Auf dass der Anwalt euch gütlich trennt
Kampfscheidung muss nicht sein; ein neues Rezept dagegen heisst kooperatives Anwaltsverfahren. Die aussergerichtliche Methode hat grosses Potential - warum also nutzen nur wenige die Chance?
Veröffentlicht am 7. Januar 2008 - 17:18 Uhr
Für Paare, die eine möglichst konfliktfreie Scheidung oder Trennung anstreben, gibt es eine vielversprechende Methode: das Collaborative Law oder auf Deutsch «kooperatives Anwaltsverfahren». Entwickelt wurde sie Anfang der neunziger Jahre in den USA.
Im Unterschied zur klassischen Rechtsvertretung und den herkömmlichen Vergleichsgesprächen verpflichten sich die Parteien und ihre Rechtsvertreter beim kooperativen Anwaltsverfahren, ausschliesslich eine aussergerichtliche Lösung zu suchen und auch nicht mit der Einleitung eines Gerichtsverfahrens zu drohen. Aber im Gegensatz zur anderen aussergerichtlichen Methode, der Mediation, hat jede Partei einen eigenen Anwalt zur Seite, der sie betreut und berät.
Unterstützung für den «Schwächeren»
«Es gibt immer wieder Fälle, die sich weder für das traditionelle Verfahren noch für die Mediation eignen», so der Frauenfelder Mediator und Anwalt Rudolf Zirfass. Er ist einer der wenigen in der Schweiz, die schon mit der neuen Methode arbeiten. Ideal schien sie ihm beispielsweise im Fall der Scheidung eines Ehepaars im mittleren Alter - er Akademiker in leitender Stellung, sie gelernte Verkäuferin, die sich während der zwölfjährigen Ehe um Haushalt und Kinder gekümmert hatte. Seit fünf Jahren lebten sie getrennt.
«Sie konnten noch miteinander reden und wollten vor allem wegen der Kinder eine möglichst schonende Scheidung», so Zirfass. Das hätte an sich für eine Mediation gesprochen. Aber: «Das Gefälle in der Bildung und im Verhandlungsgeschick der Ehegatten war zu gross, die Kenntnisse in juristischer und finanzieller Hinsicht zu unterschiedlich.» Auch brauchte die Frau laut Zirfass intensive Beratung, um herauszufinden, was sie wollte, und Unterstützung bei den gemeinsamen Sitzungen. Das hätte er ihr in der Rolle des Mediators nicht bieten können, sagt Zirfass, denn «als Mediator kann ich ja nicht dem Schwächeren helfen, sondern muss neutral bleiben».
Für Parteien, die ihren Konflikt gütlich lösen und trotzdem je einen eigenen Anwalt zur Seite haben wollen, scheint das kooperative Anwaltsverfahren die ideale Methode zu sein. In der Regel trifft man sich zu Vierersitzungen. «Im erwähnten Fall konnte nach fünf Treffen die Scheidungsvereinbarung unterzeichnet werden», sagt Zirfass. Allerdings gibt es immer auch noch Zweierbesprechungen zwischen Klient und Anwalt und Kontakte unter den Anwälten, um das Verfahren zu besprechen. Für bestimmte Fragen können ausserdem gemeinsam Spezialisten beigezogen werden, etwa Kinderpsychologen, Versicherungs- oder Steuerberater.
«Die Idee ist sehr gut, aber...»
Heute gibt es in der Schweiz einen «Collaborative Law-Pool Zürich/Ostschweiz», bestehend aus 25 Anwältinnen und Anwälten, die sich in der Materie auskennen. «Ein wesentliches Merkmal des Verfahrens besteht darin, dass die Parteien alle wichtigen Informationen unaufgefordert und umfassend offenlegen», sagt Zirfass, deshalb sei es wichtig, «dass sich die Anwälte kennen und gegenseitig vertrauen». In dieser Grundvoraussetzung sieht er die Notwendigkeit der Organisation der Anwälte in einem solchen Pool. Dieser sei auch eine Arbeitsgemeinschaft, in der man sich zu Weiterbildung und Erfahrungsaustausch treffe. Im Ostschweizer Pool hofft man, dass sich in der Schweiz weitere solcher Arbeitsgemeinschaften bilden werden.
Denn nur Anwälte, die in einem Pool zusammengeschlossen sind, kommen für das kooperative Anwaltsverfahren in Frage. Die Scheidungswilligen können bei dieser Methode ihre Rechtsvertreter also nicht frei wählen. Das könnte ein Grund sein, dass erst wenige (Scheidungs-)Konflikte auf diese Weise gelöst wurden. Laut Hans Ulrich Grauer, Präsident am Bezirksgericht Kreuzlingen, gibt es aber noch einen zweiten hemmenden Aspekt: die relativ hohen Kosten des Verfahrens. Berechnet werden nämlich normale Anwaltshonorare. «Die Idee ist sehr gut», so Grauer, «aber ob sich diese Verfahrensart in der Praxis durchsetzen wird, hängt wesentlich davon ab, wie hoch die Erfolgsquote ist.» Denn scheitert ein Verfahren, müssen beide Parteien doppelt bezahlen: zuerst die Anwälte, die ihnen im kooperativen Anwaltsverfahren zur Seite standen, danach noch die Anwälte für den Scheidungsprozess vor Gericht.
Wann lohnt sich das kooperative Anwaltsverfahren?
- Im Grunde ist diese Art der Konfliktlösung für fast jedes Rechtsgebiet denkbar, Hauptanwendungsgebiet sind aber Trennungen und Scheidungen.
- Beide Parteien haben ein Interesse an einer gütlichen Lösung und an einem schonenden, konstruktiven Verfahren.
- Beide wollen ihren eigenen Anwalt, etwa weil ein Ungleichgewicht besteht in der Fähigkeit, die eigenen Interessen zu erkennen und zu vertreten.
- Beide sind bereit, sich zu verpflichten, während des Verfahrens kein Gericht anzurufen und damit auch nicht zu drohen. Scheitert das Verfahren, dürfen die Anwälte ihre Klienten später nicht in der gleichen Sache vor Gericht vertreten.
- Beide Parteien sind bereit, alle wichtigen Informationen offenzulegen.
Unabhängig davon, wie die Scheidungsvereinbarung zustande gekommen ist - mit Hilfe eines Mediators oder einer Anwältin oder im kooperativen Anwaltsverfahren: Sie muss in jedem Fall noch vom Gericht genehmigt werden.
Eine weitere Möglichkeit: Mediation
Mediation ist bei Streit unter Ehegatten eine bewährte Alternative zur herkömmlichen Streiterledigung durch Anwälte und Gerichte. Mediation ist ein freiwilliges, aussergerichtliches und kostengünstiges Verfahren. Ein neutraler, allparteilicher Dritter (Mediator/in) hilft den Konfliktparteien, eine eigenverantwortliche und faire Lösung zu erarbeiten. Die Konfliktlösung wird schriftlich festgehalten. Der Mediator bzw. die Mediatorin sorgt für einen fairen, transparenten und effizienten Ablauf der Verhandlung.