme - schweizweit kommt es jährlich zu 3–4 Todesfällen.
Am häufigsten führen Bienen- und Wespenstiche zu allergischen Reaktionen. Die zurückhaltenden Hummeln und die auch nachtaktiven Hornissen sind weniger gefährlich.
Wie bei den meisten Allergien gibt es auch bei der Insektengiftallergie keine Möglichkeit, im Voraus herauszufinden, wer besonders gefährdet ist. Selbst Menschen, die an Hautallergien leiden, sind nicht häufiger betroffen als Gesunde.
Jedoch weiss man, dass Asthmatiker für jegliche anaphylaktische Reaktion empfindlicher sind als Nichtasthmatiker.
Bislang liess sich nur ein eindeutiger Faktor ausmachen, der die Entstehung von Insektengiftallergien begünstigt: Gefährdet sind vor allem Leute, die sich viel im Freien aufhalten und deshalb immer wieder gestochen werden – seien es Frischluftsportler, Gärtner oder gar Imker.
Hinweis für eine Überempfindlichkeit ist eine Hautrötung mit einem Durchmesser von über zehn Zentimetern, die mindestens einen Tag lang anhält. Gefährliche Situationen können natürlich auch bei Nichtallergikern auftreten: Wenn etwa eine Wespe oder eine Biene in den Hals sticht, kommt es oft zu Schwellungen, die zu Atemnot führen können.
Wer unter einer Insektengiftallergie leidet, sollte stets ein Notfallset mit sich führen, da die allergische Reaktion bei der Hälfte der Betroffenen bereits innerhalb von fünf Minuten, bei weiteren vierzig Prozent binnen einer halben Stunde einsetzt. Um einen Arzt aufzusuchen, bleibt dann vielfach zu wenig Zeit.
Das Notfallset für Allergiker enthält eine Reihe hochwirksamer Substanzen. Die Antihistaminika und Glukokortikoide in trink- oder lutschbarer Form sollten sofort nach einem Stich eingenommen werden – ohne erste allergische Reaktionen abzuwarten. Adrenalinsprays oder -spritzen kommen bei ernsten Beschwerden zum Einsatz: bei Atemnot, Heiserkeit und Schluckstörungen oder ersten Schockanzeichen.
Natürlich hofft jeder Allergiker, nie zum Notfallset greifen zu müssen. Vorbeugen ist in Sachen Insektengift entschieden besser als heilen. Doch panische Reaktionen beim Auftauchen von Wespen oder Bienen schaden mehr als sie nützen: Herumfuchteln mit der Hand macht die summenden Biester oft gerade besonders wild.
Das oberste Gebot heisst daher: Ruhe bewahren! Wer darüber hinaus noch einige Faustregeln beachtet, kann selbst als Allergiker die Sommermonate in Ruhe geniessen.
Seit vielen Jahren bewährt hat sich für Insektengiftallergiker die so genannte Hyposensibilisierung. Dabei spritzt der Arzt in Tages- bis Wochenabständen steigende Dosen gereinigten Insektengifts – bis zur Menge von einem Zehntel Gramm, was etwa zwei Bienenstichen entspricht. Auf diese Weise gewöhnt sich das Immunsystem schrittweise an das Gift.
Obwohl dieses Impfverfahren ziemlich teuer und aufwändig ist, da man als Allergiker immer wieder zum Arzt gehen muss, können sich die Erfolge sehen lassen: Bei Kindern mit einer Wespengiftallergie liegt die Erfolgsrate beinahe bei hundert Prozent – und bei den Erwachsenen profitieren immerhin noch vier von fünf Betroffenen.
Bester Schutz vor Wespenattacken
Gegen Bienen und Wespen helfen Sprays oft wenig. Am besten gehen Sie den Insekten aus dem Weg.
- Vorsicht beim Verzehr von Süssigkeiten, Obst und Limonade im Freien.
- Spezielle Netze schützen vor Insektenflug in der Wohnung.
- Statt flatternder, bunter oder dunkler Kleidung sind weisse, grüne oder hellbraune Stoffe vorzuziehen.
- Beim Motorradfahren sollten Helm, Handschuhe und Kleidung gut schliessen.
- Falls sich ein Bienen- oder ein Wespenschwarm im Garten oder sogar in der Wohnung häuslich niederlässt: die Tiere nicht selber zu verscheuchen oder gar zu töten versuchen, sondern die Feuerwehr anrufen.
- Wenn eine Wespe oder eine Biene im Anflug ist: Panik vermeiden. Hektisches Herumfuchteln oder hastige Bewegungen verwirren und erschrecken das Insekt. Im Zweifelsfall besser den Kopf mit Armen und Händen schützen und langsam den Rückzug antreten.
...wenn es doch passiert:
- Den in der Haut steckenden Stachel vorsichtig mit dem Fingernagel oder einer spitzen Pinzette entfernen. Achten Sie darauf, dass der daranhängende Giftsack nicht berührt wird.
- Rasche Kühlung verzögert die weitere Aufnahme des Insektengifts im betroffenen Körperteil.
- Bei Übelkeit, Schwitzen, Schwindel, Schwarzwerden vor den Augen oder anderen ungewöhnlichen Beschwerden unbedingt den Notarzt benachrichtigen.