Die Kundin holt Monat für Monat in derselben Apotheke im Zürcher Niederdorf dasselbe Heilmittel ab und hört stets dieselbe Frage: «Wissen Sie, wie man das anwendet?»

Selbstverständlich weiss sie das. Die Frau ist 50, die Entfernung ihrer Schilddrüsen liegt 18 Jahre zurück. Sie ist auf künstliche Hormone angewiesen. Für das Hormonpräparat Euthyrox verrechnet die Apotheke Fr. 14.70 und schlägt jedes Mal weitere Fr. 7.55 drauf. Wofür?

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  • Fr. 4.30 für die Kontrolle des ärztlichen Rezepts und
  • Fr. 3.25 für das Auflisten früher bezogener Medikamente.

Beides zusammen nennt sich Apothekerpauschale Medikamenten-Check & Bezugs-Check Weshalb muss ich in der Apotheke einen Zuschlag zahlen? . Eingeführt 2001, um die Preise für Heilmittel in den Griff zu bekommen.

«Es war das erste Mal, dass ich unzufriedene Kundinnen und Kunden erlebte. Das war alles andere als angenehm», erinnert sich ein Luzerner Apotheker an die «Hauruck-Aktion». Bis heute fragen die Leute, falls sie den Kassabon genauer anschauen: «Was ist das?»

«Den meisten Kunden ist das egal. Sie denken, das zahlt die Krankenkasse», sagt ein Apotheker. Allein die Kassen zahlen jedes Jahr Pauschalen von mindestens einer Viertelmilliarde Franken. Hinzu kommen die x-mal am Tag verrechneten Fr. 7.55, die der Kunde selber übernimmt.

Chronisch Kranke zahlen immer wieder für dieselbe Beratung

Die Pauschale zahlt man nur auf rezeptpflichtige Medikamente. Das heisst, eine Ärztin hat eine Diagnose gestellt und dem Patienten eine Therapie verschrieben. Wofür denn nochmals eine Befragung, die Geld kostet?

«Dadurch werden finanzielle Fehlanreize zur Abgabe von teuren Medikamenten minimiert. Gleichzeitig fördert es die Beratungsqualität sowie die Patientensicherheit», heisst es bei der Topwell-Kette, die Ende letzten Jahres von der Migros geschluckt wurde.

Mit «finanziellen Fehlanreizen» ist der Verkauf von Originalpräparaten statt günstigerer Generika mit demselben Wirkstoff gemeint. An teureren Heilmitteln verdient die Apotheke mehr. Daher die Pauschale, deren Gültigkeit Gesundheitsminister Berset kürzlich bis 2021 verlängert hat. Damit Apotheker Kunden den Umstieg auf ein günstiges Generikum schmackhaft machen und dennoch ordentlich daran verdienen.

In Wirklichkeit ist es aber so, dass der Aufschlag auch bei chronisch Kranken Chronisch Kranke Die chronisch Vernachlässigten ständig, mehrfach und jahrelang verrechnet wird. «Eine Frechheit!», sagt ein Beobachter-Leser aus Basel. Die Abrechnungsbelege der Heilmittelbezüge seiner Frau füllen mehrere Ordner.

Risiko wird nicht erkannt

Dass Apotheker Fragen zur korrekten Anwendung des Heilmittels stellen und die Verordnung des Arztes kontrollieren, ist sinnvoll und wichtig. Zudem ist die Apothekerbranche – anders als die Arztpraxen – vorbildlich digitalisiert. Wenn die Überprüfung der Patientendaten und der ärztlichen Rezepte versagt – und von denen landen jeden Tag 110'000 auf den Tresen –, kann es gar zu Todesfällen kommen.

Letzten November verurteilte ein Gericht eine Aargauer Apothekerin wegen fahrlässiger Tötung. Sie hatte einer 52-jährigen Stammkundin ein Medikament verkauft, ohne einen Blick auf die Daten zu werfen. In der digital erfassten Medikamentenhistorie hätte die Apothekerin lesen können: Die Kundin reagiert auf Antibiotika allergisch. Die Kundin verstarb noch am Tag, an dem sie das Medikament eingenommen hatte. Ihre Schwester sagte beim Prozess, es gehe ihr darum, «dass Menschen in solchen Berufen einfach wieder konzentriert arbeiten. Denn so etwas darf nie mehr passieren!»

Das Magazin «Saldo» testete Anfang Jahr je vier Apotheken in Basel, Bern, Luzern, St. Gallen und Zürich. Tester sollten Heilmittel kaufen, die sich in der Kombination nicht vertragen, und warten, ob ihnen günstigere Alternativen mit demselben Wirkstoff empfohlen würden. 14 der 20 Apotheken erkannten das Risiko nicht, 7 von 20 Apotheken wiesen nicht auf das günstigere Generikum hin.

