Die Idee kam ihm an der Abschlussfeier eines afghanischen Metzgerstifts: Man könnte doch einmal einen «Fleischtag für Flüchtlinge» organisieren, dachte sich Berufsschullehrer Thomas Schwander. Damit sie sehen, was eine Metzgerlehre ist. Der Gedanke war nicht ganz uneigennützig – der Fleischbranche fehlt der Nachwuchs. Der Fleischtag wurde zum vollen Erfolg. 14 junge Afghanen kamen, und das Schweizer Fernsehen berichtete.

Partnerinhalte
 
 
 
 

Jetzt, drei Jahre später, sind sechs der 14 in Schwanders Klasse in Wohlen AG und haben ihr erstes Jahr als Metzgerstifte hinter sich. «Sie sind total motiviert», sagt Schwander. «Es ist eine Freude, mit ihnen zu arbeiten.» Sie machen eine zweijährige Attestlehre, gedacht für praktisch Begabte mit Schulschwierigkeiten. «Das ist ideal für die Flüchtlinge, die oft noch mit der deutschen Sprache zu kämpfen haben», so Schwander. Und Fleisch spiele ja in der afghanischen Kultur eine grosse Rolle, für viele sei Schlachten nichts Neues gewesen.

Lieber Apps entwickeln als schlachten

In der Schweiz werden im Jahr gut 50 Kilo Fleisch pro Kopf gegessen. Das hat sich in den letzten Jahren so eingependelt. Doch den Metzgern geht der Nachwuchs aus. «Es fehlen uns jedes Jahr mehr als 100 Lehrlinge», sagt Markus Roten, Nachwuchsrekrutierer beim Schweizer Fleisch-Fachverband. Das Problem sei: «Die Jugendlichen wollen lieber Apps entwickeln, als den Weg über eine fundierte Handwerksausbildung zu gehen.» Dabei habe doch gerade die Coronakrise gezeigt, wie wichtig Berufe mit Bodenhaftung seien, wie Bäcker oder eben Metzger.

Roten begrüsst Schwanders Experiment mit den afghanischen Flüchtlingen: «Wir machen gute Erfahrungen. Das sind oft Leute, die gern körperlich arbeiten und dem Beruf treu bleiben.»

«Wenn diese Menschen schon mal im Land sind, muss man ihnen doch eine Chance geben.»

Erich Gloor, Metzgereichef

Sehr zufrieden mit seinem Stift ist auch Metzgermeister Marcel Wüest aus Fislisbach AG. Der 44-Jährige redet gern, schnell und viel. Ihm gehört die Chämi-Metzg, 2003 vom Vater übernommen. Seine Johanniwürstli sind in der Region bekannt. Der Betrieb hat 30 Angestellte und drei Lehrlinge. Wüest wurde vor zwei Jahren vom Branchenverband zum Schweizer Lehrmeister des Jahres gekürt. «Eine grosse Ehre», sagt er und lächelt. Er schaue eben zu seinen Stiften, die Nachwuchsförderung sei ihm eine Herzensangelegenheit. Denn ohne guten Nachwuchs überlebe die Branche nicht.

Sein Stift Liyagat Moradi, 22, hat gerade das erste Lehrjahr beendet. Er stammt aus der Provinz Ghazni im Osten Afghanistans. Vor vier Jahren kam er in die Schweiz. Heute wohnt er bei einer Gastfamilie und erscheint jeden Tag pünktlich morgens um 6.15 Uhr bei der Chämi-Metzg. «Liyagat macht es sehr, sehr gut. Es macht Spass, mit ihm zu arbeiten», sagt sein Lehrmeister.

Bei der Chämi-Metzg gibt es einen Leistungslohn für Lehrlinge. Wer seine vier Wochenschreiben pünktlich am Dreissigsten des Monats abliefert, immer rechtzeitig erscheint und nie fehlt im Betrieb, erhält zusätzlich zum Lehrlingslohn 200 Franken. «Ein grosser Anreiz, aber viele erreichen dieses Ziel nicht», so Wüest. Meist liegt es am Verschlafen. Liyagat Moradi aber habe den Bonus nur einmal nicht bekommen: «Da fehlte er wegen eines Arbeitsunfalls drei Tage.» Er sei sehr ehrgeizig, ruhig, sehr gewissenhaft. «Ich möchte ihn möglichst lang behalten», sagt Wüest. Er brauche gute Leute.

Ans Blut gewöhnt

Liyagat Moradi lächelt, als er hört, was sein Chef über ihn sagt. Sorgfältig schneidet er Fleisch vom Knochen eines Rinds. An das viele Blut und den strengen Geruch habe er sich gewöhnt. «Ich bin sehr froh, dass ich diese Lehrstelle habe», sagt er. In Afghanistan habe er neun Jahre die Schule besucht, dann sei er geflohen. Er spricht nicht gern über die traumatische Flucht. «Zuerst kam ich ins Tessin», dann sei er nach Baden überstellt worden.

