Naturheiler: Heilloses Chaos in der sanften Medizin
Aderlass, Hypnose, Schamanismus: Auf dem Therapiemarkt tummeln sich die buntesten Heilsverkünder. So verschieden die Methoden, so unterschiedlich sind die Ausbildungen und Anerkennungen. Vorsicht ist angesagt.
Veröffentlicht am 2. Mai 2001 - 00:00 Uhr
Monica M. leidet seit 16 Jahren an Migräne und empfindet dies als «Strafe». «Ich frage mich, ob das Leiden mit einem früheren Leben zusammenhängt», schreibt sie auf der Internetseite des Verlags «Gesund». Deshalb beabsichtigt sie, eine Rückführungstherapie zu machen, und sucht Leute, die bereits Erfahrungen damit haben.
In der Schweiz bieten gemäss Schätzungen des Erfahrungsmedizinischen Registers (EMR) in Basel rund 20000 Therapeuten über 300 verschiedene Heilmethoden an. Zum Vergleich: Die Anzahl Schulmediziner in Spital und Praxis beträgt etwa 25000. Auf der Website www.gesund.ch preisen 2000 Heiler ihre Dienste an. Das Angebot reicht von Aderlass und Bach-Blüten über Edelsteinheilung und Farbtherapie bis hin zu Hypnose, Reinkarnation oder Schamanismus. Für die Seriosität der Therapeuten übernimmt der Verlag keine Haftung.
Seit drei Jahren versucht das EMR im Auftrag von 40 Krankenkassen unfähige und unseriöse Therapeuten aufzuspüren und vom Markt fernzuhalten. Dies erfolgt über eine Registrierung, für die bestimmte Kriterien erfüllt sein müssen. Die Krankenkassen übernehmen mit ihren Zusatzversicherungen dann nur noch Leistungen von EMR-registrierten Anbietern.
Entsprechend gross ist die Flut an Gesuchen, die eingereicht werden «bis zu 1000 pro Jahr», so EMR-Geschäftsführerin Silva Keberle. Nach einer ersten Bestandesaufnahme sind beim EMR rund 10000 Therapeutinnen und Therapeuten verteilt auf 220 Methoden registriert; etwa 800 Gesuchsteller wurden abgewiesen. Hinzu kommen die Adressen von 450 Verbänden und 1800 Schulen, jeweils knapp die Hälfte davon in der Schweiz.
Naturärzte schalten die Weko ein
Die Qualität der registrierten Heiler und Schulen lässt sich noch nicht schlüssig beurteilen. Das EMR verfügt erst über einen groben Kriterienkatalog: Damit ein Therapeut aufgenommen wird, muss er ein schulmedizinisches Basiswissen, eine methodenspezifische Ausbildung sowie eine Berufserfahrung von 250 Patientenstunden nachweisen. Wie lang die Ausbildung dauerte und wie gut die Schule war, kann das EMR kaum prüfen; die nötigen Daten fehlen. Silva Keberle schätzt, dass nur rund die Hälfte der 1800 registrierten Schulen existenzberechtigt sind.
Das «Qualitätsmonopol» des EMR ist vor allem jenen Naturheilverbänden suspekt, die eigene Kriterien haben. Die Naturärzte-Vereinigung der Schweiz (NVS), die 3500 Mitglieder und 450 Therapiemethoden umfasst, hat bei der Wettbewerbskommission (Weko) Beschwerde gegen das EMR eingereicht, weil es «seine marktbeherrschende Stellung» missbrauche. Die Zertifizierung der Therapeuten basiere auf «unsachlichen Kriterien».
Kantonale Vielfalt bei Zulassungen
«Wir haben selbst gute Qualitätskriterien», sagt Geschäftsführer und Naturarzt Edgar Ilg. Bevor ein Naturarzt als kassenzulässiges NVS-A-Mitglied aufgenommen wird, muss er eine fünfstündige Prüfung über medizinische Grundlagen und Naturheilkunde absolvieren. Für Silva Keberle ist allerdings schon die Grösse des Verbandes ein Hinweis darauf «wie einfach es ist, diese Prüfung zu bestehen».
Mitte März hat die Weko eine Vorabklärung gestartet. Den Resultaten sieht Silva Keberle gelassen entgegen. Die Naturärzte wollten nur das Monopol bei den Krankenkassen zurückerobern: «Die NVS hat in einem Brief mitgeteilt, dass sie die Beschwerde zurückziehe, wenn die Krankenversicherer die NVS-Mitgliederliste wieder pauschal anerkennen würden.»
Die Spreu vom Weizen trennen möchte auch die Therapeutenstelle der Eidgenössischen Gesundheitskasse (EGK) in Solothurn. 11850 Anfragen verzeichnete sie im vergangenen Jahr «ein neuer Rekord», so Bärbel Wyss, die die Dienstleistung im Auftrag der EGK erbringt. Die Stelle führt eine Liste mit rund 9000 Therapeuten aus der ganzen Schweiz; Geistheiler und Esoteriker sind nicht dabei. Kriterien für die Aufnahme sind eine medizinische Grundausbildung von 340 Stunden und eine Fachausbildung von 100 Stunden pro Methode. Eine Qualitätsgarantie kann aber auch Bärbel Wyss nicht geben.
Keine Garantien, aber fundierte Kriterien strebt der Homöopathie-Verband Schweiz an. Wer sich Homöopath HVS nennen will, muss eine medizinische Ausbildung abgeschlossen oder eine Naturärzteschule besucht haben. Dazu kommt eine Ausbildung zum Homöopathen mit mindestens 800 Stunden Theorie und 400 Stunden Praxis. Ausserdem fordert der HVS, der bald mit dem Verband für klassische Homöopathie fusionieren will, die staatliche Anerkennung: Homöopathen sollen als Alternative zu den Schulmedizinern gleich wie diese anerkannt werden.
Davon ist die Schweiz noch weit entfernt. So verschieden die Methoden, so verschieden regeln die Kantone die Zulassung von Heilpraktikern. St. Gallen, Appenzell oder Baselland führen kantonale Zulassungsprüfungen durch, andere wie Luzern oder Solothurn kennen ein Bewilligungsverfahren. In Genf werden heilpraktisch Tätige «geduldet». Eine Kehrtwende will der Kanton Zürich vollziehen, der bisher ein Verbot von Naturheilverfahren kannte und jetzt die völlige Liberalisierung plant.
Nun muss Bern Ordnung machen
Der Bund seinerseits versucht, übers Berufsbildungsgesetz Transparenz zu schaffen. Rolf Peter vom Bundesamt für Berufsbildung meint angesichts des «Wirrwarrs» an Naturheilern, Verbänden und Schulen: «Hier Ordnung zu schaffen ist fast ein Ding der Unmöglichkeit.» Klar ist, so Peter, dass die Kriterien für eine bundesrechtliche Anerkennung «deutlich strenger geregelt sind als diejenigen privater Organisationen».
Doch bis es so weit ist, werden Jahre vergehen. Deshalb präsentiert der Beobachter bereits jetzt eine Kriterienliste, um die Suche nach seriösen Naturheilern zu erleichtern.