Strom-Lobby dreht den Hahn zu
Die Stromkonzerne wollen den Gebirgskantonen jährlich 350 Millionen Franken weniger Wasserzins zahlen. Der Bundesrat hilft ihnen dabei. Ein Lehrstück in Lobbying.
aktualisiert am 3. August 2017 - 17:26 Uhr
Anfang Jahr griff die Stromwirtschaft frontal an. Sie präsentierte ihr Flexibilisierungsmodell zur Senkung der Wasserzinsen: Bisher zahlte sie den Bergkantonen 550 Millionen Franken dafür, dass sie mit deren Wasser Strom erzeugen kann. In Zukunft will sie nur noch einen fixen Betrag von rund 200 Millionen abgeben. Falls es die Marktpreise erlauben, käme noch ein flexibler Anteil hinzu.
Dem Bundesrat war der Wunsch der Stromlobby Befehl. Im Juni stellte Energieministerin Doris Leuthard die entsprechende Gesetzesvorlage vor. Sie kam den Vorstellungen der Stromwirtschaft sehr entgegen: In einer Übergangszeit bis 2022 sollen die Wasserzinsen auf 400 Millionen Franken sinken, danach auf 250 Millionen. «Ein Schritt in die richtige Richtung», jubelten die Stromproduzenten. Sie hatten es geschafft, das Bundesamt für Energie (BFE) auf Linie zu bringen. Mit einer Vorlage, die voll zulasten der Gebirgskantone geht.
Der Coup war von langer Hand geplant. Vor drei Jahren hatte die nationalrätliche Energiekommission Urek erstmals vom Bundesrat verlangt, er solle die Neuregelung der Wasserzinsen «zügig an die Hand nehmen». Die heutige Lösung mit fixen Zinsen läuft 2019 aus. Wer die Idee eingebracht hatte, bleibt im Dunkeln. Über Urheber «wird nicht kommuniziert», erklärt Urek-Sekretär Sébastien Rey.
Mehr Licht in die Angelegenheit bringen die Jahresberichte des Schweizerischen Wasserwirtschaftsverbands (SWV). Darin sind die Stromkonzerne Axpo, Alpiq, BKW, Repower und EnAlpin organisiert. Präsidiert wird der Verband von SVP-Präsident Albert Rösti. Der Jahresbericht 2014 zeigt: Die interne Fachkommission Hydrosuisse hat sich «mit diversen parlamentarischen Vorstössen beschäftigt und Positionen beziehungsweise Ampeldokumente erarbeitet. Im Berichtsjahr betraf dies unter anderem die Motion der Urek Nationalrat zur Neuregelung der Wasserzinsen ab 2019.»
Die Motion stiess im Bundesamt für Energie auf offene Ohren. Schon drei Monate später machte sich der Bundesrat für das Wunschmodell der Strombranche stark. «Das in der Motion vorgeschlagene System der Flexibilisierung der Wasserzinsen wird ebenfalls als mögliche Variante geprüft», schrieb er. Das war aus zwei Gründen erstaunlich: Erstens war im Motionstext nicht explizit von einem Flexibilisierungsmodell die Rede. Zweitens ist die Motion ohnehin überflüssig, weil die bisherige Wasserzinsregelung ja 2019 ausläuft. Für die Zeit danach muss der Bundesrat per Gesetz eine Neuregelung ausarbeiten.
Das erstaunliche Einfühlungsvermögen des Bundesrats gegenüber den Wünschen der Stromwirtschaft ist brisant wegen einer personellen Verflechtung. Natalie Beck Torres war damals nicht nur Leiterin der verantwortlichen BFE-Sektion Wasserkraft. Sie sass auch im Vorstand des Wasserwirtschaftsverbands. Beck Torres war bestens mit der Stromwirtschaft vernetzt. Von 2001 bis 2006 hatte sie für die Bernischen Kraftwerke (BKW) gearbeitet, 2008 bis 2012 für den Alpiq-Konzern.
