Für die Nebenkosten aufkommen – oder doch für das Schullager der Kinder? Viele Familien werden noch diesen Winter vor solchen Entscheidungen stehen. Fabienne Widmer von Pro Infirmis erzählt von einer aus Bern: Die Mutter habe eine IV-Rente, der Vater sei Hilfsarbeiter im Schichtbetrieb. Weil der Lohn nicht reiche, beziehen sie Ergänzungsleistungen (EL). Und jetzt das: Inflation, Energiekrise, starke Erhöhung der Krankenkassenprämien. «Unsere Kolleginnen und Kollegen bei der Sozialberatung beobachten eine grosse Verunsicherung und vermehrte Beratungsanfragen», sagt Widmer. 

Teilweise sind die höheren Preise bereits spürbar. Gepfefferte Rechnungen für Nebenkosten Hohe Nachforderung bei Nebenkosten Muss die Mieterschaft die Erhöhung zahlen? flattern womöglich erst in einigen Monaten ins Haus. Klar ist aber: Viele machen sich jetzt schon Sorgen, wie sie über die Runden kommen sollen. Was wird für Menschen getan, die jetzt in finanzielle Not geraten?

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Effektive Kosten übernehmen

Sozialhilfebezüger sollen wegen Mietnebenkosten keine Probleme bekommen. Deshalb empfiehlt die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (Skos) den Sozialämtern in der aktuellen Situation, die effektiven Heiznebenkosten zu übernehmen. Die Mehrheit der Kantone folgt dieser Empfehlung, sagt Skos-Sprecherin Ingrid Hess. Man habe zudem  ein Merkblatt zum Thema Stromkosten erarbeitet: «In diesem Bereich braucht es Lösungen auf Gemeindeebene, weil die Tarife sehr unterschiedlich sind.» 

Für Menschen mit knappen Mitteln, die bislang keine staatlichen Gelder erhielten, könnte es jetzt eng werden. Oft wenden sie sich für Unterstützung zuerst an private Hilfswerke. Die Winterhilfe Kanton Glarus hat zum Beispiel 50'000 Franken gesprochen, um Armutsbetroffenen bei den Nebenkosten zu helfen. «Mit Sorge beobachten wir, wie die derzeitige Situation viele Menschen, die am Rande der Armutsgrenze leben, in noch grössere Bedrängnis bringt», sagt Esther Güdel von der Winterhilfe. Man erhalte aus verschiedenen Regionen die Rückmeldung, dass die Nachfrage nach Unterstützung deutlich zugenommen habe. 

Angst vor der Verschuldung

Die Sozialberatungen der Caritas registrieren ebenfalls einen Anstieg bei den Anfragen. Laut Mediensprecherin Livia Leykauf würden viele erst dann Hilfe holen, wenn die Rechnungen konkret vorliegen – das könne bei den Nebenkosten noch dauern. Es hätten aber auch schon Leute mit doppelt so hohen Stromrechnungen angerufen. «Die Erfahrungen aus der Corona-Zeit zeigen, dass viele zuerst ihre bescheidenen Rücklagen aufzehren, bevor sie Hilfe suchen», sagt Leykauf. Oft könnten schon 100 Franken sehr budgetbelastend sein, und viele hätten Angst, sich zu verschulden. Caritas spreche finanzielle Überbrückungsbeiträge und gebe Lebensmittelgutscheine ab. 

Eine Umfrage des Beobachters bei allen Kantonen ergibt, dass man die effektiven Mietnebenkosten übernehmen will – zuständig für die Einzelfälle sind meist die Gemeinden. So haben etwa Freiburg und Schaffhausen Mitte September auf der Grundlage der Skos-Empfehlungen ein Schreiben an alle regionalen Stellen geschickt. Viele Sozialdienste arbeiten mit privaten Hilfswerken zusammen, um jenen zu helfen, die knapp über der Sozialhilfe leben, aber keine Reserven haben. Das bewähre sich jetzt, heisst es etwa aus dem Thurgau. 

Voller Teuerungsausgleich ab 2023?

Die Sozialhilfe liegt in der Hoheit der Gemeinden und Kantone – Massnahmen bei IV, AHV und Ergänzungsleistungen sind Sache des Bundes. Im Mai berief der Bundesrat eine interdepartementale Arbeitsgruppe ein, eine Taskforce, die analysieren sollte, welche Auswirkungen die hohen Energiepreise auf Haushalte und Wirtschaft haben. Nach einer ersten Analyse befand der Bundesrat im Sommer, es gebe keinen Bedarf für sofortige Massnahmen. Im Oktober werde die Arbeitsgruppe die neuen Ergebnisse dem Bundesrat vorlegen. Es werde um Massnahmen gehen, die in den Strommarkt eingreifen, sagt ein Sprecher. Zudem prüfe man, ob staatliche Entlastungen bei Härtefällen nötig seien. 

Mittlerweile ist Bewegung in die nationale Politik gekommen: Das Parlament forderte in der Herbstsession, dass AHV-Bezüger spätestens ab 2023 den vollen Teuerungsausgleich erhalten. Das soll auch für IV-Renten und Ergänzungsleistungen gelten. Allerdings müssen die Motionen in der Wintersession erst noch definitiv verabschiedet werden.  

Der Bundesrat hat Mitte Oktober angekündigt, die Renten zwar nicht vollumfänglich der Teuerung anzupassen, aber sie gemäss gesetzlichem Mischindex per 2023 um 2,5 Prozent zu erhöhen. Die Skos empfiehlt, basierend auf diesem Entscheid, den Grundbedarf in der Sozialhilfe entsprechend zu erhöhen. Am 11. November entscheiden die Sozialdirektorinnen und -direktoren der Kantone darüber. 

Auch die Stiftung SOS Beobachter leistet Einzelfallhilfe für Menschen in prekären finanziellen Verhältnissen: www.beobachter.ch/sos-beobachter

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