Der 22-Jährige spielt Volleyball beim STV Baden, geht jeden Dienstagabend ins Training. «Das ist mir wichtig», sagt er. Die Stelle bei der Chämi-Metzg sei super, weil die Arbeitszeiten und der Arbeitsweg passten und mit dem Training gut vereinbar seien. Ganz wichtig seien natürlich der Chef und das Team. «Ich habe einen Tag geschnuppert, dann hatte ich den Lehrvertrag schon», erzählt er. «Hier bin ich am richtigen Ort, ich fühle mich wohl.» An der Berufsschule möchte er sein Deutsch weiter verbessern und dann vielleicht noch das eidgenössische Fähigkeitszeugnis (EFZ) erlangen. Auf jeden Fall wolle er auf dem Beruf bleiben.

Das freut Lehrer Schwander. Denn: «Die Fleischbranche hat immer noch mit einem negativen Image zu kämpfen. Umso wichtiger sind gute Berufsleute, die dem entgegenwirken.» Der 55-jährige ehemalige Metzger ist mit Herzblut dabei, sein Profilbild auf Social Media ein saftiges Kotelett. Schwander sieht die Gründe für das schlechte Image des Metzgerberufs nur zu einem kleinen Teil im veränderten Essverhalten, in Vegetarismus und Veganismus. Entscheidender sei die Haltung von Schulen und Eltern, die die Kinder nicht auf Handwerksberufe vorbereiteten. «Ein Fehler», ist er überzeugt.

«Ohne guten Nachwuchs überlebt die Metzgereibranche nicht.»

Marcel Wüest, Metzgermeister

Erich Gloor ist Chef der Metzgerei Rebstock in Seengen AG. Ein Familienbetrieb mit eigenem Schlachthaus und Gasthof. 64 Angestellte, in der Metzgerei arbeiten 13 plus zwei Lehrlinge. «Früher gab es im Dorf vier Metzgereien – jetzt sind nur noch wir da», erzählt der 59-jährige Patron. Zwei Rinder, zwei Kälber und zehn Säue schlachten sie jede Woche.

Hussein Ali Nabi sei der erste Flüchtling, den er ausbilde. «Wenn diese Menschen schon mal im Land sind, dann muss man ihnen doch eine Chance geben», sagt er. Er sei ja schon eher der SVP zugewandt, aber man müsse aus der Lehrlingsnot halt auch eine Tugend machen. Bisher laufe es sehr gut. «Hussein ist einer, der arbeiten will. Der bleibt sicher auf dem Beruf», sagt Gloor. Nur seine Schulbildung lasse zu wünschen übrig, deshalb gebe ihm seine Frau einmal wöchentlich Nachhilfe. «Er wird das aber schon schaffen», meint Gloor. «Es braucht in unserer Branche gute Praktiker. Es müssen nicht alle gut schreiben können.»

«Ich habe drei Tage hier geschnuppert, dann hatte ich die Lehrstelle.»

Hussein Ali Nabi, 27, Metzgerstift

Hussein Ali Nabi, 27, Metzgerstift

Quelle: Joël Hunn

Um drei Uhr in der Früh fangen die Metzger im «Rebstock» an. Auch Lehrling Hussein Ali Nabi ist dabei, ein 27-Jähriger aus Zentralafghanistan. Daheim habe er auch schon geschlachtet, aber hauptsächlich als Maurer gearbeitet. Er ist seit Januar 2016 in der Schweiz. «Hier fühle ich mich sicher.» Der frühe Arbeitsbeginn sei kein Problem, er wohne im Nachbardorf und komme mit dem Velo. Auch im Winter radle er die 20 Minuten durch Schnee oder Regen. «Im Vergleich zu Afghanistan ist das leicht.»

«Ich habe drei Tage im ‹Rebstock› geschnuppert, dann hatte ich die Lehrstelle», erzählt er stolz. Obwohl 99,9 Prozent der Afghanen Muslime sind, haben sie meist keine grosse Mühe, Schweinegeschnetzeltes oder Cervelats herzustellen. Auch Nabi nicht. Er fährt sich durch die dunklen Haare, fummelt an seiner braunen Metzgerschürze. «Am liebsten habe ich aber Kalbsbratwürste.»

Woche für Woche direkt in Ihre Mailbox
«Woche für Woche direkt in Ihre Mailbox»
Birthe Homann, Redaktorin
Der Beobachter Newsletter