Wie weiter mit der Elternzeit?
Genf führt als erster Schweizer Kanton einen Elternurlaub ein. Die Elternzeit-Vorlage des Kantons Bern hingegen wurde vom Stimmvolk klar abgelehnt. Was in der Schweiz heute gilt.
Veröffentlicht am 19. Juni 2023 - 17:13 Uhr
Genf sagt Ja zu mehr Elternzeit. Die Elternzeit-Initiative der Grünliberalen wurde am Wochenende mit 57,9 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Damit wird in der Verfassung ein 24-wöchiger bezahlter Elternurlaub garantiert. Neben dem 16-wöchigen Mutterschaftsurlaub wird neu derjenige des zweiten Elternteils von zwei auf 8 Wochen verlängert. Von den zusätzlichen 6 Wochen können dabei zwei nach Wunsch aufgeteilt werden. Mindestens 6 Wochen müssen sie beziehen. Das gilt auch für gleichgeschlechtliche Ehen und Adoptiveltern. Genf ist mit der Einführung des frei aufteilbaren Elternanteils der erste Kanton in der Schweiz.
Auch in Bern kam eine Initiative zur Elternzeit vors Volk, wurde aber mit 66,5 Prozent Nein-Stimmen deutlich abgelehnt. Die SP-Initiative forderte zum bestehenden Mutter- und Vaterschaftsurlaub einen kantonalen Elternurlaub von 24 Wochen. Davon sollten jedem Elternteil zusätzlich 6 Wochen zugestanden werden, 12 weitere Wochen sollten teilbar sein. Den bürgerlichen Parteien war die Vorlage zu extrem. Auch die Wirtschaftsverbände und die Berner Bauern machten Abstimmungskampf gegen die Vorlage.
Kantonale Unterschiede
Mit dem Ja zur Elternzeit fährt Genf eine eigene Schiene. In der Schweiz können die Kantone selbst über den Mutter- und Vaterschaftsurlaub bestimmen. Der Bund hat jedoch einen gesetzlichen Rahmen für die ganze Schweiz gesetzt, der nicht unterschritten werden darf. So beträgt der bezahlte Mutterschaftsurlaub in der Schweiz mindestens 98 Tage, also 14 Wochen. Die Entschädigung beträgt dabei 80 Prozent vom Lohn und maximal 220 Franken pro Tag. Seit 2021 haben auch erwerbstätige Väter Anspruch auf bezahlten Urlaub, der jedoch mit 2 Wochen deutlich geringer ist. Der Urlaub kann am Stück oder tageweise während der ersten 6 Monate nach der Geburt des Kindes genommen werden. Er steht auch gleichgeschlechtlichen Paaren zu.
Die Schweiz hinkt hinterher
Im europaweiten Vergleich liegt die Schweiz damit noch weit zurück. Das Vorzeigemodell ist Schweden mit 68 Wochen Elternzeit. Es folgt Finnland mit einem Gesamtelternurlaub von 320 Arbeitstagen oder 64 Wochen. In Deutschland können sich Eltern bis zu drei Jahre Elternzeit nehmen, sofern sie vorher arbeiten. Wenn sich beide Elternteile die Zeit teilen, können bis zu 14 Monate davon bezahlt werden.
Familienkommission fordert 38 Wochen
Entsprechend setzt sich die Eidgenössische Kommission für Familienfragen (EKFF) für eine umfassende Elternzeit ein. Sie diskutiert ein Modell, das zu den heutigen 14 Wochen Mutterschaftsurlaub und 2 Wochen Vaterschaftsurlaub zusätzlich 22 Wochen Elternzeit vorsieht. Deutlich mehr als das Genfer Modell, aber nicht ganz so viel wie der Vorschlag der SP Bern.
Wie bereits 2010 gefordert, würden die Mütter zusätzlich 2 Wochen fix erhalten und bis zu 7 Wochen auf den anderen Elternteil übertragen können. Die vollen 15 Wochen sind für den anderen Elternteil reserviert, und eine Übertragung ist nicht möglich. Die Idee besteht seit 2010 und wurde zwischenzeitlich den veränderten Bedürfnissen von Eltern, Wirtschaft und Gesellschaft angepasst, schreibt die EKFF in einer Medienmitteilung. Ziel sei eine nationale Lösung anstelle von 26 kantonalen Einzellösungen.
Dazu werde es wohl noch eine Weile dauern, sagt Nadine Hoch, Leiterin wissenschaftliches Sekretariat EKFF, auf Anfrage. «Die Schweiz ist noch nicht reif für unseren Vorschlag. Wir werden den Weg wohl in kleineren Schritten gehen müssen.» Eine Möglichkeit wäre, die 38 Wochen auf 34 Wochen, also zweimal 17 Wochen, zu kürzen, um die heutigen Errungenschaften beizubehalten und eine Gleichheit zwischen den Eltern zu ermöglichen. Weitere Vorstösse zur Elternzeit sind derzeit nicht hängig.