Etikettenschwindel im Eiermarkt
Ostern ist Eier-Zeit – und die Zeit, zu fragen: Sind die Legehennen so glücklich, wie die Eierschachteln in Schweizer Läden verheissen? Schön wärs. Kritisch sind vor allem die Importprodukte.
Veröffentlicht am 16. März 2015 - 10:52 Uhr
Der Preis ist verlockend, die Etikette auf der Eierschachtel putzig: Zwei Hennen staksen durch einen Holzstall mit Stroh, es scheint ihnen bestens zu gehen. 3.60 Franken kostet die Box im Denner mit 15 Eiern «aus Bodenhaltung». Darunter steht in kleinerer Schrift «Import».
«Ein Etikettenschwindel», sagt Nutztierfachmann Jan Peifer. «Die Realität hat nichts mit den Vorstellungen der Konsumenten von Bodenhaltung zu tun», sagt der Mann, der seit Jahren Missstände in europäischen Bodenhaltungsfarmen aufspürt. Hiesiger Marktanteil der 250 Millionen Import-Schaleneier: knapp ein Viertel, meist aus Bodenhaltung, Herkunft Deutschland und vor allem Holland.
Die weiteren 770 Millionen Schaleneier stammen aus der Schweiz, davon rund 30 Prozent aus Bodenhaltung. Doch Bodenhaltung ist nicht gleich Bodenhaltung. Für Importeier gelten largere Vorgaben.
Die Eier stammen aus Farmen mit Zehntausenden Hühnern. Ein Wintergarten ist nicht vorgeschrieben. «Ein Wintergarten ist aber absolut tierschutzrelevant», sagt Hansuli Huber, Geschäftsführer des Schweizer Tierschutzes (STS). Der windgeschützte Aussenbereich gewährt den Hühnern mehr Platz und Scharrmöglichkeiten als im Stall. Dort ist es eng, in der Schweiz wie in der EU: Einem Huhn steht gut die Fläche von anderthalb A4-Blättern zu. 90 Prozent der hiesigen Bodenhaltungs-Bauern jedoch arbeiten nach speziellem Bundesprogramm – ein Wintergarten ist Pflicht. Er muss 43 Prozent der Stallfläche betragen, pro Huhn zusätzlich die Fläche von zwei Dritteln eines A4-Blatts.
Davon können Hühner auf Jan Peifers Bildern nur träumen. 2014 hat er in zwanzig Bodenhaltungsfarmen in Holland und Deutschland gefilmt, oft heimlich. Ein Team des Schweizer Fernsehens war auf drei Farmen dabei, die Coop, Migros, Aldi, Lidl und Spar beliefern. Einer der Produzenten hat für seinen Betrieb eine Bewilligung für nicht weniger als 210’000 Hühner.
«Die Realität hat gar nichts zu tun mit den Vorstellungen der Konsumenten»
Jan Peifer, Tierschutzaktivist
Im Stall sieht es vielerorts trist aus. Die Hennen stehen auf Gitterrosten bis unters Dach. Für Farmen, die vor 2002 gebaut wurden, gilt keine Tageslicht-Pflicht. Am Boden hat es kaum Einstreu, Sandbäder fehlen, Hennen picken sich gegenseitig die Federn aus. «Die Luft ist staubig, der Gestank nach Ammoniak kaum aushaltbar», sagt Jan Peifer. Kein Leben für ein Fluchttier wie das Huhn. Die Tiere brauchen Platz und Licht, scharren und säubern sich durch Sandbäder, vermeiden damit Krankheiten, legen ihre Eier an geschützten Plätzen und haben Mauserzeiten als Ruhephasen nötig.
Hansuli Huber vom STS stechen Peifers Bilder von Hennen mit gekürzten Schnäbeln in die Augen. «Nicht nur die Prozedur war schmerzhaft, jedes Futterpicken verursacht Schmerzen», sagt der ETH-Agronom. Fürs Schnäbelkürzen braucht es eine tierärztliche Verordnung, doch die ist einfach zu haben. Gängige Praxis: Man spannt die Kücken in ein automatisches Karussell, wo ein Laserstrahl ihre Schnabelspitzen – einmal mehr, einmal weniger – durchtrennt.
