Nutzlose Reform kostet Stromkonsumenten Millionen
Haushalte und Firmen müssen jährlich bis zu 40 Millionen Franken mehr bezahlen. Und das bloss wegen eines neuen Abrechnungsmodells von Swissgrid. Nun wird die Aufsichtsbehörde aktiv.
Veröffentlicht am 20. Januar 2023 - 09:00 Uhr
Die Sache ist hochpolitisch. Die nationale Netzgesellschaft Swissgrid hat ihr Abrechnungsmodell gewechselt, damit es europakompatibel ist. In der Theorie sollte das neue Modell zu tieferen Preisen führen für die Konsumentinnen und Konsumenten. Doch geschehen ist das Gegenteil.
Den Stromkonsumenten drohen jährliche Mehrkosten von bis zu 40 Millionen Franken – und das nur, weil Swissgrid nach einem neuen Mechanismus Regelenergie abrechnet. Regelenergie braucht es, damit Stromnachfrage und Stromproduktion ausgeglichen sind.
Das neue Abrechnungsmodell trägt den Namen «Picasso» und verteuert den Strom. Allein in den ersten fünf Monaten seit der Einführung seien Mehrkosten von knapp 18 Millionen Franken entstanden – «ohne effektiven zusätzlichen Nutzen». Das schreibt die Zürcher Stromhandelsfirma Ompex in einer Analyse.
Die Kostensteigerung seit der Einführung im vergangenen Juni müssten die Konsumenten via Stromrechnung bezahlen. Die aktuelle Umsetzung von «Picasso» sei zwar «gut gemeint», schreibt Ompex, doch in dieser Form kostentreibend. Die Analyse hat in der Strombranche heftigen Wirbel ausgelöst.
Die Eidgenössische Elektrizitätskommission Elcom kündigt nun eine Untersuchung zu «Picasso» an. Der neue Preisfestsetzungsmechanismus von Swissgrid werde geprüft, sagt eine Sprecherin. Man wolle sicherstellen, dass dieser «volkswirtschaftlich effizient» funktioniere – «auch in Anbetracht der aussergewöhnlichen Zeiten» mit hohen Strompreisen.
«Picasso» soll eigentlich den grenzüberschreitenden Handel mit so genannter Sekundärregelenergie ermöglichen. Diese Art von Regelenergie muss innerhalb von fünf Minuten ins Netz eingespiesen werden, um Blackouts verhindern zu können. «Picasso» legt fest, wie viel Geld die Kraftwerksbesitzer für diese Notfallenergie erhalten. Geliefert wird sie typischerweise von Pumpspeicher-Wasserkraftwerken und damit vielfach von den drei grossen Stromkonzernen Axpo, Alpiq und BKW. Sie profitieren nun dank «Picasso» von noch höheren Preisen laut der Analyse.
Höhere Kosten wegen europäischem System
Dabei wurde «Picasso» eigentlich eingeführt, um die Kosten zu reduzieren. Die Idee: Ein grösserer europäischer Markt führt zu mehr Konkurrenz und tieferen Preisen. Der Haken daran: Die Schweiz darf am europäischen Markt nicht teilnehmen. Die EU-Kommission hat sie ausgeschlossen. Erst nach einer erfolgreichen Volksabstimmung über ein allfälliges EU-Rahmenabkommen könnte «Picasso» den Konsumenten tiefere Preise bescheren. Und das liegt noch in weiter Ferne. Trotzdem hat Swissgrid «Picasso» bereits eingeführt.
25 Elektrizitätswerken ist das sauer aufgestossen. Sie haben Anfang Januar bei der Aufsichtsbehörde Elcom eine Beschwerde zur Einführung von «Picasso» eingereicht. Die meisten Unternehmen stammen aus der Ostschweiz und lassen sich bei der Strombeschaffung von der Energieplattform AG aus St. Gallen beraten.
«Mehr Markt hat an dieser Stelle nicht zu mehr Effizienz im Sinne der Volkswirtschaft geführt.»
Bei der Elcom eingereichte Beschwerde
«Seit Swissgrid innerhalb der Schweiz nach dem neuen europäischen Picasso-System abrechnet, sehen wir deutlich höhere Kosten», sagt Sebastian Härle, Leiter des Portfoliomanagements bei Energieplattform. Für einen Durchschnittshaushalt macht die Preissteigerung zwar nur wenige Franken pro Jahr aus. Doch Gewerbe, Industrie oder Skigebiete sind viel stärker betroffen.
Gemäss der Energieplattform haben die Kraftwerksbesitzer ihre Erlöse für Sekundärregelenergie bereits aufgrund der Energiekrise und des Ukrainekriegs von 10 Euro auf 45 Euro pro Megawattstunde steigern können. Und das ist lediglich der Zusatzerlös, gemessen am Spotmarkt-Börsenpreis. Mit der Einführung von «Picasso» seien die Erlöse sogar auf über 80 Euro pro Megawattstunde angestiegen. In der Beschwerde heisst es deshalb: «Mehr Markt hat an dieser Stelle nicht zu mehr Effizienz im Sinne der Volkswirtschaft geführt.»
«Zu früh für Schlussfolgerungen»
Die Energieplattform bittet die Elcom deshalb, das neue Abrechnungssystem «auf Marktmanipulation, beispielsweise durch Nutzung von Insiderinformationen» zu durchleuchten. «Wir wollen niemandem etwas unterstellen», sagt Sebastian Härle. «Die Aufsicht sollte sich den neuen Picasso-Mechanismus aber genau ansehen, damit Manipulationen ausgeschlossen werden können.»
Die Energieplattform sei eine grosse Befürworterin eines freien Strommarkts. «An freien Märkten muss jedoch ein Gleichgewicht zwischen Anbietern und Nachfragern bestehen, was wir in diesem Kontext aktuell nicht sehen.» Die Energieplattform fordert, dass Swissgrid entweder zum alten System zurückkehrt oder die Erlöse der Kraftwerksbesitzer auf dem alten Niveau einfriert.
«Die Umstellung auf ‹Picasso› ist eine logische Konsequenz der zentralen Lage der Schweiz im europäischen Verbundnetz.»
Swissgrid
Swissgrid sagt, sie könne sich zu den angeführten Kostensteigerungen durch «Picasso» nicht äussern. Für «belastbare Schlussfolgerungen aus Datenanalysen» sei es noch zu früh. Von einer Änderung bei «Picasso» will Swissgrid nichts wissen. Man sei für die Höhe der Preise nicht verantwortlich.
Das Picasso-Marktdesign sei ein marktbasiertes und diskriminierungsfreies Verfahren, in dem die Kraftwerksbesitzer selbst die Angebote definierten, schreibt die Firma. Die Umstellung auf «Picasso» sei eine logische Konsequenz der zentralen Lage der Schweiz im europäischen Verbundnetz. «Picasso» sei notwendig, um den stabilen und sicheren Betrieb des Stromnetzes zu gewährleisten.
Der St. Galler SVP-Nationalrat Mike Egger bezweifelt das. Er kritisierte Swissgrid in einem Vorstoss im Parlament bereits für ihre Preiserhöhungen per 2023. Er warte nun gespannt auf den Befund der Elcom zu «Picasso». «Je nachdem werde ich mir anschliessend vorbehalten, auf politischer Ebene zu dieser Thematik aktiv zu werden.»
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