Doch dann legte sich die ständerätliche Energiekommission quer. Sie sprach sich dagegen aus, «bereits Massnahmen zur Flexibilisierung der Wasserzinsregelung in den Vordergrund zu stellen». Im Dezember 2015 stimmte der Ständerat dieser Forderung zu, im März 2016 folgte der Nationalrat. Damit war der parlamentarische Auftrag klar: keine Fokussierung auf das Flexibilisierungsmodell.
In der Folge verstärkte die Wasserwirtschaft ihr Lobbying. Im Jahresbericht 2016 nennt sie «zahlreiche Verhandlungsrunden» und die «Teilnahme an runden Tischen des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation Uvek».
Inzwischen hatte Christian Dupraz beim BFE die Nachfolge von Natalie Beck Torres als Leiter Wasserkraft angetreten. Auch er sass im Vorstand des Wasserwirtschaftsverbands und hatte früher für die BKW gearbeitet. Diese Interessenbindung stellt aus Sicht des Bundesamts «keinen Interessenkonflikt» dar. Dort heisst es, Dupraz habe sich im SWV-Vorstand «vorwiegend mit administrativen Dossiers wie Budgets» befasst. Auch der SWV-Geschäftsführer Roger Pfammatter sieht in der Personalie Dupraz keinen Vorteil für seinen Verband. Manchmal scheine ihm «sogar eher das Gegenteil der Fall».
In Bezug auf die aktuelle Mitgliedschaft von Dupraz sind sich Wasserwirtschaftsverband und Bundesamt nicht einig. Laut BFE-Sprecherin Marianne Zünd hat er das SWV-Mandat «mit Schreiben vom Februar 2017 niedergelegt». SWV-Geschäftsführer Pfammatter erklärte dagegen, Dupraz sei noch «bis im September 2017 im Vorstand des SWV vertreten». Danach habe das BFE «im Hinblick auf die Gesamterneuerungswahlen 2017 bis 2020 auf die weitere Einsitznahme verzichtet».
Während die Stromlobby hinter den Kulissen punktete, setzten sich die Gebirgskantone sogar für Subventionen zugunsten der Strombranche ein – in der Hoffnung, diese in der Wasserzinsfrage milde zu stimmen. Vergeblich, wie sich jetzt zeigt. Wie schon in der Vergangenheit verfolgten die Stromkonzerne ihre eigenen Interessen: Solange sie Milliardengewinne einfuhren, war die Flexibilisierung der Wasserzinsen kein Thema. Jetzt steht ihnen das Wasser bis zum Hals, unter anderem weil sie einen Teil der Wasserkraftgewinne mit Fehlinvestitionen im Ausland verzockt haben.
Das Parlament sprach sich im März 2016 noch ausdrücklich dagegen aus, sich auf das Flexibilisierungsmodell zu fokussieren. Trotzdem ist dieses Modell jetzt im Bericht des Bundesrats prominent aufgetaucht. Dabei stützt er sich ausgerechnet auf die längst überholte Motion der Urek des Nationalrats, die vom Parlament abgeändert worden war.
Das Bundesamt für Energie sieht allerdings keine Missachtung des parlamentarischen Auftrags. Der Bericht sei zwar «missverständlich formuliert», aber der Auftrag des Parlaments «jederzeit erfüllt» gewesen. Zur Begründung verweist das BFE auf Gespräche der Energiewirtschaft mit den Gebirgskantonen. Dabei seien «in den Grundzügen ähnliche Modelle» diskutiert worden.
Aus heutiger Sicht erweist es sich als taktischer Fehler, dass sich die Gebirgskantone auf Verhandlungen mit der Stromwirtschaft eingelassen haben. Die Stromkonzerne wussten ihn voll zu nutzen. Denn nicht nur beim Wasserzinsfixum liegt der Bundesrat sehr nahe bei den Vorstellungen der Strombranche. Er übernahm auch die Behauptung, die Wasserkraft sei nicht mehr rentabel. Obwohl diese Einschätzung höchst umstritten ist.
Im Bericht des Bundesrats sucht man vergeblich nach den Ergebnissen kritischer Studien aus dem Umfeld der Gebirgskantone. Den Berglern fehlte offenbar der direkte Draht ins Bundeshaus.