Für Hansuli Huber ist das schlicht «Tierquälerei». In der Schweiz ist nur das Touchieren erlaubt, das Entfernen weniger Millimeter des Oberschnabels, «korrekt durchgeführt wie Nägelschneiden», sagt Huber. «Alles andere ist, als schnitte man uns die Fingerbeere ab.»
Bei grossen Herden ist zudem der vorgeschriebene Platz nur schwer zu errechnen.
So leben Legehennen in der Schweiz und in der EU
«Überbelegungen kommen mit Sicherheit vor», sagt Jan Peifer. Die EU-Norm kennt keine Herdenlimite, nach Kat-Norm liegt sie bei 6000 Tieren. Auch dies sind zu viele, um mit dem Auge zu kontrollieren, sagt Kat-Sprecherin Anne Engels, «wir stützen uns auf Buchprüfungen». Kat steht für die Vereinigung kontrollierte alternative Tierhaltungsformen, der viele deutsche und holländische Produzenten angehören. Coop, Migros, Denner oder Aldi etwa betonen, bei Import nur Kat-Eier zu verkaufen. Allerdings: Für Kat-Produzenten gelten bei Bodenhaltung nur geringfügig strengere Auflagen als die EU-Norm.
Migros und Coop decken den Grossteil des hiesigen Eiermarkts ab. Migros-Sprecherin Martina Bosshard sagt: «Uns ist bewusst, dass die EU/Kat-Normen von den Schweizer Vorgaben abweichen. Wir werden das Niveau der Schweizer Vorgaben bis 2020 erreichen.» Bei Coop-Sprecher Urs Meier tönt es ähnlich: «Coop strebt an, bis 2020 nur noch Importeier nach Schweizer Gesetzgebung anzubieten.»
Tatsächlich ist die Schweiz mit ihren 2,4 Millionen Legehennen in einer Vorreiterrolle. 1992 wurden Käfigbatterien im Land verboten. 2001 nahm Denner als letzter Grossverteiler Käfigeier vom Markt – niemand mehr kaufte die Schachteln mit dem Vermerk «aus in der Schweiz nicht zugelassener Haltungsart».
Doch auch heute kommen ausländische Käfigeier in der Schweiz noch vor – versteckt in Backwaren, Saucen, Desserts oder Teigwaren. Der Tipp von Daniel Rüegg, Chef bei Lüchinger und Schmid, dem hierzulande grössten Eierhändler: «Wer Bodenhaltungs- oder Freilandeier verwendet, deklariert das freiwillig auf der Speisekarte oder Zutatenliste. Wenn dort nur ‹Ei›, ‹Eimasse›, ‹Vollei› steht, sind wahrscheinlich Käfigeier drin.»
Die Schweiz hat im Eiermarkt trotzdem eine Vorbildfunktion – sie ist mittlerweile gar Weltmeisterin in der Freilandhaltung: 73 Prozent der Hennen leben in Freilandbetrieben (davon 15 Prozent Bio), haben Auslauf in den Wintergarten und auf die Weide. Dies in einem Land, in dem noch in den 1980er-Jahren Käfigbatterien vorherrschten.
Am Ziel ist man aber noch nicht: «Nun müssen auch die letzten zehn Prozent Bodenhaltungs-Bauern einen Wintergarten anbauen», fordert Tierschützer Hansuli Huber. Zudem dürfe die übliche Stall-Volierenhaltung nicht zu einer monotonen sechsstöckigen Etagenhaltung verkommen. Heutige Legehennen hätten zudem vermehrt Knochenbrüche. «Sie können ihren hohen Kalziumbedarf kaum mehr decken», sagt Huber und fordert: «Schluss mit dieser Hochzüchterei.»
Woher kommt das Ei?
Jedes rohe Ei trägt einen Code aufgestempelt. Damit lässt sich herausfinden, woher es stammt.
- Inlandeier: Code-Eingabe auf der Homepage der Migros oder Spar. Bei Coop gibt der Kundendienst Auskunft (Telefon 0848 888 444).
- Importeier (nur nach Kat-Norm): Suchplattform unter www.was-steht-auf-dem-ei.de
Bei allen Eiern bezeichnet die erste Zahl des Codes die Haltungsform:
- 0 = Bio-Freiland
- 1 = Freiland
- 2 = Bodenhaltung
- 3 = Käfighaltung
Die Buchstaben stehen für das Herkunftsland (Schweiz: CH; Deutschland: DE; Niederlande: NL), die weiteren Nummern für den Legebetrieb.