Über 150 Apotheken verzichten bei Barzahlung auf die Pauschale

Der Branchenverband Pharmasuisse hält die Pauschale für «unentbehrlich für die Existenz» der Apotheken. «Sie macht einen Drittel des Ertrags bei kassenpflichtigen Medikamenten aus.» Die kleinere Vereinigung der Gruppierungen unabhängiger Apotheken VGUA spricht von «einem Viertel der Nettoeinkünfte».

Dennoch verzichten mehr als 150 Apotheken auf die Verrechnung der Pauschalen, wenn der Kunde bar zahlt. Unter Konsumentenschutz.ch gibt es eine Liste. Auf ihr findet sich überraschenderweise auch Sun Store. Die Kette mit über 100 Filialen gehört Galenica, dem grössten Schweizer Medikamentenhändler. Zwei weitere Galenica-Ketten, Amavita und Coop Vitality, schlagen die Pauschale hingegen drauf. Die drei Ketten hätten alle «eigene Strategien und eigene Konzepte bezüglich Kundendienstleistungen», schreibt Galenica.

Galenica betreibt seit dem Jahr 2000 mit dem Grossverteiler Coop Apotheken unter dem Namen Coop Vitality. Inzwischen sind es 80. Galenica kaufte letztes Jahr die umsatzstärkste Apotheke des Landes – jene im Zürcher Hauptbahnhof Bahnhofapotheke Von Abführkapsel bis Zeckenzange , die jeden Tag offen ist. Gemäss eigenen Angaben beliefert Galenica inzwischen über 500 Verkaufsstellen und will weiterhin 5 bis 15 Apotheken pro Jahr hinzukaufen.

Auch die Migros verkauft Pillen und Salben. Ende 2018 griff sich der orange Riese die als Genossenschaft gegründeten 42 Topwell-Apotheken. Sie ergänzen den Bereich M-Gesundheit mit seinen rund 300 Ärzten und ebenso vielen Physio- und anderen Therapeuten. Allerdings nicht unter dem Namen Migros, sondern unter Medbase.

Kommt der Referenzpreis für Generika?

Auch wenn die Apothekerbranche jedes fünfte Geschäft von der Schliessung bedroht sieht und bei jeder Sparrunde von «Apothekensterben» und «Kollaps» spricht, muss die Kundschaft keineswegs mit der Sammelbüchse die Runde machen. Die Zahl der Apotheken hat in den letzten zehn Jahren nicht ab-, sondern um 100 zugenommen. Meist sind es aber Ketten, die auf Kosten von Einzelgeschäften wachsen.

Die 1806 Schweizer Medikamentenhändler finden im milliardenschweren Markt ihr Publikum. Die Leute werden immer älter, es gibt immer mehr Ärzte, die im Schnitt pro Jahr und Patient zwölf Diagnosen stellen und acht Verordnungen schreiben. Das hat Interpharma Medikamente im Müll Sind Pillen und Tabletten bald einzeln erhältlich? ausgerechnet, der Interessenverband von Konzernen wie Novartis, Roche und Actelion. Jede zweite der jährlich 185 Millionen Packungen wird vom Apotheker verkauft, jede vierte vom Arzt. Über die Höhe der Marge und der Rabattierungen kann sich keiner beklagen.
 

«Dass sich eine ärztliche Standesorganisation mit Händen und Füssen gegen günstigere Medikamente wehrt, ist mehr als fragwürdig.»

Ein Apotheker


Gesundheitsminister Berset will nun den Anteil der günstigeren Generika erhöhen. Dieser dümpelt in der Schweiz bei 22, 23 Prozent. In Österreich sind es 53, in Deutschland 81 Prozent. Bersets Rezept heisst: Referenzpreis. Dabei vergleicht man die Preise für Generika in den Nachbarländern und setzt eine Obergrenze fest. Die Kassen würden nur noch das günstigste Produkt vergüten. Einsparmöglichkeit: 50 Millionen Franken. Pharmasuisse hält Bersets Idee für «absurd» und will den Referenzpreis mit allen Mitteln verhindern. Auf Referenzpreise-nein.ch verschaffen sich Gegner Gehör.

Sie geben sich siegessicher. Auch die Ärzteschaft, vertreten durch den Berufsverband FMH, ist gegen die Referenzpreise. Ärzte verdienen am Medikamentenhandel kräftig mit. «Dass sich die Apotheker gegen tiefere Preise einsetzen, versteht sich von selbst. Aber dass sich eine ärztliche Standesorganisation mit Händen und Füssen gegen günstigere Medikamente wehrt, ist mehr als fragwürdig», wundert sich ein Apotheker.

Wissen, was dem Körper guttut.
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Chantal Hebeisen, Redaktorin
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